100 Prozent Anders. Tanja Mai
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Das Konzert näherte sich also dem Ende. Es war ausgemacht, dass wir nach „Cheri Cheri Lady“ gemeinsam von der Bühne gehen sollten, um dann zusammen für „You’re My Heart …“ noch einmal zurückzukommen. Ich weiß bis heute nicht, ob es kalkuliert war oder ob Dieters Nervenkostüm vielleicht doch nicht so stark war, wie er gerne vorgibt. Die letzten Töne von „Cheri Cheri Lady“ jedenfalls waren noch nicht richtig verklungen, da sagte Dieter schon „You’re My Heart, You’re My Soul“ an. Au Scheiße, dachte ich. Wie kann ich die Situation retten? Wir müssen doch noch eine Zugabe geben. Es ist unsere allerletzte Show, und die soll tatsächlich ohne Zugabe enden? Ich war mit meinem Latein am Ende. Die Musik lief. Ich sang den Song, wie schon tausend Mal zuvor. Man kann mich nachts um 2 Uhr 47 wecken, und ich singe auf Knopfdruck „You’re My Heart, You’re My Soul“. Während ich sang, war ich in Gedanken permanent auf der Suche nach einer Lösung des Problems. Doch ich fand keine.
Vorbei, der Song war zu Ende! Applaus, Jubel, Getrampel, winkende Hände, Tränen auf den Gesichtern, Tausende riefen und bettelten nach einer Zugabe. Ich verbeugte mich und dachte immer noch krampfhaft nach, wie die Situation zu retten wäre. Aber wo war Dieter? Ich sah nach rechts, dann nach links, zu den Musikern. Er war nicht mehr da. Ich blickte mich Hilfe suchend nach unserem Promoter um und sah durch das Getümmel aus Betreuern und Technikern hindurch, wie Dieter in die Limousine einstieg und wegbrauste. Mein Gott! Was für ein erbärmlicher Abgang!
Was für ein armseliges Ende eines Duos, das Musikgeschichte geschrieben hat.
Für mich wurde es dennoch eine lange Nacht. Claudia, Freunde und der Chef meines Musikverlages, Mike Weller, wir alle feierten im „Adlon“ in Berlin und mir wurde an dem Abend als Autor noch eine Goldene CD von „Universe“ überreicht. Wir feierten! Nicht das Ende von Modern Talking, sondern die einzigartige Karriere von Modern Talking und den Anfang eines neuen Lebensabschnittes.
***
„Meine Damen und Herren, ich begrüße Sie an Bord unserer Maschine von Berlin nach Ibiza und wünsche Ihnen einen angenehmen Flug“, tönte es aus den Bordlautsprechern des Airberlin-Fliegers. Ich flog mit meiner Familie, wie jeden Sommer, nach Ibiza und wollte dort in unserem Haus einfach mal ausspannen. Die letzte Show von Modern Talking lag nur knapp einen Tag zurück und war doch schon so weit weg. Ich brauchte Urlaub. Einfach mal gar nichts tun! Einfach in den Tag hineinleben. Die lange Nacht steckte mir noch in den Knochen. Ich war todmüde. Während mir die Augen zufielen, ließ ich in Gedanken die letzten Monate und Jahre meines Lebens Revue passieren. Und noch bevor die Maschine abhob, war ich schon eingeschlafen und begann zu träumen …
Der 1. März 1963 war ein Sonntag. Es war kurz nach 18 Uhr, als ich in Münstermaifeld bei Koblenz als Bernd Weidung das Licht der Welt erblickte. Wie ich heute weiß, kamen auch der amerikanische Sänger Harry Belafonte, der polnische Komponist Frederic Chopin und der amerikanische Band-Leader Glenn Miller an einem 1. März zur Welt. Ein Wink des Schicksals? Oder nur Zufall? Wer weiß das schon. Ich war da und krähte mich mit aller Kraft ins Leben. Meine Mutter Helga war felsenfest davon überzeugt, dass meine Stimme schon von diesem Augenblick an geschult wurde.
Ich werde immer wieder gefragt, von wem ich mein Talent vererbt bekam. Ich weiß es nicht. Der Vater meiner Mutter muss sehr musikalisch und lebensfroh gewesen sein. Leider habe ich ihn nie kennengelernt, da er während des Zweiten Weltkrieges gefallen ist. Meine Mutter erzählte oft, dass ihr Vater für die damalige Zeit so etwas wie ein Entertainer gewesen sei. War irgendwo in der Gegend Kirmes, stand er im Zelt auf dem Tisch, stimmte Volkslieder an, und alle Menschen im Festzelt sangen und tanzten mit. Auch der Onkel meines Vaters sang im Kirchenchor die Hauptstimme sowie die meisten Soloparts. Vielleicht prallten bei mir schicksalsmäßig diese beiden Talente zusammen.
Meine Eltern wohnten in Mörz. Wie, Mörz? Okay, ich kann Sie verstehen! Mörz ist weit weg vom Nabel der Welt, obwohl dies eine blöde Aussage ist. Der Nabel eines Menschen (bzw. die Nabelschnur) ist doch das, wodurch man ernährt wird und sich in der Folge geborgen fühlt. Somit war für mich Mörz viele Jahre lang der Nabel der Welt. Basta!
Unser kleines Dorf liegt in der Vordereifel. Zwei Kilometer weg von Münstermaifeld, einer winzigen Kreisstadt, und 20 Kilometer von Koblenz entfernt. Rückblickend hatte ich eine schöne Kindheit. Wenn auch nicht jeder Tag aus purer Freude bestand (wer hat das schon!), so denke ich doch bis heute gerne an meine Kindheit zurück.
Als meine Mutter mit mir nach ein paar Tagen aus dem Krankenhaus nach Hause kam, wartete schon ungeduldig mein sechs Jahre älterer Bruder Achim auf mich. Achim fand es spitzenmäßig, dass er nun endlich einen Spielgefährten hatte. Das Erste, was Achim unsere Mutter fragte, war: „Wann kann ich denn mit dem Fußball spielen?“ Bei Familienfesten lachen wir heute noch über diese Frage. Achim konnte ja damals noch nicht wissen, dass seine Frage im doppelten Sinne komisch war: Zum einen musste meine Mutter ihm schonend beibringen, dass es noch einige Jahre dauern würde, bis ich alt genug wäre zum Fußball spielen. Zum anderen konnte er noch nicht ahnen, dass sein kleiner Bruder NIEMALS mit ihm Fußball spielen würde. Ich hasse Fußball und habe das Spiel auch als Kind schon gehasst. Hätte ich als Baby sprechen können, hätte ich als Antwort auf Achims Frage gerufen: „Nie! Niemals werde ich alt genug sein, um mit dir oder sonst irgendjemand Fußball zu spielen!“
Mörz ist ein winziges 130-Seelen-Dorf, wo jeder jeden kennt. Da weiß auch mittags jeder, was es beim Nachbarn zu essen gibt. Man riecht es nämlich. Mörz ist genauso beschaulich, wie man sich ein Dorf in der Vordereifel vorstellt: Felder, überall Obstbäume und den oft beschriebenen Hahn, der auf dem Misthaufen krähte, gab es damals natürlich auch.
Vielleicht ist es eine Ironie des Schicksals, dass ich viele Jahre später den Künstlernamen Thomas Anders bekam, aber „anders“ war ich irgendwie schon immer. Ich war nie die Wildsau, die sich mit anderen Jungs im Dreck wälzte. Ich suchte auch nie den Kick, indem ich Dorfkatzen (das hieß bei uns so, denn Katzen waren für alle da) mit getrockneten Erbsen beschoss oder Frösche mittels eines eingeführten Strohhalms aufblies und zum Platzen brachte. Natürlich ließ ich Drachen im Herbstwind steigen, ich spielte mit meinen Kumpels Räuber und Gendarm oder rodelte im Winter mit dem Schlitten. Ich zog auch in der Osterwoche mit dem „Kläpper“ (einem Schlagwerk aus Holz, das durch das Hin- und Herbewegen klappert) von Haus zu Haus oder sammelte Anfang November Holz für das Martinsfeuer. All das gehört zu meiner Kindheit. Aber den wahren Kick fand ich nur in meiner Musik.
Ich weiß heute nicht mehr genau, wann es anfing. Vielleicht mit drei oder vier Jahren. Aber seit ich denken kann, wollte ich immer nur Musik machen. Ich konnte kaum sprechen, da fing ich schon an, Lieder im Radio nachzusingen. Mein Bruder musste mir auch regelmäßig Songs aus dem Radio auf Kassette aufnehmen. „Rainer Holbe und die Starparade“ war Ende der 1960er Jahre total angesagt.
Mich faszinierte die Welt der Musik und der Stars. Musik war für mich ein Gefühl auf einer anderen Ebene. Meine Eltern unterstützten diesen Drang zu meinem Glück.
Mein Vater war es auch, der mit einem gewissen Nachdruck den Wunsch an uns Kinder weitergab, dass wir mindestens ein Instrument lernen sollten. Was ich übrigens für richtig halte. Er spielte sogar in seiner ehrenamtlichen Funktion als Bürgermeister von Mörz am St. Martinstag Akkordeon. Meine Geschwister und ich bekamen Klavierunterricht, bei Frau Pies im Nachbarort. Aber richtig gut singen kann bei uns in der Familie nur ich. Ich übte mich also am Klavier, sang in meinem