ZWEITAUSENDVIERUNDACHTZIG. Gisbert Haefs

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу ZWEITAUSENDVIERUNDACHTZIG - Gisbert Haefs страница 4

Автор:
Серия:
Издательство:
ZWEITAUSENDVIERUNDACHTZIG - Gisbert Haefs

Скачать книгу

Errungenschaften wurde beschworen. Die, die auf meiner Seite waren, wiesen wieder darauf hin, dass die Erschrockenen nur aus dem Fenster zu sehen brauchten, um den realen Untergang Deutschlands in Augenschein zu nehmen. Meine Leute wiesen auch darauf hin, dass wir nur gut hundert Jahre zurückschauen mussten, um zu sehen, wie rasch ein Land in die Barbarei kippen konnte. Wie dem auch sei, auf einmal hatte ich die Macht, und ich muss sagen, die Macht war mir egal. Die Gewalttäter, die mit den Mitteln der fortgeschrittenen Wissenschaft ausgemacht wurden, kamen in diese Großgefängnisse, die Parzellen, und am Anfang, im ersten Jahr, haben sich tatsächlich ungefähr vierhundert Menschen gegenseitig umgebracht. Wir haben allerdings verhindert, dass über diese sinnlosen Massaker auch nur irgendwie berichtet wurde.

      Als die Gewalttäter bemerkten, dass sie keinerlei öffentliches Echo hatten, erstarb die Gewalt wie ein Feuer, dem der Sauerstoff ausgeht. Die Leute mitsamt ihren Aggressionen rauften sich zusammen und gaben Ruhe. Vereinzelt wurden sogar Polizeieinheiten aufgestellt, aber in den meisten Fällen war das gar nicht mehr nötig.

      8

      Soll ich darüber auch noch sprechen? Ich glaube schon. Meine Maßnahmen betrafen an dieser Stelle ja eines der größten Probleme, die es seinerzeit in dieser Gesellschaft gab. Ich meine die Überalterung. Die Rentensysteme trugen nicht mehr, der Pflegenotstand, den es früher einmal gegeben hatte, war längst zu einer Nichtpflegekatastrophe geworden, die Menschen, kaum dass sie fünfzig Jahre alt geworden waren, starrten nach vorne, weil sie wussten, dass sie auf ein unsäglich elendes Ende zusteuerten.

      Ich habe zwei Kommissionen eingesetzt, die sich aller Fragen annehmen sollten. Ungewöhnliche Vorschläge waren ausdrücklich erwünscht. Man kann das Verrückte, Ungewöhnliche, auch das Verbotene immer noch ausschließen, hieß es in meinem Memo.

      Es waren die drei Biochemiker in der Gruppe B, die, wie sie sagten, noch einen verbotenen Vorschlag parat hatten. Dieser Vorschlag lief darauf hinaus, von einem bestimmten Gesundheits- und Altersstand an – Drogen zu verabreichen, sei nicht der richtige Ausdruck. Es ginge viel eher darum, das Leben im Alter leichter zu machen. Natürlich sei die Sache als vollkommen freiwillig gedacht. Niemand müsse mitmachen.

      Ich ließ diesen Gedanken ausarbeiten, und bald schon begannen die ersten Tests. Es waren schwer leidende Menschen, Todkranke, die ohnehin nicht mehr lange zu leben hatten. Sie bekamen die ersten Cocktails, und es wurden nach allen Regeln unterschiedlicher Wissenschaften Protokolle geführt. Die Betroffenen gaben Interviews. Obwohl in diesem Stadium noch alles geheim bleiben sollte, drangen, wie das so ist, erste Signale nach draußen. Wieder ein großer öffentlicher Aufschrei. Daraufhin wurden die Maßnahmen und Protokolle innerhalb von zwei Wochen vollständig freigegeben.

      Auch die größten Kritiker saßen starr da, als ich nach Alternativen gefragt habe. Die, die Versuche mitgemacht hatten, erzählten euphorisch von ihren Erfahrungen. Sie wollten die Dosis steigern. Als wir nach Freiwilligen gesucht haben, bei denen diese Steigerung nahe an den Tod heranführen sollte, um dann abzubrechen und die Erfahrungen wiedergeben zu lassen, da meldeten sich für die erste Versuchsreihe viele. Als dann andere die Berichte und Interviews gelesen hatten, war überhaupt kein Halten mehr. Wir wurden überrannt von Bitten und Anfragen. Es gab so viele, die in dieses Paradies – von einem Paradies hatten mehrere der Versuchsteilnehmer geschwärmt – eintreten wollten.

      Dann waren auch diese Versuche abgeschlossen. Versuche, bei denen bereits einige in ihr persönliches Paradies hinüberglitten, ein seliges Lächeln im Gesicht. Da erst wurden die Maßnahmen in Gesetzesform gegossen. Betont wurde, wie die ganze Zeit vorher schon, die Freiwilligkeit.

      Natürlich trugen die Bedenkenträger ihre Gegenargumente vor. So etwas dürfe niemals statthaft sein in einer Zivilisation wie der unseren. Da war die öffentliche Meinung aber schon auf meiner Seite. Das Gesetz sollte vorläufig für drei Jahre gelten. Dann sollte eine neue Debatte geführt werden. Diese Debatte erwies sich als überflüssig, denn die, die sich freiwillig gemeldet hatten, wollten sehr schnell nicht mehr zurück. Sie wollten, dass die Dosis rasch gesteigert würde. Sie wollten, wie es einer der Wissenschaftler in einer der geschützten Gesprächsrunden etwas sehr despektierlich formulierte: möglichst rasch im Orgasmus sterben.

      Natürlich haben diese Maßnahmen nicht alle Probleme unserer überalterten Gesellschaft gelöst, aber immerhin wurde die Alterskatastrophe damit zuerst eingedämmt und abgemildert und später sogar in ganz ruhige Bahnen gelenkt. Es gab die Gruppe derer, die bei diesem Programm nicht mitmachen wollten. Aber diese Gruppe wurde immer kleiner, und nach zehn Jahren schon wurde es selbstverständlich, sich bei den ersten Anzeichen ernsthafter Krankheit oder bei ersten schwereren Altersbeschwerden bei dem Programm, das nun ganz offiziell Paradies hieß, anzumelden.

      Ich habe mich nicht gewundert, dass bei diesem Umsturz mir auch mein Paradiesprogramm vor die Füße geworfen wurde. So unmenschlich sei ich, dass ich solche Dinge in die Welt gesetzt hätte. Aber natürlich haben sie, die Guten, dieses Programm bis heute nicht ausgesetzt. Sie wüssten ja, welche Probleme zurückkehren würden, und natürlich haben sie nicht die geringste Idee, wie sie mit diesen Problemen fertig werden sollten.

      9

      Heute Morgen, in meinem weißen Bett in diesem Weißen Zimmer, habe ich auf einmal überlegt: Hatte ich überhaupt ein Privatleben? Eine Frau, Kinder? Meinetwegen auch einen Mann und keine Kinder? Vollkommen egal. Irgendetwas in der Art?

      Ja, ich hatte ein Privatleben, und ich habe es vor der Öffentlichkeit geheim gehalten. War das ein Fehler? Ich weiß es nicht. Wenn man ein Politiker in Krisenzeiten ist, dann verliert man die Fähigkeit, ein normales Privatleben zu führen, ganz rasch. Vielleicht ist es auch andersherum – man wird ein erfolgreicher Politiker, weil man nicht in der Lage ist, ein Privatleben zu führen.

      Ich habe aus ganz pragmatischen Gründen mein Privatleben immer vor den Medien abgeschirmt. Nein, ich war kein Päderast, aber ich habe, ich gebe es zu, sehr junge Frauen immer bevorzugt. Sehr junge Frauen – das stimmt, und es stimmt auch nicht. Als ich fünfundzwanzig war, hatte ich eine Freundin, sie hieß Theofina, die war drei Jahre älter als ich. Ich habe sie vergöttert, und sie hat mich nach zwei Jahren verlassen, weil sie einen Künstler, einen Maler, kennengelernt hat, von dem sie wahrscheinlich dachte, dass er einst weltberühmt und weltbewegend sein werde. Er ist nie in einem größeren Zusammenhang in Erscheinung getreten. Nie hat er auch nur eine Ausstellung gehabt, die in den Zeitungen erwähnt worden wäre. Gleichwohl – ich habe Theofina nie vergessen. Sonst aber waren meine Freundinnen immer deutlich jünger als ich. Die Erste, sie hieß Monja, war vierzehn und ich war dreiundzwanzig.

      Mit dreiunddreißig habe ich zum ersten Mal geheiratet, und Sabeth war damals gerade achtzehn geworden. Ich habe, weitab von meinem öffentlichen und politischen Leben, das mir immer wichtig war, in einem paradiesischen Abseits, an einem geheimen Ort, den Geist und den Körper von Frauen immer wie eine Offenbarung gesehen, und hinter dieser Offenbarung verbargen sich der Weltraum und alles das, was ich nicht verstand und nie verstehen würde. Kinder zu bekommen war für mich das größte aller Geheimnisse. Der Akt der Zeugung lag so weit ab vom Akt der Geburt! Verstehe einer diese Zusammenhänge.

      Die meisten machen sich da ohnehin keine Gedanken. Ich habe immer sehr schmerzlich empfunden, dass es da ein Geheimnis gab. Ich habe fünf Kinder, drei mit Sabeth und zwei mit meiner zweiten Frau Corinna. Die Kinder sind, wie man so sagt, wohl geraten. Sie haben bürgerliche Berufe, und ich habe ihnen, auch wenn ich zu Hause war, beizeiten beigebracht, nicht zu viel von ihrem Vater, dem Politiker, zu sprechen. Sie halten mich vor ihren Freunden nicht geheim, aber sie geben mit mir auch nicht an. Sie gaben mit mir nicht an, muss ich sagen.

      Heute bin ich der Große Bruder. Mit dem kann man nicht angeben. Dass sich meine Kinder von mir – nun ja, nicht gerade losgesagt haben, aber kein Aufhebens um diese Verbindung gemacht haben, das

Скачать книгу