Auf die leise Weise. Anne Heintze

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Auf die leise Weise - Anne Heintze

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      Die Fachliteratur gibt an, dass ungefähr ein Viertel der Menschheit introvertiert ist. Dabei unterscheiden sich die Angaben von Autor zu Autor, da sich genaue Zahlen kaum eruieren lassen. Auf jeden Fall ist klar: Die Introvertierten sind keine Minderheit.

      INTROVERTIERTE PASSEN NICHT INS KLISCHEE

      Wie Introvertierte wahrgenommen werden, kann ganz unterschiedlich sein. Bei manchen treffen typische Merkmale zu, bei anderen nicht. Deswegen werden Introvertierte von ihrer Umgebung oft gar nicht als solche gesehen. Man sagt zum Beispiel oft, dass sie nicht gern reden. Das scheint logisch, ist es aber nicht. Introvertierte Menschen reden in der Regel nämlich nur, wenn sie etwas zu sagen haben. Small Talk ist ihnen eher unangenehm, deshalb meiden sie ihn. Wenn allerdings ein Thema zur Sprache kommt, das dem Betreffenden liegt, hört er oft nicht mehr mit dem Reden auf. Auch ich kann dann reden wie ein Wasserfall. Keiner käme in so einer Situation darauf, es mit einer Introvertierten zu tun zu haben. Intros sind einfach weder alle über einen Kamm zu scheren, noch entsprechen sie gängigen Vorurteilen.

      Ein historisches Beispiel

      Als ich Kind war, sprach mein Vater oft über Mark Aurel und sein Werk »Selbstbetrachtungen«. Es war das erste philosophische Buch, das ich las. Es hat mich ebenso geprägt wie mein leiser Vater. Mark Aurel lebte von 121 bis 180 und war fast zwanzig Jahre lang römischer Kaiser und Feldherr. Sein letztes Lebensjahrzehnt verbrachte er vorwiegend auf Feldzügen, also in Grenzsituationen, die ihn tiefer über Leben und Sterben nachdenken ließen. So schrieb er seine Selbstgespräche in diesen letzten Jahren seines Lebens auf. Er thematisierte die Besinnung auf das richtige Handeln, das gute Leben, Grundfragen der menschlichen Existenz. Sein Werk dokumentiert das Bemühen des Herrschers, sein Leben verantwortungsvoll und gemäß der Natur des Menschen zu gestalten. Es zeugt von großer Weisheit und, wie mir scheint, von dem introvertierten Wesen seines Verfassers. Weil er mich so beeindruckt hat, habe ich mich entschieden, alle Zitate in diesem Buch von Mark Aurel zu borgen.

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      SCHAU NACH INNEN

      Bist du introvertiert?

      Im Folgenden findest du einige Aussagen, die für eine introvertierte Persönlichkeit sprechen. Es müssen nicht alle Punkte auf dich zutreffen, aber du solltest dich bei mehr als der Hälfte angesprochen fühlen. Je mehr Punkte du bejahst, desto stärker ausgeprägt ist deine Introversion.

      1. Du brauchst regelmäßig Zeiten der Ruhe zum Auftanken.

      2. Auf andere Menschen wirkst du eher schüchtern und zurückhaltend.

      3. Du sprichst ungern über Gefühle. Probleme klärst du am liebsten mit dir selbst oder dem Partner. Oft fällt es dir schwer, dich zu öffnen.

      4. Du benötigst nicht viele Freunde, um glücklich zu sein. Es ist dir wichtiger, enge und gute Freunde zu haben, als möglichst viele Leute zu kennen.

      5. Du bist gern für dich allein und kannst dich auch über längere Zeit selbst beschäftigen. Du genießt das, es gibt dir Kraft und Kreativität.

      6. Über Belanglosigkeiten musst du nicht sprechen.

      7. Es fällt dir schwer, neue Freundschaften zu schließen.

      8. Du überlegst gründlich, bevor du dich zu einer Aktivität entschließt. Deine Handlungen sind wohlüberlegt und gut durchdacht.

      9. Du arbeitest gern in Eigenregie und unabhängig von anderen.

      10. Bei zu viel Hektik und Trubel fühlst du dich nicht wohl. Du ziehst ruhige und geordnete Umgebungen vor.

      11. Auf Feiern stehst du nicht gern im Mittelpunkt und bleibst eher passiv.

      12. Du magst dein Leben geordnet und planst gern.

      13. Du liest gern und bildest dich aus einem inneren Antrieb heraus fort.

      14. Du giltst als guter Zuhörer, deine Ratschläge werden geschätzt.

      15. Du analysierst dein Verhalten häufig und strebst danach, es immer so zu verändern, dass es dir gut geht.

      »Es gibt für den Menschen keine geräuschlosere und ungestörtere Zufluchtsstätte als seine eigene Seele.«

      MARK AUREL

      MEIN WEG ZU MIR SELBST

      Ich möchte dir gern ein paar Beispiele aus meiner Erfahrung mit dem Stärker-nach-innen-Leben erzählen. Als ich etwa zwanzig war, sollte ich einem Handwerker eine Reklamation nahebringen. Er hatte Rechnungen geschrieben, ohne die vereinbarten Arbeiten beendet zu haben. Mein damaliger Mann bat mich, ihn anzurufen und auf die fehlenden Leistungen hinzuweisen, denn erst wenn die abgeschlossen wären, könnten wir das Geld überweisen. Und was passierte? Ich saß tagelang vor dem Telefon und überlegte, was ich sagen sollte. Was kann ich tun, wenn er ruppig wird? Wie könnte ich auf Einwände reagieren? Ich spielte das alles endlos durch. Immer wenn mein Mann abends fragte, wie es in der Sache steht, sagte ich, ich mach das morgen. Tagelang, bis ich mich endlich traute, dort anzurufen. Es war dann gar nicht so schwer, wie ich befürchtet hatte. Das ist es nie!

      Mein kurzes berufliches Intermezzo als Fotomodell vor der Kamera und auf ein paar Laufstegen dauerte nur ein halbes Jahr. Warum wohl? Ich zog es vor, hinter den Kulissen zu arbeiten anstatt im Rampenlicht. So wechselte ich in eine Modeagentur, in der ich dann einige Jahre arbeitete, ohne mit meiner leisen Weise besonders konfrontiert zu sein. Doch einige Jahre später hatte ich Vorträge zu halten und ich wollte Seminare leiten. Das fiel mir schwer. Richtig schwer! Meine Kleidung suchte ich zu solchen Anlässen so aus, dass mein Hals bedeckt war, denn ich hatte dort immer weithin sichtbare hektische rote Flecken. Der Stress vor der Öffentlichkeit hatte mich fest im Griff. Rollkragenpullover und Schals waren meine Verbündeten. Ich habe heute noch eine große Kollektion davon, auch wenn ich sie nicht mehr brauche.

      Meine ersten Interviews vor einer Kamera bescherten mir in den Tagen vor dem Termin schlaflose Nächte. Was für ein Glück, wenn Maskenbildner und Visagisten ihr Handwerk beherrschen: Man konnte so den Angstschweiß auf meiner Stirn nicht sehen.

      WOHER KOMMT’S?

      Meine Familie ist eine Herde von introvertierten Menschen. Finde ich Ausnahmen, wenn ich über sie nachdenke? Nein, da kann ich lange suchen. Meine Eltern hatten und haben nur sehr wenige nahe Menschen in ihrer Umgebung. Sie leben ihre Liebe zur Literatur und zur Musik, sie haben keinen allzu engen Freundeskreis und keine zahllosen weiteren Bekannten, zu denen sie Kontakt pflegen. Niemand in meiner ganzen Herkunftsfamilie ist Mitglied in einem Verein. Keiner pflegt Hobbys oder Interessen, die Mannschaften oder Teams erfordern. Niemand war oder ist Unternehmer, sonst müssten ja Mitarbeiter geführt werden. Keiner trat je an die Öffentlichkeit und wurde wirklich sichtbar. Das war die Umgebung, in der ich aufwuchs.

      Entsprechend suchte ich mir meine Interessenfelder, zum Beispiel im Sport. Zuerst war ich Schwimmerin, dann Reiterin. Später zog mich das Golfspielen an. Bei all dem hat mich fasziniert, dass ich immer selbst mein schärfster Gegner war. Kein anderer Mensch war da und ich musste bei keinem dieser Hobbys intensiv reden oder mich abstimmen. Und so wählte ich auch meine vielfältigen Arbeitsgebiete.

      Ich bin heute froh, dass ich mir mein Leben so gestaltet habe, dass es

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