Die Hummerzange. Hansjörg Schertenleib

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Die Hummerzange - Hansjörg Schertenleib

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ehemaliges Silberfeuerzeug, das mit Benzin betankt wurde und an einen amerikanischen Straßenkreuzer der fünfziger Jahre erinnerte, lag schwer in ihrer Hand; er hatte die Joints damit angezündet, die er abends gelegentlich rauchte, um sich zu entspannen. Sie nahm eine Zigarette aus dem flachen Etui aus gebürstetem Metall, das sie vor vielen Jahren auf dem Flohmarkt in Zürich gekauft hatte und im Handschuhfach vor Jake versteckte. Sie rauchte hastig, das Fenster einen Spalt geöffnet, sah zu, wie Wolken landeinwärts trieben und ließ den Rauch genüsslich durch die Nasenlöcher strömen. War der Mann angeschossen worden, oder war er tot? Hätte sie Coor von den Spuren erzählen sollen, die sie gefunden hatte? In einem der drei kleinen Mietapartments in der Etage über dem Grocery Store brannte Licht. Sie stieg aus und warf die aufgerauchte Zigarette in den Aschenbecher neben der stillgelegten Eismaschine, die der frühere Besitzer des Store offenbar mitsamt dem Inventar verkaufen wollte.

      Um das Wageninnere durchzulüften, ließ sie alle Fenster nach unten gleiten, ich beseitige Spuren, ging ihr durch den Kopf, und startete die CD, die Jake für sie gebrannt hatte, Leo Kottke, John Renbourn, Bert Jansch, Ry Cooder, Jim Croce, Gitarrenmusik, vieles davon akustisch. Sie kam nicht gern zu spät, sie musste sich beeilen.

      Auf Höhe der Kirche der Harmony Bible Church an der Route 73 North kurz vor South Thomaston fiel ihr ein, dass sie die Zitronen vergessen hatte! Vor dem Hintergrund des dichten Waldes wirkte der weiß gestrichene Bau bei Sonnenschein wie ein Segelschiff, das im Begriff war, in See zu stechen. Vorletzten Sonntag hatte ein Mann vor der Kirche geweint, die Arme ausgebreitet, als wolle er den Schmerz umarmen, der ihn plagte.

      Die Luft im Keag war abgestanden, es roch nach angebratenen Zwiebeln, einzig ein Tisch war nicht besetzt. Linda saß auf einem Stuhl hinter der Verkaufstheke und las in einer Illustrierten; sie hatte ihre grauen Haare zu einem Knoten gebunden und mit einem Clip in Schmetterlingsform zusammengefasst.

      »Pech gehabt, Co«, sagte sie, zuckte entschuldigend mit der Schulter und deutete auf die leere Vitrine, »hab den letzten Donut schon verkauft.«

      Linda verriet Corinna nicht, wer ihr die Zimtdonuts lieferte oder ob sie sie selber buk. Es gab Tage, an denen war Corinnas Verlangen nach einem der Donuts so groß wie noch vor Kurzem nach der beruhigenden Wirkung von Benzodiazepin.

      »Dafür hast du bestimmt Zitronen für mich«, sagte Corinna und zog ihr Portemonnaie aus der Handtasche.

      »Was soll ich denn mit Zitronen? Kann man die rauchen?«

      3 Zehn Minuten für Keith Richards

      Die Wimpern von Jakes rechtem Auge strichen ihr über die Wange, ein Schmetterlingskuss, der sie weckte. Ohne sich zu rühren sah sie, wie der Wind Regengarben gegen die Bogenfenster trieb, hörte sie, wie Tropfen über ihren Köpfen auf das Dach von Jakes Turm prasselten, in dem sich sein Schlafzimmer und darunter seine Gitarrenwerkstatt befanden. Das Licht des frühen Morgens fiel flach und ohne Kraft über das Meer, das als undurchdringliche schwarze Fläche in der Bucht vor ihr lag. Von der Brandung war bis auf ein verschämtes Rauschen, das sie sich vielleicht bloß einbildete, nichts zu hören. Unten am Strand, der zu Jakes Grund gehörte, war das Donnern so gewaltig, dass es unmöglich war, sich in normaler Lautstärke zu unterhalten. Bei ihrem letzten Strandspaziergang hatten sie Treibholz für die Windspiele gesammelt, die sie seit einigen Wochen machte, und Muscheln aus Seetangmatten geklaubt, aus denen Wolken schwarzer Fliegen aufstiegen. Angespülte Schaumfetzen hatten in der Sonne geglitzert. Der hinterste Abschnitt des Strandes diente als Rastplatz für Zugvögel, die Felsen waren weiß von ihrem Kot.

      Jake schmatzte im Schlaf, lächelnd, das Gesicht schutzlos entspannt. Sie betrachtete die Krähenfüße um seine Augen, die grauen Haare an den Schläfen und die winzige Narbe am Kinn, von der sie noch immer nicht wusste, woher sie stammte. Seine Blechgitarre stand bedenklich schräg in ihrem Gestell, und sie fragte sich, wann er zuletzt darauf gespielt hatte. Langsam wurde das Licht über der Bucht gespenstisch gelb, sie sah, wie aufgewühlt der Atlantik war und wo er aufhörte und wo der Himmel anfing. Es war kühl im Raum, fröstelnd ließ sie ihren Blick über die Tonfigur auf der Kommode, den Stapel Langspielplatten an der Wand, ihre Schuhe und Jakes Bikerstiefel auf dem weiß gestrichenen Bretterboden gleiten. Gestern Abend hatte sie auch im Southend Grocery Store keine Zitronen erhalten und darum im Hannaford vor Camden haltmachen müssen; Jake hatte kein Wort darüber verloren, dass sie beinahe eine halbe Stunde zu spät gekommen war. Gemeinsam hatten sie die Muscheln und einen Salat zubereitet und sich später auf dem Sofa im Wohnzimmer seines Cottages Mud mit Matthew McConaughey in der Hauptrolle auf DVD angesehen, in dem Sam Shepard eine seiner letzten Filmrollen spielte.

      Das Laken war kühl, das Bettzeug duftete nach Jasmin. Sie spürte ihren Pulsschlag in der Schläfe, den Anflug von Kopfschmerzen; das Wetter schlug um, der Sommer war wohl vorbei. Nach dem Film hatte Jake von einem Flug von Boston nach Seattle erzählt, auf dem die unbekannte Frau, die neben ihm saß, ihn fragte, ob sie während der Landung seine Hand halten dürfte. Nachdem die Maschine sicher auf der Landebahn aufgesetzt hatte, waren sie schweigend Hand in Hand sitzen geblieben; nach einer Weile hatte sie ihren Sicherheitsgurt gelöst und war ohne sich zu verabschieden ausgestiegen.

      Corinna verspürte den Wunsch, Jake über Wangen und Kinn zu streichen, wie sie es machte, wenn sie ihm das Sägemehl des Holzes, aus dem er seine Gitarren baute, aus den Bartstoppeln wischte, doch sie wollte ihn nicht wecken und stieg vorsichtig aus dem aus Eisenbahnschwellen gezimmerten Bett, schlich auf Zehenspitzen ins kleine Bad, setzte sich auf die Toilette, löste mit angehaltenem Atem Wasser, als mache das ihr Plätschern unhörbar, und sah dabei aufs Meer hinaus. Die Wellen trugen Silberkronen, weit, weit draußen glitt eine Fähre vorbei, ein Koloss im dunklen Wasser, undeutlich wie ein Geisterschiff in einem Traum.

      Bevor sie sich hinlegte, warf sie einen Blick aus dem Fenster hinter dem Bett: Die Straße glänzte im Regen, sie hörte das Geräusch von Reifen auf nassem Asphalt, ohne irgendwo ein Auto zu sehen. Obschon kein Sonnenlicht die Bäume traf, schien der Wald jenseits der Straße vor lauter Farben zu explodieren. Das Rot war von unglaublicher Intensität und leuchtete, als stehe es unter Strom. Noch vor wenigen Tagen waren die Blätter grün gewesen, nun war der Wald ein endloses Meer in satten Bunttönen, Rot, Gelb und Orange, das im Wind hin und her wogte.

      »Steht ihr Schweizer immer so früh auf?«

      Sie hatte nicht bemerkt, dass Jake erwacht war; er lag auf dem Rücken, die Finger hinter dem Kopf verschränkt. Seine Stimme klang schläfrig, sein Silberblick war so irritierend und aufregend wie am Tag, an dem sie sich in der Buchhandlung Owl & Turtle in Camden begegnet waren. Sie kroch zu ihm unter die Decke und presste sich an ihn.

      »Steht ihr Schweizer immer so früh auf?«, fragte er noch einmal.

      »Nur die Frauen.«

      »Genau wie bei uns.«

      »Es regnet.«

      »Dann ist es am gemütlichsten hier oben.«

      »Wie in einem Zelt.«

      »Wird der Wind stärker, ist das da unten bald ein Kessel aus brodelndem Weißwasser«, sagte er und zeigte auf die Bucht. »Die Dünung wühlt den Schlamm auf, und du siehst nicht mal mehr den Grund.«

      »Futter für die Fische«, sagte sie.

      Er nickte, berührte sie am Schlüsselbein und legte ihr die Hand auf den Arm; seine Finger rochen nach Zitrone, sein Silberarmband auf ihrer Haut war warm und schwer.

      »Glaubst du, der Mann ist tot, Co?«

      »Ich weiß es nicht.«

      »Aber

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