als die wahrheit noch männlich und katholisch war. Franziska Maria Papst

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als die wahrheit noch männlich und katholisch war - Franziska Maria Papst

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Überzeugung vermischte, die ich beneidenswert fand. Noch heute ist dies ein Gefühl, das mich nicht unberührt lässt.

      Damals musste ich innerlich lachen, da ich mich daran erinnerte, wie er uns Jugendliche eines Tages über die Erotik des Rosenkranzes aufgeklärt hatte. Maria sei eine wunderbare Frau, hatte er mit einem verzückten Lächeln geflüstert. Sie sei ihm wie eine Geliebte und er selbst fände den Rosenkranz sinnlich. Ich mochte mir lieber nicht vorstellen, wie der Graf Maria heißblütig umarmte, aber ich musste zugeben, dass der Ton in seiner Stimme und die Inbrunst mit der er vorbetete, den Rückschluss auf eine äußerst intime Beziehung zulassen konnten.

      „Na, und wenn schon“, dachte ich mir. Ist ja nicht das Schlechteste. Ich schloss die Augen und ließ mich vom Gebet mitziehen.

      Ich fragte mich, ob ich in 20 Jahren wohl noch hier sitzen und beten würde? Wenn der Graf nicht mehr wäre, dann könnte ja ich den Rosenkranz vorbeten. Ich musste lachen, nein, irgendwie war mir das zu langweilig. Meine Blicke schweiften zum Seitenaltar. Blumenschmuck? Nein, ich konnte mir beim besten Willen mein Leben nicht blumenschmückend vorstellen. Dann schon eher Ministrantin, aber dafür war ich schon zu erwachsen. Das war was für Kinder.

      Pfarrerin - das würde mir gefallen, schoss es mir in den Kopf. Ich sah mich selbst, mit einer weißen Albe bekleidet, das Evangelium verkünden und spürte auf einmal wieder diese Türe aufgehen. Mein zukünftiges Leben zog wie ein Film an mir vorbei. Ich sah mich in der Nachfolge Jesu. Sowie Maria und Martha12. Und schon überlegte ich, ob ich wohl eher Maria oder Marthas Nachfolge antreten wollte. Die Szene in der Jesus den beiden einen Besuch abstattete, stand lebendig vor mir. Maria saß kontemplativ zu Jesu Füßen und nahm jedes Wort auf, das er sprach. Martha lief hin und her und sorgte dafür, dass es Jesus gut ging. Ich zögerte. Ich konnte mich mit keiner der beiden wirklich identifizieren. Mir lag beides und doch wollte ich mehr. Da hielt ich es schon eher mit Lydia, die Purpurhändlerin, von der die Apostelgeschichte erzählt:

      Eine Frau namens Lydia, eine Purpurhändlerin aus der Stadt Thyatira, hörte zu; sie war eine Gottesfürchtige und der Herr öffnete ihr das Herz, sodass sie den Worten des Paulus aufmerksam lauschte. Als sie und alle, die zu ihrem Haus gehörten, getauft waren, bat sie: Wenn ihr wirklich meint, dass ich zum Glauben an den Herrn gefunden habe, kommt in mein Haus und bleibt da.13

      Ich sah Lydia in ihrem großen Herrenhaus vor mir. In einer eleganten roten Tunika, schließlich war sie Purpurhändlerin, empfing sie die Apostel am Eingang ihres Hauses. Im Atrium hatte sich bereits eine Gruppe Männer und Frauen der griechischen Oberschicht eingefunden. Sie standen eine Weile beisammen und waren in philosophische Gespräche vertieft, bis Lydia die Christen einlud an einem großen Tisch im Oberstock des Hauses Platz zu nehmen. Brot und Wein standen auf dem Tisch. Einer der Apostel zog eine Knochenflöte aus der Tasche und die Musik, die er dieser Flöte entlockte, hallte durch den Raum. In Lydias Kopf klang die Melodie noch lange nach. Dann begannen sie zu beten. Ein anderer der Apostel trug mit seiner vollen, dunklen Stimme Texte der Propheten in einem orientalisch klingenden Singsang vor. Daneben saß eine verzückte Lydia, hielt das Brot in der Hand und wartete auf ihren Einsatz.

      „Wir denken an Christus, der sich für uns hingegeben hat“, sagte sie, nachdem der Apostel seinen Gesang beendet hatte. Als Vorsteherin des Hauses war es Lydia vorbehalten das Brot zu brechen und die Herrenworte, die wir aus der Abendmahlüberlieferung kennen, zu sprechen.14

      Sehnsucht ergriff mein Herz. Ich wäre gerne dabei gewesen. Ich fragte mich, ob es möglich wäre, auch heute so eine Art Volkskirche zu leben. Man könnte sich in Hausgemeinden zusammenfinden, miteinander Bibel lesen, singen, beten und Mahl halten. Dabei könnte man ohne große Formalitäten in die Fußstapfen Jesu treten, so wie es Lydia getan hatte. Ich sah sie vor mir, die modernen Apostel und Apostelinnen, die Frauen und Männer, die sonntags in einer der Wohnungen zusammenkamen und gemeinsam das Brot brachen. Eigentlich war es nicht viel anders als unsere Jugendstunden im Keller des Pfarrhauses. In unseren biblischen und tiefgründigen Diskussionen fühlte ich mich Gott besonders nahe. Vielleicht sollten wir anschließend gemeinsam das Brot brechen?

      Ich stellte mir vor, wie wir auch später als Erwachsene gemeinsam die Bibel lesen und über unser Leben diskutieren würden. Im Grunde hatten die Menschen damals ähnliche Probleme, wie wir heute. Jesus kannte die Menschen gut. Es ging um Liebe und Hass, um Macht und Ohnmacht, um gelungenes und misslungenes Leben und die große Frage, was denn im Leben wirklich zählt und welche Rolle Gott dabei spielt. So eine Diskussion wäre anders als die sonntägliche Predigt. Es wäre, als ob Jesus wieder lebendig wäre, mitten unter uns. Es juckte richtiggehend in meinen Händen. Ich wollte Jesus berühren und wenn es nur im Brot wäre.

      In diesem Moment spürte ich, was ich sonst nicht denken durfte. Ich wäre gerne mitten drinnen. Als Priesterin. Ich wollte als Priesterin dort sein, wo Menschen arbeiten, leben, leiden, sich freuen, ihre Familien haben, gesellschaftlich und politisch denken und sich engagieren. Ich wollte dabei sein, wenn sie ihr Leben in die Hände Gottes legten, sich taufen ließen, heirateten oder begraben wurden. Ich wollte für Menschen da sein, zuhören, Konflikte angehen, Gastfreundschaft üben oder auch Hoffnung schenken. Mit Gefühl und Empathie wollte ich Heilung und Trost bringen, Stille durchbrechen, Schmerz Raum geben und Kraft einfordern.

      Dafür bräuchte es auch eine gute Liturgie, war ich überzeugt. Das musste nicht immer eine Messe mit Predigt, Wandlung und Kommunion sein. Obwohl ich mich Jesus im gewandelten Brot besonders nahe fühlte, war es für mich nicht die einzige Form ihm zu begegnen. Vielleicht gab es ja noch andere liturgische Formen? Vor allem Musik war mir wichtig. Ich träumte davon lässige Jugendlager zu organisieren, wo wir singen würden und viel zu lachen hätten.

      Gott braucht Menschen. Warum nicht mich? Er braucht Priester und Priesterinnen, die für Menschen da sind und den Glauben in der Welt erfahrbar machen. Verantwortung. Ich wollte Verantwortung für die Kirche Gottes übernehmen. Könnte es sein, dass Jesus wollte, das ich als Priesterin V e r a n t w o r t u n g übernahm?

      Ich saß still in der Kirchenbank und mit einem Mal flüsterte mir eine leise, himmlische Stimme ins Ohr:

      „Babette, mach das!“

      In diesem Moment wusste ich, was ich einmal werden wollte, ohne darüber nachzudenken, ob das überhaupt möglich war: Priesterin.

      Meine Ansprüche an den Priesterberuf waren damals sehr hoch. Ich erwartete, dass ein Priester nicht nur theologisch gebildet war und klug und verantwortungsbewusst handelte, sondern er sollte auch eine große Portion an sozialer Kompetenz besitzen. Ich spürte, dass ich rot wurde und eine Art selbstkritische Unsicherheit meinen Körper durchströmte. An meiner sozialen Kompetenz musste ich noch arbeiten. Meine Persönlichkeit ließ durchaus zu wünschen übrig. Weniger schüchtern wollte ich werden und versuchen, das Gute in jedem Menschen zu erkennen und…

      „Na Babette, schwebst du schon in höheren Sphären oder kann ich heute die Kirche noch absperren?“, hörte ich auf einmal eine Stimme hinter mir. „Wenn du so weiter machst, dann wirst du noch als Pfarrerin enden.“

      Ich lief rot an. Ich fühlte mich ertappt. War das peinlich. Ich war so intensiv meinen Tagträumen nachgehangen, dass ich nicht gemerkt hatte, wie die kleine Gruppe der Rosenkranzbeter die Kirche verlassen hatte. Ausgerechnet Martha stand vor mir. Die Oberwichtig-Frau der Pfarre, vor deren spitzen Zunge niemand sicher war und die schnell einmal ihr ganz persönliches Urteil über einen Menschen verbreitete. Aber sie war in der Pfarre unverzichtbar. Sie hatte Zeit, wusste viel und stellte eine Menge auf die Beine. Eine richtige Martha. So salopp ihre Pfarrerin-Aussage auch dahingesagt war, es wäre mir doch sehr unangenehm gewesen, wenn sie herumerzählen würde, dass ich - vor lauter Beten - vergessen hatte nach Hause zu gehen. Aber was sie nicht wusste: Ich hatte nicht wirklich gebetet, sondern geträumt.

      Den Träumen sollten Taten folgen. Durch meine Anerkennung in der Pfarre

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