Wem gehört die Zukunft?. Jaron Lanier
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Ein kleines Gedankenspiel könnte vielleicht hilfreich sein. Ein bekannter Slogan der Republikaner im Jahr 2012 lautete: »We built it.« Er war eine Reaktion auf eine aus dem Zusammenhang gerissene Aussage von Barack Obama. »You didn’t build that« (»Sie haben das nicht gebaut«), hatte der Präsident in einer Rede verkündet, womit er sich auf die Infrastruktur, vor allem den Straßenbau, bezog. Die Replik der Republikaner sollte wohl zum Ausdruck bringen, dass Unternehmer die wahren wirtschaftlichen Aktivitäten vorantrieben und einen eigenen geschlossenen Kreislauf bilden könnten. Dass die Wirtschaft mehr Probleme lösen könnte, wenn man sie einfach sich selbst überlassen würde. Dass das Problem nur die Steuern und Regulierungen wären. Und wenn man sie abschaffen würde, hätte man die Lösung. Wer braucht schon Infrastruktur? Unternehmen könnten ihre eigenen Straßen bauen, wenn der Staat sie einfach machen lassen würde.
Der konservative Nachrichtensender Fox präsentierte zwei kleine Mädchen, vier und sieben Jahre alt, die einen Limonadenstand betrieben, und fragten sie, ob sie ihr Unternehmen selbst aufgebaut oder ob die Regierung das getan hätte.[12] Ich wünschte, Kinder könnten heute lernen, wie man im Internet sein eigenes Geld verdient, aber das ist viel schwieriger, als einen Limonadenstand zu betreiben.
Können wir das Internet mit der Straße vergleichen, an der sich der Limonadenstand befindet und die man braucht, damit überhaupt Kunden vorbeikommen? Der Staat hat die Straße gebaut. Der Zweck einer öffentlichen Straße ist der, Wirtschaft und Handel zu fördern.
Anstelle des einen Internets, wie wir es heute kennen, hätte es ohne den Staat aller Wahrscheinlichkeit nach mehrere inkompatible digitale Netzwerke gegeben,29 die meisten in privater Hand.[13]
Ohne eine öffentliche Straße und den völlig freien Zugang würde der Limonadenstand eines Kindes am Straßenrand nie Geld einbringen. Die einzige Geschäftsmöglichkeit bestünde darin, die Straßen anderer Leute zu privatisieren.
Entsprechend wäre ohne ein offenes, einheitliches Netzwerk die Idee einer Unternehmenstätigkeit im Internet von Anfang an feudal gewesen. Stattdessen nahm das Netz erst zu Beginn des neuen Jahrhunderts eine feudale Wendung. Heutzutage programmiert man keine Websites mehr im offenen Internet, sondern entwickelt kommerzielle Apps oder gestaltet Profile für soziale Medien, die sich ebenfalls im Besitz eines Unternehmens befinden.
Ich habe schon häufig hitzige Debatten mit Liberalisten im Silicon Valley geführt, die der Meinung sind, dass Straßen privatisiert werden sollten. Hier ist die Endbenutzer-Lizenzvereinbarung (End User Licence Agreement, kurz EULA),[14] die in dem Utopia, das sie erstreben, niemand lesen würde:
Liebe(r) Eltern/Erziehungsberechtigte(r) von __________,
wie Sie vielleicht wissen, ist Ihre Tochter eins von ___ Kindern in Ihrer Nachbarschaft, die sich vor kurzem um eine gemeinsam betriebene StreetApp® der Kategorie »Limonadenstand« beworben haben.
Als Eigentümer/Betreiber der Straße, in der Sie leben und in der die genannte App zum Einsatz kommen würde, ist StreetBook gesetzlich verpflichtet, die Genehmigung der Eltern einzuholen. Wenn Sie das Feld »Ja« am Ende des Fensters anklicken, bestätigen Sie, dass Sie der/die Erziehungsberechtige von ___________________ sind, und stimmen außerdem den folgenden Bedingungen zu:
1. Ein Anteil von bis zu 30 Prozent der Einnahmen wird von StreetBook einbehalten. [Diese Klausel entspricht dem Erlösmodell in App Stores.]
2. Die Limonadenrezepte, die Gestaltung des Stands und die Kleidung, die beim Verkauf getragen wird, müssen von StreetBook genehmigt werden. StreetBook kann den Stand jederzeit entfernen lassen, wenn unseren Vorstellungen nicht entsprochen wird. [Auch diese Klausel ist von den Praktiken der App Stores inspiriert.]
3. Jede Gewerbetätigkeit, die nicht auf den Verkauf von Limonade beschränkt ist, wird über StreetBook durchgeführt. Kunden müssen einen Account bei StreetBook haben, selbst wenn sie in einer Straße leben, die einem Mitbewerber von StreetBook gehört oder von ihm betrieben wird. StreetBook verwaltet die gesamten Einnahmen treuhänderisch, um die Zinsen einzuziehen, und behält sie möglicherweise auch länger ein, falls eine Partei Betrugsvorwürfe erhebt oder gegen dieses Abkommen oder andere Abkommen zur Anwohnernutzung verstößt. [Diese Bestimmung orientiert sich an den Geschäftsbedingungen der Online-Bezahldienste.]
4. Es wird eine Jahresgebühr in Höhe von 100 Dollar erhoben. [Auch hier folge ich dem erfolgreichen Beispiel der App Stores.]
5. Ein eingeschränkter freier Zugang zum Gehweg vor Ihrem Haus ist möglich, wenn Sie bereit sind, Ihren Körper und Ihr Grundstück für Werbung zur Verfügung zu stellen. Die Schilder an Ihrem Limonadenstand, die Pappbecher und die Kleidung, die von Ihren Kindern getragen wird, müssen Reklame aufweisen, die ausschließlich von StreetBook ausgesucht wird. [Nach dem Beispiel der sozialen Netzwerke und Suchmaschinen.]
6. Wenn Sie sich für den begrenzten freien Zugang zum Gehweg vor Ihrem Haus entscheiden, müssen Sie StreetBook eine aktuelle Inventarliste sämtlicher Haushaltsgegenstände in Ihrem Haus zukommen lassen und erlauben, dass StreetBook die Bewegungen und Gespräche einzelner Personen in Ihrem Haus aufzeichnet. [Hier folge ich dem Geschäftsmodell der Suchmaschinen, sozialen Netzwerke und anderer scheinbar kostenloser Online-Dienste.]
7. Mit der Zustimmung zu dieser Lizenzvereinbarung erklären Sie sich damit einverstanden, für sämtliche Unfälle oder anderen Vorfälle in der Umgebung Ihrer StreetApp® zu haften. Die Verantwortung liegt allein bei Ihnen und anderen Beteiligten. Wir bieten Ihnen die Möglichkeit, sich mit anderen zusammenzuschließen, und profitieren davon, aber Sie tragen das gesamte Risiko. [Zu dieser Klausel inspirierte mich der Tenor der üblichen End-User Licence Agreements, kurz EULA.]
8. Die internen StreetBook-Maßnahmen zur Sicherheit und zum Schutz der Privatsphäre können nicht berücksichtigen, dass Kriminelle oder Witzbolde unsere Systeme ausnutzen und Informationen kombinieren, die wir kostenlos zusammen mit anderen Daten herausgeben, die von anderen Unternehmen kostenlos herausgegeben werden, etwa die privatisierten Versorgungsbetriebe, bei denen Sie Kunde sind. Sie stimmen zu, dass Sie lernen müssen, wie ein Hacker zu denken, wenn Sie die Kontrolle über Ihre Konten haben wollen. [Der Reporter Mat Honan vom Magazin Wired wurde gehackt, weil die Hacker Informationen von verschiedenen Sirenenservern nutzten und so genügend Daten sammeln konnten, um seine Identität zu stehlen. Aber natürlich konnte man einem einzelnen Server nicht die Schuld daran geben.]
9. Für eine zusätzliche Gebühr können Sie die »Premium-Adress-Dienste« von StreetBook in Anspruch nehmen. Die Dienste ermöglichen es Ihnen, für Hausierer weniger sichtbar zu sein oder für Lieferdienste von Lebensmitteln und für Handwerker, die Sie beauftragt haben, deutlicher in Erscheinung zu treten. Mit der Zustimmung zu dieser Vereinbarung erklären Sie sich einverstanden, telefonisch oder über andere Wege über unsere Premiumdienste informiert zu werden. [Diese Klausel orientiert sich an den Praktiken bestimmter sozialer Netzwerke und Online-Bewertungsdienste.]
10. Teile Ihrer kommunalen, bundesstaatlichen und Bundessteuern werden für die staatlichen Rettungsmaßnahmen von StreetBook genutzt, da es als Unternehmen natürlich »systemrelevant« ist. Sie haben dabei kein Mitspracherecht, diese Klausel dient nur dazu, Ihnen das noch einmal unter die Nase zu reiben. [Zu dieser Klausel inspirierte mich der Erfolg der Hightech-Finanzbranche.]