Babys machen und andere Storys. Laurie Penny
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Die Lautsprecheranlage kreischt. »Und jetzt!«, ruft der Moderator, der sich schon ziemlich betrunken anhört. »Unsere letzte Nummer! Eine sexy Szene aus der skandinavischen Geschichte!« Elsa verdreht die Augen.
Drei dürftig bekleidete Kämpfer marschieren auf die Bühne, gefolgt von einem Kerl mit Federschmuck auf dem Kopf, der über der rotbraunen Körperbemalung kaum Stoff am Leib hat.
»Machen Sie sich bereit, Ladys«, sagt der Moderator. »Die Wikinger entdecken Amerika!«
Das war’s. Du bist am Ende.
»Gehen wir«, sagt Elsa bestimmt.
Im Taxi ist es kühl und still. Elsa schweigt. Ihr Hotel liegt auf dem Weg zu deiner Wohnung, und sie hat dem Fahrer aufgetragen, dich nach Hause zu bringen. Im Autoradio berichtet ein Mann mit weichem walisischen Akzent vom Krieg in der Ukraine.
»Das ist nicht recht«, sagt Elsa schließlich. »Diese jungen Männer – in Schweden würden wir sagen, sie sind wie Sklaven. Wie kann man über so etwas lachen?«
»Ich …«, beginnst du und hältst inne.
Wie sollst du es ihr sagen, dieser mächtigen älteren Frau? Wie kannst du es ihr sagen, ohne dass es naiv klingt, ohne dass sie noch mehr Mitleid mit dir bekommt? Dass du auch da gearbeitet hast. Dass du jung warst und dass du arm warst, dass du aber kein Sklave warst. Dass du auch Macht hattest, auf deine Art, vorübergehend. Es war nicht viel Macht, aber es war deine. Und ja – manchmal hat es Spaß gemacht.
Elsa seufzt. Dann schiebt sie die Hand über den glatten Ledersitz und legt sie auf deine.
Jeder einzelne Muskel deines Körpers wird steif.
Elsa sieht aus dem Fenster in die andere Richtung. Im Licht der Straßenlaternen leuchtet die schöne Silhouette ihrer Stirn natriumorange. Sie sieht sehr müde aus und sehr mächtig. Am liebsten würdest du sie küssen. Du möchtest nicht, dass sie dich küsst. Am liebsten würdest du schreien.
Du rührst deine Hand nicht vom Fleck.
Blue Monday
»Frauen und Katzen tun, was sie wollen.«
Robert A. Heinlein
Früher wollte ich die Welt retten. Jetzt will ich nur meine Katze wiederhaben.
Mit diesen Gedanken checke ich um sieben in der Firma ein. Der Himmel über dem Parkplatz ist schon dunkel, als ich meinen Dienstausweis durchziehe. Bei den Arbeitszeiten bekommt man von der Sonne nicht viel zu sehen.
Ich stiefele durch die Sicherheitskontrolle zur Monitorwand, an der die Tagschicht auf Ablösung wartet, Simon oder Steve, oder vielleicht ist es auch Stuart. Mit dem schwarzen T-Shirt und dem zotteligen Bart sehen sie für mich alle gleich aus. Wär schön, ich könnte mir einen Bart wachsen lassen. Dann könnte nicht jeder Arsch mein Gesicht angucken.
An 4Chan CATastrophe sieht man, dass es heute Nacht noch hoch hergeht, sagt er. Mehr als 200 000 Aufrufe in den letzten beiden Stunden, die Livecam-Nutzer nicht mitgezählt.
Ich schaff das schon, sage ich.
Super, sagt er. Dann lass ich dich allein. Ich muss nach Hause, die Katze füttern.
Mhm, sage ich.
Du magst wohl keine Katzen?, fragt er. Ich tue, als hätte ich ihn nicht gehört. Da kapiert er es endlich und trollt sich.
Nur, damit das klar ist: Nein, ich mag keine Katzen. Als Tierart sollen die hinterhältigen kleinen Monster nur in ihrem Körbchen bleiben. Ich mag keine Katzen. Ich mag Katze. Ich mag eine Katze. Meine Katze.
Und die haben sie mir gestohlen. Wenn alles nach Plan läuft, zahle ich es ihnen heute Nacht heim. Aber wie. Vorerst kann ich allerdings nur warten und die Bildschirme überwachen.
Der Monitorraum ist ganz okay. Es ist ruhig, und in den sechs Jahren, die ich schon hier arbeite, hat sich der Drehstuhl praktisch der Form meines Hinterns angepasst. Wenn mir kurz die Augen zufallen, kann ich die Bildschirme immer noch sehen. Es sind vierundzwanzig. Jeder zeigt ein Set: Wohnzimmer, Bäder, Gärten.
Das blaue Licht tanzt über meine Haut, als ich nach den Datentransferzahlen schaue. Nerdy Zottelbart lag richtig mit seiner Vermutung. Klar ist heute Abend viel los. Es ist der dritte Montag im Januar. Man nennt ihn auch den Blauen Montag. Offiziell der Depri-Tag des Jahres. Die Zeitungen verbreiten mal wieder Horrorstorys über neue Selbstmordrekorde, aber die meisten Leute kommen klar, fühlen sich nur noch ein bisschen mieser als sonst und töten den Schmerz mit Kätzchenvideos.
Oder Welpenvideos. Oder Ferkelchenvideos. Wir haben sie alle da. Auf jedem Bildschirm toben, bellen, quietschen und schnarchen Tierkinder in gefakten Wohnzimmern herum, die verschleiern sollen, dass wir das Zeug im industriellen Maßstab raushauen. Ich sehe wieder nach den Zahlen. Die kleinen Bulldoggen sind heute Abend besonders beliebt.
Das gehört sich auch. Immerhin haben wir den alten Wurf gerade erst durch einen frischen ersetzt.
Ich mache eine Tüte Frazzles auf und hole mir die Faultiere auf den Hauptmonitor. Das wären meine Lieblingstiere, wenn ich welche hätte.
Für diesen Job braucht man eine besondere Konstitution. Normalerweise stellen sie keine Mädchen ein, weil Mädchen so verrückt sind nach Küken, Welpen und Kätzchen. Es fehlt ihnen an der nötigen professionellen Distanz, vor allem, wenn die Tierchen groß werden, beißen, überall hinscheißen und das Unvermeidliche geschieht.
Mögen Sie Tiere?, fragten sie mich im Bewerbungsgespräch.
Ich erwiderte, dass ich eigentlich gar nichts mag außer Scandal und Chips und manchmal meiner Mum, wenn sie mit mir redet. Sie sagten, ich sei eingestellt.
Später mochte ich auch Jackie und Pocket. Das kam eher unerwartet. Jackie arbeitete in dem Café, in dem ich immer schwarzen Kaffee und Käsecracker frühstückte. Ich saß gern allein, kümmerte mich um meinen eigenen Mist. Aber eines Tages kam sie und fragte mich, warum ich immer so traurig sei.
Ich bin nicht traurig, sagte ich, ich bin Misanthropin. Kannst du nachschlagen.
Jackie lachte nur und fragte, ob sie mir nachschenken solle.
Drei Wochen später zog sie bei mir ein.
Von der Katze erzählte sie mir erst, als es schon zu spät war, und wahrscheinlich war das gut so. Sie wusste, dass ich keine Katzen mag. Im Grunde mag ich gar keine Tiere, aber Katzen sind am schlimmsten. Am zweitschlimmsten, nach Menschen.
Katzen haben den Dreh raus, sagte ich. Das sind die schlimmsten Parasiten. Die wahren Herren im Haus. Die kleinen Tyrannen drehen es so, dass sie auf unsere Kosten den ganzen Tag faulenzen können. Wusstest du, dass sie die Geräusche menschlicher Babys nachahmen, damit wir uns mehr um sie kümmern?
Wusstest du, sagte ich, dass sie sogar einen Wurm in sich tragen, der sich in deinem Gehirn festsetzt und dafür sorgt, dass du Katzen magst? Das ist teuflisch, sagte ich eines Abends, nachdem ich den Kampf um den Platz an Jackies linker Seite mal wieder gegen Pocket verloren hatte.