Gesammelte Erzählungen. Charles Dickens

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Gesammelte Erzählungen - Charles Dickens страница 18

Автор:
Жанр:
Серия:
Издательство:
Gesammelte Erzählungen - Charles Dickens

Скачать книгу

wenn du weißt, daß ich bereits großen Kummer und viele Leiden erduldet habe. Du sagst, du wärest eine Waise und ohne Verwandte in der Welt. Erkundigungen, die ich angestellt habe, bestätigen deine Angaben. Erzähle mir jetzt deine Geschichte – woher du kommst wer dich erzogen hat und wie du in die Gesellschaft geraten bist, in der ich dich gefunden habe. Sprich aber die Wahrheit. Wenn ich sehe, daß du kein Verbrechen begangen hast, wirst du an mir zeitlebens einen Freund und Beschützer haben.“

      Olivers Schluchzen erstickte eine Weile seine Worte. Als er gerade anfangen wollte zu erzählen, kündigte das Dienstmädchen den Besuch des Herrn Grimwig an.

      „Kommt er herauf?“ fragte Herr Brownlow das Mädchen.

      „Ja“, versetzte das Mädchen. „Er fragte, ob es Keks im Hause gäbe, und als ich bejahte, sagte er, er wolle hier Tee trinken.“

      Herr Brownlow lächelte und bemerkte zu Oliver, daß Grimwig ein alter Freund von ihm wäre, ein ungeschliffener Diamant.

      „Soll ich mich entfernen?“ fragte Oliver.

      “Nein, du kannst hierbleiben.“

      In diesem Augenblick trat, auf einen starken Stock gestützt, ein starker, alter Herr ins Zimmer. Er war auf einem Bein etwas gelähmt und humpelte. Im ausgestreckten Arm hielt er seinem Freunde ein Stückchen Orangenschale entgegen und rief polternd:

      „Da, sehen Sie das? Ist es nicht zum Wahnsinnigwerden, daß ich in keines Menschen Hause vorsprechen kann, ohne so was auf der Treppe zu finden. Durch eine Orangenschale bin ich lahm geworden, und eine Orangenschale wird noch mal mein Tod sein. Ich will meinen eigenen Kopf aufessen, wenn mich nicht eine 0rangenschale noch unter die Erde bringt. – Hallo! was ist das?“ fügte er mit einem Blick auf Oliver hinzu und trat einige Schritte zurück.

      „Der junge Oliver Twist, von dem wir bereits gesprochen haben“, versetzte Herr Brownlow.

      Oliver verbeugte sich.

      „Das ist also der Junge“, begann Herr Grimwig.

      „Ja, das ist der Junge“,. versetzte Herr Brownlow und nickte Oliver dabei zu.

      „Nun, wie geht’s dir?“ fragte Herr Grimwig.

      „Ich danke, viel besser“, antwortete Oliver.

      Herr Brownlow schien zu befürchten, daß sein absonderlicher Freund irgend etwas Unangenehmes auf der Zunge hätte. Er trug daher Oliver auf, Frau Bedwin zu bestellen, daß sie den Tee bereithalten solle. Nachdem Oliver gegangen, fragte Herr Brownlow: „Ist es nicht ein hübscher Junge?“

      „Weiß nicht“, erwiderte Grimwig mürrisch.

      „Wie, Sie wissen es nicht?“

      „Nein, ich weiß es nicht. Kann nie einen Unterschied an Jungen entdecken. Kenne nur zwei Arten von Jungen, nämlich Mehlsuppengesichter und Beefsteakgesichter.“

      „Und zu welchen gehört Oliver?“

      „Zu den Mehlsuppengesichtern. Ein Bekannter, von mir hat einen Jungen, dessen Gesicht so recht die Fleischmastung ausdrückt. Sie nennen ihn einen schönen Jungen, weil er einen so runden Kopf, rote Backen und glänzende Augen hat. Mir ist der Bursche etwas Schreckliches – ein Körper und Gliedmaßen, die die Nähte seines blauen Anzuges auseinanderzusprengen drohen. Dazu kommt noch die Stimme eines Schifferknechts und der Hunger eines Wolfes. Ich kenne den Schlingel.“

      „Nun, derartige Eigenschaften besitzt Oliver nicht und verdient deshalb nicht Ihren Zorn.“

      „Wenn nicht derartige, so hat er vielleicht noch schlimmere“, entgegnete Herr Grimwig.

      Herr Brownlow hustete nervös, was Herrn Grimwig mächtig zu ergötzen schien.

      „Ja, er hat vielleicht noch schlimmere, sage ich“, wiederholte Hee Grimwig. „Woher kommt er? Was ist er? Er hat Fieber gehabt – warum? Fieber ist bei ordentlichen Leuten nicht gewöhnlich. Schlechtes Volk hat bisweilen Fieber. Ich habe einen Menschen gekannt, der in Jamaika gehängt wurde, weil er seinen Herrn umgebracht hatte. Er hatte sechsmal das Fieber und wurde deshalb nicht zur Begnadigung empfohlen.“

      Im Innern seines Herzens mußte Herr Grimwig aber zugeben, daß Oliver etwas Gewinnendes an sich hatte. Sein starker Hang zum Widersprechen und sein Grundsatz, sich nie von einem andern ein Urteil über das Aussehen eines Jungen vorschreiben zu lassen, hatte ihn bewogen, seinem Freunde Opposition zu machen. Als daher Herr Brownlow zugestand, daß er sich noch nicht eingehend über Oliver erkundigt hätte, kicherte Herr Grimwig boshaft und fragte mit höhnischem Lächeln, ob die Haushälterin auch abends immer das Silbergeschirr nachzähle, denn er würde sich nicht wundern, wenn einen schönen Tages mal ein paar Löffel fehlten – – usw.

      Herr Brownlow, der selbst etwas temperamentvoll war, nahm jedoch all dies gemütlich hin, da er die Eigentümlichkeiten seines Freundes kannte. Als dieser die Keks und den Tee lobte, wurde die Unterhaltung wieder angenehmer, so daß selbst Oliver, der inzwischen zurückgekommen war, freier zu atmen begann.

      „Und wann gedenken Sie sich den ausführlichen und wahrhaften Bericht von Oliver Twists Leben und Taten erstatten zu lassen?“ fragte Grimwig, nachdem der Tee getrunken war. Er streifte dabei Oliver mit einem Blick.

      „Morgen früh“, entgegnete Herr Brownlow. „Ich möchte dann allein mit ihm sein. Komm morgen um zehn Uhr zu mir herauf, mein Kind!“

      „Ja, Herr Brownlow“, sagte Oliver mit einigem Zögern. Er war etwas verwirrt, da ihn Grimwig scharf ansah.

      „Ich will Ihnen etwas sagen“, flüsterte Herr Grimwig Brownlow zu, „er wird morgen früh nicht zu Ihnen heraufkommen. Haben Sie nicht bemerkt wie er zögerte? Er betrügt Sie, lieber Freund!“

      „Ich möchte drauf schwören, daß dies nicht der Fall ist«, erwiderte Herr Brownlow mit Wärme.

      „Wenn es nicht so ist, wie ich sagte, so will ich meinen Kopf – – “, damit stieß Grimwig seinen Stock heftig auf die Erde.

      „Ich setze mein Leben auf die Wahrhaftigkeit des Jungen“, sagte Herr Brownlow und schlug mit der Hand auf den Tisch.

      „Und ich meinen Kopf auf seine Tücke“, schrie Herr Grimwig.

      „Nun, wir werden ja sehen“, sagte Herr Brownlow, seinen Unmut bezwingend.

      „Allerdings, wir werden es sehen“, sagte Herr Grimwig mit einem herausforderndem Lächeln.

      Das Schicksal wollte es, daß in diesem Augenblick Frau Bedwin mit einigen Büchern hereintrat, die Brownlow am Vormittag bei demselben Buchhändler gekauft hatte, der schon einmal in unserer Geschichte eine Rolle spielte. Sie legte sie auf den Tisch und wollte das Zimmer wieder verlassen, als Brownlow sagte:

      „Lassen Sie den Boten einen Augenblick warten, er muß noch etwas mitnehmen.“

      „Er ist bereits fort“, versetzte Frau Bedwin.

      „Rufen Sie ihm nach, die Sache ist wichtig. Die Bücher sind noch nicht bezahlt, und der Mann braucht sein Geld. Auch will ich ihm einige mir zur Ansicht gesandten Bücher zurückgeben.“

      Man lief dem Boten nach, dieser war aber nirgends mehr zu sehen.

      „Schicken

Скачать книгу