Ostfriesische Verhältnisse. Peter Gerdes
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Читать онлайн книгу Ostfriesische Verhältnisse - Peter Gerdes страница 18
»Hallo? Hast du die Sprache verloren?«
»Ach was, nee … Hallo, mein Schatz. Du hast recht, ich hab wirklich Stress im Moment.« Gewöhnlich wirkten ein paar Worte mit Sina gerade in solchen Momenten wie eine kühlende Hand auf heißer Stirn. Jetzt aber, stellte er mit Erstaunen fest, hätte er sie am liebsten weggedrückt.
»Kann ich mir denken. Ich gucke nämlich gerade RTL. Sieht so aus, als hätten die eine Kamera direkt vor dem Haus postiert, wo dein aktueller Mord passiert ist. Bist du dort gerade drin?«
»Nee, ich bin noch zu Hause«, entfuhr es ihm. »Wieso Kamera vor dem Haus – sag bloß, die übertragen live! Was denn, in Gottes Namen?«
»Ein Reporter befragt Passanten, hat aber Mühe, überhaupt welche zu finden um diese Zeit.« Sina lachte. »Ziemlich sinnfrei, das Ganze. Neue Informationen hat er offenbar nicht. Aber woher auch, wenn die Polizei noch ganz gemütlich beim Frühstück sitzt.«
»Was heißt hier gemütlich und Frühstück! Weißt du eigentlich, wie spät es letzte Nacht geworden ist?« Ja, sagte er sich, das weiß sie, das hat sie ja alles bei früheren Gelegenheiten schon mitgekriegt. Aber seine Worte strömten parallel weiter. »Hör mal, einen einzigen Becher Kaffee habe ich mir gegönnt! Nennst du das ein gemütliches Frühstück? Und den habe ich nicht einmal genießen können, weil ich ja selbst hier keine Ruhe …« Jetzt endlich schaffte er es, sich zu unterbrechen. Sein Körper fühlte sich todmüde an und sein Verstand träge, aber seine Nerven waren eindeutig am schlimmsten dran.
»Dann sollte ich dich wohl besser in Ruhe lassen«, hörte er Sina sagen. »Dachte ja nur, du könntest eine kurze Aufmunterung vertragen. Aber belasten will ich dich natürlich nicht.«
Stahnke atmete tief ein. Wenn Sina sarkastisch wurde, war Vorsicht geboten. Aber war das jetzt Sarkasmus gewesen – oder schon wieder Ernst?
»Wenn es dir mal in den Plan passt, kannst du mich ja anrufen, okay? Sprich mir einfach auf die Mailbox. Mach’s gut.«
Verflucht, dachte Stahnke, jetzt aber fix die fällige Entschuldigung! Aber ihm wollten die Worte dazu nicht einfallen. Und dann war die Leitung auch schon tot.
Die Uhrzeiger rückten gnadenlos vor, trotzdem hätte Stahnke umgehend bei Sina zurückgerufen, wenn sich sein Handy nicht gleich wieder gemeldet hätte. »Was?«, schnauzte er hinein. Er hoffte direkt, dass sein Vorgesetzter dran war.
Es war aber Kramer. »Gestern am frühen Abend ist schon wieder geschossen worden«, teilte er mit. »Hab’s gerade erst erfahren. Eigentlich mehr durch Zufall.«
»Zufall?« Stahnke kippte seinen Kaffeerest in die Spüle, stellte den Becher weg und machte sich auf den Weg ins Bad. »Wieso Zufall? Seit wann sind wir vom 1. Kommissariat nicht mehr die erste Zuständigkeit für Schießereien?«
»Sind wir, selbstverständlich, sofern auf Menschen geschossen wird. Dieser Schuss aber galt einem Hund.«
Ach herrjeh! Stahnke versuchte, die Dusche aufzudrehen, ohne sich den Ärmel seines Bademantels nasszumachen. »Ein Jagdunfall? Oder womöglich irgendwelche Bratzen mit einem Luftgewehr? Dann würde ich ja in der Tat vorschlagen …«
»Nein, die Tatwaffe war eine Pistole, Kaliber 22.«
Der Hauptkommissar pfiff durch die Zähne. »Kaliber 22? Also 5,6 Millimeter, wenn ich mich nicht irre. Das klingt nicht nach viel, ist aber nicht ohne. Mit so etwas herumzuballern, ist absolut kein Spaß.«
»Der getroffene Hund gehört Oliver Eickhoff«, ergänzte Kramer lakonisch.
Stahnke hätte fast das Telefon fallen lassen. »Was? Und jetzt sag bloß noch … Wurden die Geschosse schon untersucht? Und verglichen?«
»Ja, wurden sie«, erwiderte Kramer. »Und nein, sie sind absolut unterschiedlich. Das Geschoss, das aus dem Hintern von Eickhoff junior operiert wurde, hat Kaliber 7,65. Beide Waffen konnten bisher noch nicht identifiziert werden.«
»Ich bin sofort da«, sagte Stahnke und beendete das Gespräch. Das Duschen würde heute schnell gehen müssen. Die Sache mit Oliver Eickhoff drohte ihm auf die Füße zu fallen, so groß, wie das öffentliche Interesse daran jetzt schon war und erst noch werden würde. Und inwiefern es einen Zusammenhang mit dem Mord an Frederik Jaschinsky gab, musste so schnell wie möglich geklärt werden.
Schuss auf Eickhoff junior, Schuss auf Eickhoffs Hund, Mord an Jaschinsky – wenn das die zeitliche Reihenfolge gewesen wäre, hätte Stahnke angesichts der Bekanntschaft der beiden jungen Männer sofort auf eine Rache-Eskalation getippt und das Alibi des Kaufhaus-Knaben für die Mordnacht überprüfen lassen. Aber das erübrigte sich, denn die Abfolge war ja Eickhoff – Jaschinsky – Eickhoffs Hund, und während des Mordes in der WG-Wohnung lag Oliver Eickhoff bäuchlings im Krankenhaus, kaum dazu in der Lage, einen Muskelmann stundenlang zu foltern und dann zu töten.
Natürlich konnte der kleine Eickhoff auch jemanden für die Drecksarbeit engagiert haben, statt sich selbst die Hände schmutzig zu machen. Ebenso wie auch Jaschinsky. All das bewies dem Hauptkommissar nur erneut, dass solche Spekulationen zwecklos waren.
Beim Abtrocknen fiel ihm Sina wieder ein. Verdammt, die musste warten. Außerdem würde sie jetzt sowieso nicht mehr ans Telefon gehen.
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