Die partizipative Marktwirtschaft. Jens Mayer

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Die partizipative Marktwirtschaft - Jens Mayer

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(PMW) werfe ich einige andere, zusätzliche und erweiternde Aspekte in den Ring. Welche Modelle in der Zukunft eine politische Rolle spielen mögen, welche Ideen, Ideale und Konzepte angewandt, modifiziert und verändert werden, das kann nur eine aktive demokratische Zivilgesellschaft in Aushandlungsprozessen entscheiden. Dass sich etwas ändern muss – dass wir als Menschheit so wie bisher nicht mehr weitermachen dürfen – sollte in Anbetracht der drohenden Klimakatastrophe klar sein. Gleichzeitig dürfen wir den häufig vorzutreffenden Pessimismus überwinden und auch erkennen, wie privilegiert die Lebenssituation eines typischen Mitteleuropäers heute ist. Deutsche und Franzosen haben bis vor 73 Jahren regelmäßig Krieg gegeneinander geführt. Ein Krieg mit unserem Nachbarland ist heute so unvorstellbar, dass man sich vor Augen führen muss, dass der letzte Vernichtungskrieg gerade ein Menschenleben her ist. Ich hoffe, mit diesem Buch all denjenigen Menschen Ideen und kreative Denkanstöße zu vermitteln, die an eine bessere Zukunft jenseits von Wachstumszwang und Profitlogik glauben und sich für Veränderungen stark machen.

      Der US-Autor Jeremy Riffkin verglich 2004 Europa mit den USA. Er schrieb eine schwärmerische Hymne auf Europa, in der er behauptete, die hiesigen Gesellschaften seien mehr auf das Gemeinwohl ausgerichtet als die amerikanische Gesellschaft. Die Europäer, so behauptet er, würde ihre Freiheit in Beziehungen und Lebensqualität finden, nicht in Autonomie.

      Das ist eine überholte Wahrnehmung. Die neoliberale Wende ist ein globales Phänomen, welches besonders stark auch in Europa zugeschlagen hat. Und doch macht Riffkin auf ein Phänomen aufmerksam: Der fortgeschrittene Sozialstaat und die Solidarität untereinander sind Ideen aus dem Geiste der europäischen Aufklärung. In diesem Geiste soll auch dieses Buch gehalten sein. Im konservativen und neoliberalen Spektrum führt immer noch jeder Gedanke daran, dass neue Ideen jenseits des Kapitalismus erdacht werden könnten, zu Schnappatmung und Schreckensbekundungen, in denen Mao Ze-Dong, Pol Phot, Stalin und andere blutrünstige Gestalten der Weltgeschichte aus ihren Gräbern auferstehen, um den finsteren Kommunismus wiederzubringen. Gerade deshalb ist es umso wichtiger, aufzuzeigen: Ein moderner, liberaler und demokratischer Gegenentwurf, eine Wirtschaftsordnung, die dem Menschen dient (und nicht der Mensch der Wirtschaft), ist möglich. Dank Hollywood können wir uns das Ende der Welt vorstellen – doch das Ende des Kapitalismus können wir uns nicht vorstellen. Die neoliberale Ideologie ist eine Hegemonie. Ihre Wirkung zeigt sich auch dadurch, dass sie der Fantasie Schranken auferlegt. In der akademischen Welt macht man sich mit utopischen Entwürfen schnell unseriös, was in den 1970ern durchaus anders war. Forderten in den 1970er Jahren queere und feministische Proteste noch eine andere Gesellschaft, so wollten sie in den 1990ern eine andere Identitätspolitik. In den 2000ern ging es dann um Gleichstellung und das Recht auf Heirat auch für Homosexuelle. Einerseits haben sich linke Ideale in mancherlei Hinsicht durchgesetzt, andererseits haben Progressive ihre wilden Träume beiseitegelegt. Die wünschenswerte Erdung von früheren Fantasten hat uns zugleich der Fähigkeit beraubt, Gedankenexperimente in luftigen Höhen zu wagen und überhaupt daran zu denken, dass das menschliche Zusammenleben auch ganz anders gestaltet werden könnte. Die Utopie gehört zur Conditio Humana, sie findet sich zu allen Zeiten im Spektrum menschlichen Empfindens und menschlicher Affekte, in der Kunst, in der Mode und im Städtebau ebenso wie im Tagtraum. Angesichts der neoliberalen Hegemonie scheint es, als ob jeder Versuch einer Veränderung Tagtraum bliebe. Doch wenn uns die Menschheitsgeschichte eines lehrt, dann, dass keine Zustände ewig andauern, sondern dass alles einem Wandel unterworfen ist.

      Wir sollten nicht aus Angst am Status Quo festhalten und Veränderungen zu verhindern suchen. Utopisches Denken bringt uns dazu, ungewöhnliche Fragen zu stellen: Warum ist der Charakter unserer Städte geprägt von Pendelwegen? Warum verbringen wir überhaupt ein Drittel unserer Tageszeit fremdbestimmt? Bregman schreibt:

       „Die heutige Überzeugung – oder schlimmer, der Glaube – es gebe nichts mehr, an das man glauben kann, macht uns blind für die Unzulänglichkeiten und Ungerechtigkeiten, die uns auch heute noch umgeben. […] Warum arbeiten wir heute härter als in den achtziger Jahren, obwohl wir reicher sind als je zuvor? Warum leben noch immer Millionen Menschen in Armut, obwohl wir reich genug sind, um der Armut ein für alle Mal ein Ende zu machen?“9

      Utopisches Denken negiert die Gegenwart und affirmiert die Zukunft. Es eröffnet den Raum zwischen Gegenwart und Zukunft zu einer Sehnsucht nach dem, was sein könnte. Auch für die Entwicklung von Utopien dürfen die Worte des ersten israelischen Staatspräsidenten zitiert werden:

       „Wer nicht an Wunder glaubt, ist kein Realist“

      — DAVID BEN GURION

      1 Der Text ist zitiert aus der Präambel der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung, siehe https://www.netzwerk-menschenrechte.de/6-die-amerikanische-unabhaengigkeitserklaerung-1276/.

      2 Der Gini-Koeffizient oder auch Gini-Index ist ein statistisches Maß, das vom italienischen Statistiker Corrado Gini zur Darstellung von Ungleichverteilungen entwickelt wurde. In der Wirtschaftswissenschaft ist er Maßstab für die Einkommens- und Vermögensverteilung einzelner Länder und zeigt somit auf, wie gleich oder ungleich Einkommen und Vermögen verteilt sind. Der Gini-Koeffizient nimmt einen Wert zwischen 0 (bei einer gleichmäßigen Verteilung) und 1 (wenn nur eine Person das komplette Einkommen erhält, d. h. bei maximaler Ungleichverteilung) an.

      3 Vgl. https://www.gut-leben-in-deutschland.de/static/LB/indikatoren/einkommen/gini-koeffizient-vermoegen/.

      4 Vgl. hierzu den sehenswerten Vortrag von Harald Lesch: Das Kapitolozän! https://youtu.be/N9wedHA_BNo.

      5 Vgl. https://bit.ly/2IxaEe4.

      6 https://www.fr.de/wirtschaft/klimaziel-2020-doch-sicht-13610515.html.

      7 Zu den methodischen Mängeln dieser Statistik und warum sie dennoch nahe an der Realität liegen dürfte, vgl. Seite 29. Vgl. https://www.welt.de/wirtschaft/article172684758/Oxfam-42-Milliardaere-besitzenso-viel-wie-die-halbe-Welt.html.

      8 Vgl. https://www.akademie-solidarische-oekonomie.de/.

      9 Bregman (2017), S. 21.

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