Der Kodex des Bösen. Frank Kurella
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»Wenn ich nur daran denke, wer alles nach dem Tod der Herzogin Irmgard Ansprüche auf Limburg erhoben hat, wird mir übel!« Der Dicke, der sehr nah an der Ecke zu Marcus’ Lauschposten stand, drehte sich plötzlich um und spie in das Heu, an dem der hellblonde Heranwachsende sich zu schaffen machte. »Graf Heinrich von Luxemburg und Walram ›der Rote‹ von Valkenburg lenkten indes ein und verzichteten auf das Herzogtum. Gottlob, dass sie heute an unserer Seite stehen, um den Kampf gegen den Brabanter aufzunehmen. Doch Graf Adolf von Berg, der Verräter?«
Auch von diesem Landesfürsten hatte der Wanderprediger gesprochen. Der Graf sei ein Vetter der Limburgerin gewesen, hatte er gesagt, und so wären die Rechte durch die Heirat seiner Nichte Margarethe mit dem Sohn des Herzogs von Brabant an das Haus desselbigen übergegangen.
Marcus’ Gedanken drehten sich angesichts dieses Verwirrspiels und den unterschiedlichen Sichtweisen zu ein und derselben Sache. Was war wahr und was nur simples Gerede? Wie sollte er, ein einfacher Mann aus Neuss, dies unterscheiden können? Unmöglich! Marcus rammte die Forke mit einem Ruck ins Heu und ging von dannen. Zumindest wusste er jetzt, dass es hier um verworrene Machtspiele zwischen dem Erzbischof von Köln und dem Herzog von Brabant im Kampf um das Erbe Limburgs ging. Das musste reichen. Die Wut in den Stimmen der Männer ließ Marcus erahnen, dass es wohl unausweichlich zu einer kriegerischen Auseinandersetzung zwischen den Getreuen beider Seiten kommen würde. Damit wollte er auf keinen Fall etwas zu tun haben – so viel war klar.
*
»Und ich dachte, Ihr wolltet mit mir keine, sagen wir, ›Geschäfte‹ mehr machen? Umso mehr bin ich überrascht, dass Ihr so dringlich nach mir habt schicken lassen.« Trotz seiner devoten Haltung hatte das Lächeln des hageren Mannes etwas Überhebliches. Mit einem Mal lachte er sogar lauthals und richtete sich kerzengerade auf. Doch sein Gegenüber dachte nicht daran, sich von diesem Gehabe beeindrucken zu lassen.
»Schweigt! Wenn es nicht von äußerster Wichtigkeit gewesen wäre, so wäre ich lieber zur Hölle gefahren, als jemals wieder in Eure hässliche Fratze blicken zu müssen.« Bei diesen Worten holte der Alte einen prall gefüllten Ledersack aus der Schatulle, die geöffnet vor ihm stand, und schüttete die Münzen klimpernd auf den Tisch.
Das aufgesetzte Lachen des Mannes verstummte abrupt. Er zog ein schmutziges Tuch aus seinem löchrigen Gambeson und tupfte sich aufgeregt die Stirn. »Und was ist Euch so wichtig, dass eine solch hohe Summe den Besitzer wechseln soll?« Jegliche Überlegenheit des Hageren war verschwunden. Stattdessen blitzte aus seinen Augen nur noch unendliche Geldgier.
Der Alte hingegen genoss die Macht der Münzen und lehnte sich genüsslich in seinem Stuhl zurück. »Wer sagt mir, dass Ihr überhaupt der Richtige für die Aufgabe seid? Ich hege den Verdacht, dass ich mir Eurer Verschwiegenheit nicht mehr sicher sein kann.«
»Oh, nein! Ich habe nie und nimmer mit jemandem über Eure Aufträge gesprochen!« Eilig hob er die rechte Hand zum Schwur. Die Geste wirkte grotesk, da ihm der Zeigefinger fehlte.
»Schwört nicht einen falschen Gotteseid, den Ihr schon bald bereut, wenn Ihr im Feuer des Beelzebubs angekommen seid. Ich war sehr verwundert, als mir mein ärgster Widersacher kürzlich Einzelheiten vortrug, die außer mir nur Ihr wusstet. Einzelheiten, die mit Eurem letzten Auftrag in engem Zusammenhang stehen.«
Der Hagere griff erneut nach seinem Tuch und tupfte nun noch aufgeregter den kalten Schweiß von seiner hohen Stirn.
Ruhig und mit innerer Gelassenheit zählte der Alte ein paar der Münzen ab und stopfte sie in eine kleine Geldkatze aus gelblichem Leder. »Ich will nicht nachtragend sein. Betrachtet dies als Anzahlung«, sprach der Greis mit gnädigem Unterton und warf dem Ausgezehrten das Säckchen zu.
»Anzahlung? Wofür? Was soll ich tun?«
*
Die Dämmerung war hereingebrochen, und die ersten Männer zogen sich bereits in ihre Zelte zurück. In den nächsten Tagen würden sie all ihre Kräfte brauchen. Nach Schlafen stand Marcus nicht der Sinn. Eine Frage nagte ununterbrochen an ihm wie eine Ratte an einem Stück fauligem Fleisch. Eine Frage, in der er bisher noch keinen Schritt weitergekommen war: Wohin sollte er nur gehen? Plötzlich fiel ihm sein Freund Gernot Thelen ein, der auf einem kärglichen Ziegenhof an der Straße nach Büttgen lebte. Seit einigen Jahren waren sie eng verbunden, und Thelen war ihm ein väterlicher Freund geworden, auch wenn sie sich zuletzt nur an den Jahrmarkttagen in der Stadt getroffen hatten. Zu ärgerlich, dass er nicht früher an ihn gedacht hatte. Für heute war es schon zu spät geworden, sich auf den Weg nach Büttgen zu machen. Morgen früh würde er sofort aufbrechen. Er würde dem Ziegenhirten die ganze Geschichte erzählen und war überzeugt, seinem Freund blind vertrauen zu können. Jedoch für diese Nacht musste Marcus sich einen Schlafplatz hier im Lager suchen.
Erst jetzt bemerkte Marcus, dass viele Männer, trotz der einsetzenden Lagerruhe, in ein und dieselbe Richtung eilten wie die Gläubigen zum sonntäglichen Kirchgang. Als er sich umdrehte, um den Vorbeieilenden nachzuschauen, sah er vom Rande des Lagers her einen Feuerschein. Für einen Brand war er, Gott sei Dank, zu schwach. Es musste sich um eine größere Anzahl Fackeln handeln, die dort den Abendhimmel erhellten. Neugierig schloss sich Marcus dem Strom der Männer an und hastete mit ihnen in die Richtung, aus der der warme Lichtschein kam.
Schon wenige Schritte später hörte er die Klänge einer Drehleier, und kurz darauf erreichten sie die erleuchteten Zelte einer Gauklertruppe. Die Spielleute hatten ein kleines Holzpodest errichtet, sodass man dem einsetzenden Treiben selbst aus der letzten Reihe gut folgen konnte. Dies schien auch vonnöten, denn etwa acht Dutzend Männer drängten sich bereits ungeduldig um den Platz. Die Anzahl der Zelte, die sich hinter dem Podest befanden, verriet, dass es sich um eine größere Gruppe Gaukler handeln musste. Die Ärmlichkeit des Lagers ließ hingegen erahnen, dass sie nicht gerade zu den Erfolgreichsten ihres Gewerbes gehörten.
»Tretet näher, verehrte Recken, und lasst Euch befreien vom Trübsal der bevorstehenden Schlacht. Ich, Meister Dominikus von Dobberstein, werde Euch mit meinen Mannen – und natürlich mit unserer holden Weiblichkeit – auch heute wieder in ein Bad der Freude, an einen Hort der Glückseligkeit entführen.«
»Wo ist die Rote?«, brüllte ein offenbar angetrunkener Kerl ungeduldig aus der Menge. Im Halbdunkel erkannte Marcus an der prägnanten Aufteilung des Wappenrocks, dass es sich um einen der Männer handelte, für welche die morgendliche Felllieferung bestimmt gewesen war. Er war nicht allein. Zu fünft standen sie dort breitbeinig im Gedränge.
»Ludolf hat recht! Schafft die Irin her!«
»Oh! Die werten Herren waren wohl auch gestern schon Zeuge der großen Künste meiner Gaukler. Es scheint mir, dass es weniger die Spielleute, als vielmehr die liebreizende Patricia ist, die Euch erneut zu uns kommen lässt?« Bei diesen Worten rollte der Mann auf der Bühne, der noch ärmlicher anmutete als seine Zelte, vielversprechend mit den Augen.
»Wir wollen die Tänzerin sehen!«, riefen nun weitere Männer von der anderen Seite des Halbrunds herüber.
»Geduld, Geduld«, versuchte Dominikus von Dobberstein die fordernde Menge zu beruhigen. »Ich verspreche Euch, die rote Irin wird noch heute Abend für Euch tanzen und Eure Sinne betören! Ja, nicht nur das! Sie wird sich einzig und allein für Euch todesmutig den Messerwürfen des Niko von Kroatien stellen. Doch zuvor habt Ihr die Gelegenheit, verehrte Recken, die Geschicklichkeit des Jacobus van der Keul auf dieser Bühne zu bewundern.« Schwungvoll drehte er sich mit einer imposanten Geste zu einem Vorhang um, der hinter ihm über eine hohe Querstange drapiert war. Auf ein Zeichen Dobbersteins hin erklang Dudelsackspiel, und ein dröhnend rhythmischer