Baltrumer Wattenschmaus. Ulrike Barow

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Baltrumer Wattenschmaus - Ulrike Barow

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verkommen aus. Zur Pflege haben die keine Lust. Zumindest habe ich die auf dem Friedhof nur ganz selten gesehen. Selbst das Belegen mit Muscheln ist bei Kramers noch nicht angekommen. Aber was sage ich immer: Die Dinger gehören an den Strand.«

      »Der Lauf der Zeit«, bestätigte Röder. »Und wenn man bedenkt, dass es nicht einmal Baltrumer Muscheln sein dürfen …«

      »Genau«, schaltete sich Bodo ein, »ich habe vielleicht einen auf den Sack bekommen, als ich am Strand Muscheln gesammelt habe und mir zufällig einer vom NLWKN in die Quere gekommen ist. Ich Blödmann habe auch noch frank und frei erzählt, dass die Muscheln für das Grab meiner Großmutter seien. Da durfte ich die Wippe sofort wieder ausleeren und den Inhalt zu dem Riesenhaufen von einer Million anderer Muscheln zurück in den Sand kippen. Ich habe dann Muscheln aus Holland bestellt. Tja, das ist deutsche Gesetzgebung. Völlig verrückt!«

      Röder wusste, dass es verboten war, Muscheln vom Strand mitzunehmen, aber auch er fand diese Regelung ziemlich absurd. Strandschutz war wichtig. Klar. Aber so viele konnte man gar nicht entnehmen, dass der Strand einer Gefährdung ausgesetzt war. Zumindest den Insulanern sollte es erlaubt sein, die Gräber oder auch den Vorgarten zu schmücken. Wobei er allerdings auch wieder an Sandras Argumentation denken musste. Sie hatte, seit sie auf dem Hof seines Freundes Arndt Kleemann gewesen war, ihre Liebe zu den Bienen entdeckt und wünschte sich nichts mehr, als dass jedes Grab und jeder Vorgarten wieder bepflanzt würden.

      Motorengeräusch holte ihn aus seinen Gedanken. Alex und seine Leute rückten an. Er verabschiedete Bodo und Tim fürs Erste, nicht ohne die Bitte an den Totengräber, sich am nächsten Morgen auf dem Friedhof einzufinden. Seine Hilfe konnte beim Abtransport der sterblichen Überreste nötig sein. Dann half er den Feuerwehrleuten, den Schutz aufzubauen. Zusätzlich sicherten sie die Fundstelle mit Flatterband. Röder war sich zwar nicht ganz sicher, ob das Band eine Hilfe war, oder in dem einen oder anderen erst recht den Wunsch weckte, einmal in das Zelt hineinzuschauen. Er hatte jedoch keine Lust, die Nacht auf dem Friedhof zu verbringen, und sein neuer Hilfssheriff, der ihm in den Sommermonaten zur Seite stand, würde erst in zwei Tagen seinen Dienst antreten.

      Er schaute auf die Uhr. War es schon zu spät, um bei Kramers an die Tür zu klopfen? 21 Uhr. Ging noch. Er verließ den Friedhof und fuhr los. Weit kam er jedoch nicht, da setzte prasselnd der Regen ein. Bevor er das Deichschart bei der »Teestube« erreicht hatte, war er völlig durchnässt. Wie gut, dass ich meine Regenjacke zu Hause am Garderobenhaken gelassen habe, dachte er. So wird sie wenigstens nicht nass! Nein, er konnte Kramers nicht zumuten, dass er so bei ihnen auftauchte. Er würde erst nach Hause fahren, sich um- und diesmal wetterfest anziehen.

      Jetzt nichts wie rein. Beinahe warf er sein Rad an den Zaun und öffnete fast gleichzeitig die Tür zur Dienstwohnung.

      »Zieh die Klamotten im Bad aus!«, hörte er Sandra aus dem Wohnzimmer.

      Er zog das kleine Stück Reißverschluss wieder zu. Sie sollte ihren Willen haben. War auch besser so. Der Regen hatte ihn bis auf die Haut durchnässt, so klebte selbst das Unterhemd an seinem Rücken.

      »Willst du einen Tee zum Aufwärmen?« Sandra stand in der Tür und schaute ihn mitleidig an, als er mühsam seine Füße von den Socken befreite.

      »Nein. Nur etwas zum Anziehen. Ich muss wieder los.« Während er sich trockenrubbelte, erzählte er ihr, was der Grund für seine Aktivitäten war. »Ich bin echt gespannt darauf, was sich aus dem Leichenfund ergibt.«

      »Ich auch. Das muss ja gruselig ausgesehen haben.«

      »War nicht so schlimm. Es waren nur Knochen übrig. Es war kein Fleisch mehr dran und auch keine Haut. Außerdem sah man die Reste eines dunklen Stoffs.«

      »Warten wir also auf die Ergebnisse der Rechtsmedizin. Ist denn hier mal jemand vermisst worden? Ich kann mich nicht erinnern«, sagte Sandra.

      »Ich habe auch nichts auf dem Plan. Wenn es sich um einen Inselbewohner handeln würde, wäre mir der Vorgang sicher bekannt.« Er wischte sich ein letztes Mal mit dem Handtuch über den Bauch.

      »Es schüttet doch ganz schön«, gab Sandra zu bedenken. »Würde es nicht reichen, wenn du Kramers anrufst?«

      Er schüttelte den Kopf. »Nein. Ich möchte die Reaktion sehen. Wir kennen wie gesagt keine Zusammenhänge. Es nützt nichts. Ich muss los.«

      Röder hatte das Gefühl, dass selbst Amir, ihrer beider Heidewachtel, ihn bedauernd anschaute, als er die Haustür hinter sich schloss. Es regnete immer noch und der Wind hatte zugenommen. Von dem lauen Maiabend, der Sandra und ihn gestern zu einem späten Strandspaziergang eingeladen hatte, war nichts mehr zu spüren. Er sah kaum einen Menschen auf der Straße.

      Er fuhr die Düne hoch zu Kramers Haus und klingelte. Nichts rührte sich. Er versuchte es ein zweites Mal. Dann öffnete sich die Tür.

      »Wer will da was von uns zu später Stunde?«, brummte Klaus Kramer mit tiefer, vom regelmäßigen Alkoholkonsum verdunkelter Stimme.

      »Ich bin es. Michael. Darf ich reinkommen?«

      Wortlos machte ihm Klaus Kramer Platz. Im Wohnzimmer sah Röder Elli sitzen. Sie drückte den Ton des Fernsehers weg. »Was führt dich zu uns?«

      Ein zweites Mal erzählte er an diesem Abend von dem Fund und sah, wie die beiden ihn immer ungläubiger anschauten.

      »Unser Grab?«, fragte Elli fassungslos. »Im Grab von unseren Eltern?«

      »Von meinen Eltern«, warf Klaus ein.

      »Ja, ist gut«, wischte Ella seine Worte genervt weg. »Ich will sie dir nicht nehmen.«

      »Die letzte Beerdigung hat vor zwei Jahren stattgefunden, richtig?«, fragte der Inselpolizist.

      »Ja, da ist sein Vater gestorben.« Ella zeigte mit dem ausgestreckten Finger auf ihren Mann, der seinen breiten Körper im Sessel versenkte. »Seitdem haben wir uns allerdings nie mehr so richtig um das Grab gekümmert. Mal eine Blume drauf gepflanzt, wenn wir im Garten was übrighatten, das war es auch schon.«

      Er stand auf. »Die Leiche wird morgen früh abgeholt. Ich bitte darum, dort keine Spuren zu zerstören.«

      »Wenn du damit sagen willst, dass du denkst, dass wir die Knochen heute Nacht bereits aus dem Grab entfernen, hast du dich getäuscht. Außerdem, wer bezahlt uns eigentlich das Wiederherrichten des Familiengrabes?« Klaus Kramer schaute den Polizisten vorwurfsvoll an.

      »Klaus. Halt die Klappe!« Energisch schob Ella sich aus dem Sessel und beugte sich drohend über ihren Mann. »Als ob Michael nichts Wichtigeres zu tun hätte!«

      Tatsächlich. Hatte er. Und wenn es nicht der Fall gewesen wäre, hätte er in diesem Moment wichtige Aufgaben erfunden. Er wollte nichts wie raus, sich zu Sandra ins Wohnzimmer setzen und ein Glas Rotwein genießen.

      »Ich gehe dann mal«, sagte er knapp und verließ das Haus, ohne eine Antwort abzuwarten.

      3

      Aus dem einen Glas Rotwein waren drei geworden. Das merkte Röder am nächsten Morgen, als in aller Frühe sein Telefon klingelte.

      »Paul Abarth hier«, meldete sich der Leiter der kleinen Baltrumer Inselschule. »Hätten Sie Zeit für mich? Wir wollten über die Fahrradkontrolle sprechen.«

      »Natürlich. Wann? In einer halben Stunde?«, antwortete

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