Der Verlorene von Hans-Ulrich Treichel: Reclam Lektüreschlüssel XL. Jan Standke

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Der Verlorene von Hans-Ulrich Treichel: Reclam Lektüreschlüssel XL - Jan Standke Reclam Lektüreschlüssel XL

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sei, übersetzt sich das sprachliche Bild auch in körperliches Leid: Den Ich-Erzähler durchzucken »Schmerzblitze« und sein Gesicht verzieht sich zu einem »krampfartige[n] Grinsen« (S. 56). Ein Arzt diagnostiziert später eine »Trigeminusneuralgie« (S. 57).

      Die beginnenden Untersuchungen Untersuchungen zur Feststellung der Verwandtschaft mit dem Findelkind 2307 erlebt der Ich-Erzähler mit wachsender Irritation. Einerseits sind ihm die an ihm durchgeführten Prozeduren physisch unangenehm; andererseits führen die dauerhaften Vergleiche mit dem Findelkind 2307 dazu, dass der Erzähler sich selbst »immer unähnlicher« (S. 57 f.) wird: »Jeder Blick in den Spiegel irritierte mich. Ich sah nicht mich, sondern Arnold, der mir zunehmend unsympathischer wurde.« (S. 58)

      Eine Zersplitterte Identität Zersplitterung seiner Identität verspürt der Ich-Erzähler schon beim Betrachten der »winzige[n] Photos« (S. 8) im Familienalbum, die jeweils immer nur Versatzstücke seines Körpers zeigen und sich nicht zu einem Ganzen zusammensetzen lassen. In den wissenschaftlichen Gutachten wird diese Fragmentierung der Identität des Erzählers fortgesetzt. Er wird dort auf einzelne Körperbaumerkmale reduziert und durch komplizierte Rechenoperationen zu den ebenfalls unpersönlichen Merkmalen der Eltern und des Findelkindes in Beziehung gesetzt. ›Familie‹ gerät so zu einer bloßen Relation von Prozentwerten. In der letzten wissenschaftlichen Stellungnahme, dem »biomathematischen Zusatzgutachten« (S. 154), verliert der Ich-Erzähler sogar die »Nebenrolle« (S. 17), die er bislang im Familienensemble spielte. »Jetzt, wo es darauf ankam, spielte ich ganz offensichtlich keine Rolle mehr.« (S. 154)

      Die Zweifel an der eigenen Identität reichen so weit, dass er vermutet, nicht das leibliche Kind seiner Eltern zu sein. Mehrmals deutet sich im Text an, dass er ein »Russenkind?«»Russenkind« (S. 151) sein könnte, das aus einer Vergewaltigung der Mutter hervorgegangen ist. Der Ich-Erzähler ahnt dies auch, wenn er sich über sein Interesse an russischen Worten im Radio wundert:

      »Obgleich ich kein Wort von dem verstand, was der Russe im Radio redete, lauschte ich begierig den fremden Lauten. Und je länger ich den Worten des Russen zuhörte, […] um so mehr […] bildete [ich] mir auch ein, daß die Worte des Russen irgend etwas mit mir und meiner Familie zu tun hatten.« (S. 25)

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