Leni Behrendt Classic 61 – Liebesroman. Leni Behrendt
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Nun kam auch Frau Hortense herbei, die das Schrillen der Glocke aus dem Mittagsschläfchen gestört hatte. Augenblicklang zögerte sie, doch dann zeigte sie mit einer einladenden Bewegung nach der Tür des Wohnzimmers und ließ den Herrn eintreten.
Jetzt erst sah der Fremde die Menschen an, mit denen er auf so seltsame Art bekannt geworden, und tiefes Erschrecken malte sich auf seinem hübschen, offenen Gesicht.
Er hatte geglaubt, bei Leuten zu sein, wie sie eben in derartigen Steinkästen wohnen. Erschrocken und sehr verlegen flog nun sein Blick über die kostbare Einrichtung des Zimmers, blieb an den vornehmen Gestalten von Mutter und Sohn haften.
»Verzeihung«, stotterte er fassungslos. »Ich dachte – ich glaubte – in solchem Hause.«
»Das tut ja wirklich nichts zur Sache, mein Herr«, sagte Frau Hortense ganz liebenswürdig. »Wollen Sie nicht Platz nehmen?«
Sie bot ihm einen Sitz an, den er auch sofort einnahm. Er war tief beschämt.
»Jobst Oluf, was hast du denn da?« wandte sich Frau Hortense lachend an den Sohn, der noch immer stocksteif dastand, das Bündel mit herrlichem Ungeschick hielt.
»Ich glaube, es ist etwas Lebendiges«, sagte er ebenfalls lachend.
Die Mutter trat zu ihm und lüftete den Mantel.
»Ein Kind!« rief sie dann verblüfft und schaute auf ein vielleicht zehn Wochen altes Kind, das fest schlief.
Es herrschte tiefe Stille in dem Zimmer, als sich Frau Hortense nunmehr dem Fremden zuwandte, der zerknirscht in seinem Sessel kauerte.
»Mein Herr, wollen Sie uns nicht erklären…?«
Er war so blaß und verstört, daß Jonas hinauseilte und gleich darauf mit einer Karaffe Wasser und einem Glas zurückkehrte.
Währenddessen hatte Frau Hortense das Kind von des Sohnes Arm genommen, schritt zum Sofa und bettete das Kleinchen warm und weich.
Das Wasser half dem Fremden wieder auf die Beine, und nun stand er vor Frau Hortense und Jobst Oluf, sich in tadelloser Weise vor ihnen verbeugend.
»Hans Heinrich Brandler«, nannte er seinen Namen und sah dann hoch, mit dem ihm eigenen treuherzigen Blick. Und er entwaffnete auch Frau Hortense.
»Nehmen Sie wieder Platz, Herr Brandler, und erklären Sie uns die Situation, die, wie Sie wohl zugeben werden, recht seltsam ist.«
»Ach ja«, atmete er erleichtert auf.
»Ich heiße Hans Heinrich Brandler, wie ich schon sagte, und bin Besitzer des Gutes Groß-Löschen, das fünf Kilometer von dieser Stadt entfernt liegt. Vor etwas mehr als einem Jahr heiratete ich eine Südamerikanerin, eine Pensionsfreundin meiner Base Manuela Brandler, die Besitzerin der Herrschaft Hohenweiden ist.
Meine jetzt von mir geschiedene Frau besuchte damals meine Base. Ich lernte Grace kennen, verliebte mich in sie, und schon acht Wochen später waren wir Mann und Frau. Wie übereilt diese Ehe geschlossen war, mußten wir sehr bald einsehen. Grace fühlte sich kreuzunglücklich in Deutschland.
Als nun vor einigen Monaten ein Geschäftsfreund ihres Vaters anlangte, um ihr Grüße von ihren fernen Eltern zu überbringen – da – na, kurz und gut – betrog sie mich mit ihm. Ich reichte selbstverständlich die Scheidungsklage ein. Es ging auch alles glatt, und wir hätten in Frieden auseinandergehen können, wenn Baby nicht gewesen wäre. Das Kind wurde mir vom Gericht zugesprochen – und da erwachten in Grace plötzlich Muttergefühle, die bisher niemals an ihr wahrzunehmen gewesen waren.
Ich hätte ihr das Kind auch gelassen, wenn ich sicher gewesen wäre, daß sie es liebte. Doch es war mir leider allzusehr bewußt, daß sie das Kind nur mit sich nehmen wollte, um mir weh zu tun.
Der Tag der Abreise wurde festgesetzt, die Karten für den Dampfer bestellt und am Abend vorher Abschied gefeiert – mit sehr vielen Tränen und obligater Rührseligkeit, so daß ich annehmen mußte, es täte Grace nun doch leid, von mir zu gehen.
Doch ich war wach – hellwach! Den größten Argwohn hegte ich gegen den Diener, den der Liebhaber meiner verflossenen Frau bei sich hatte. Ich wich daher nicht mehr von Babys Seite.
Es war kurz vor der Abfahrt. Ich saß am Bettchen meiner Kleinen, als ich Schritte hinter mir hörte. Ich fuhr herum – und sah in die tückischen Augen des Dieners, sah seine mageren, scheußlichen Hände nach meinem Mädchen greifen. Dann sah ich noch einen Lappen, dem ein ganz scheußlicher Geruch entströmte.
Nun begann ein lautloses, zähes Ringen; mein Jiu-Jitsu-Griff war ihm zum Glück nicht geläufig. So lag er dann bald betäubt am Boden. Ich ergriff mein Mädel, enteilte, hüllte Baby in das erstbeste Kleidungsstück, das ich fassen konnte, kurbelte meinen Wagen an und raste davon.
Meine kleine Schaukel konnte selbstverständlich nicht mit dem großen Wagen des Galans konkurrieren, und so dauerte es nicht allzulange, bis ich merkte, daß ich verfolgt wurde. Kurz entschlossen ließ ich meinen Wagen in dieser Straße stehen, rannte die Straße hinunter und stieß auf dieses Haus, drückte auf den ersten besten Klingelknopf und drückte mein Mädel in die ersten besten Arme.
So, nun konnte ich den Leutchen ganz seelenruhig unter die Augen treten. Bald wäre alles an der Gründlichkeit dieses Herrn gescheitert«, dabei zeigte er – nun schon ganz vergnügt – auf Jonas.
»Doch es ging besser, als ich annahm«, erzählte Brandler weiter. »Die liebevolle Mutter mußte abziehen. Rache im Herzen – und ich habe mein kleines Mädel – Gott sei Dank!«
Er seufzte tief auf, und sein zärlicher Blick ging zu dem Töchterlein hin.
»Gnädige Frau – zürnen Sie mir?« fragte er dann die Hausfrau wie ein betrübter kleiner Junge, und sie mußte wiederum lachen.
»Herr Brandler, ich habe ganz gewiß kein Recht, Ihnen zu zürnen. Ich verstehe nur nicht, warum Sie nicht die Polizei zu Hilfe riefen.«
»Ach – die Polizei!« winkte er geringschätzig ab. »Bis die sich erst bequemt und etwas untersucht! Der Diener war aus zähem Material, er hätte einen zweiten Anschlag nicht gescheut und hätte hinter der Polizei hergelacht – den sicheren Raub im Arme.«
»Wenn Frau Grace es sich aber nun einmal in ihr Köpfchen gesetzt hat, das Kind zu bekommen?« ließ sich nun Jobst Olufs Stimme leise vernehmen. »Man kann den Diener ja unauffällig hier gelassen haben…«
»Daran habe ich auch schon gedacht«, entgegnete Brandler, »und daher kann ich mein Kleinchen auch nicht mit mir nach Hause nehmen. Muß mich bemühen, ihm eine Unterkunft zu suchen, wo es geborgen ist.«
»Das wird nicht so einfach sein«, warf Jobst Oluf bedenklich ein.
»Ja, das weiß ich alles«, seufzte Hans Heinrich. »Wenn nur erst einige Wochen vorüber wären, denn länger dürften die Muttergefühle meiner ehemaligen Frau nicht andauern.«
»Lassen Sie das Kind hier, Herr Brandler«, sagte Frau Hortense, einer plötzlichen Eingebung folgend.
Zuerst begriff Hans Heinrich das Angebot nicht so recht; er sah Frau Hortense ganz