Räume machen Leute. Wolfgang Schneider
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Verabredet »Bei Lucy« mit Toni, befreundeter Kollege, legere Kleidung, gut gelaunt. Baumann erzählt ihm, noch etwas aufgebracht, vom morgendlichen Erlebnis. Toni winkt ab, sei immer das Gleiche, dieser »Eiertanz zwischen Entwurfsoptimierung beim Bauen und künstlerischer Freiheit. Schön gegenhalten«. Baumann seufzt, dass dem Berufsstand »immer weniger Respekt« entgegengebracht werde, wenn die Dreieinigkeit Bauherr, Anwalt und Steuerer am Tisch sitze. Überhaupt, mit Palladio wäre man seinerzeit nicht so umgesprungen. Toni nickt zustimmend und merkt an, dass die Baukunst immer mehr zur Hochrechnung verkomme und die Baukultur dabei baden gehe.
Die Freunde verabschieden sich. Toni geht ins Schwimmbad. Baumann zurück ins Büro. Im Laufe des Nachmittags stellen sich bei näherer Betrachtung gewisse Inkompatibilitäten zwischen den Computerzeichnungen seiner Mitarbeiter und Handskizzen von ihm selbst heraus. Letztere sind vielleicht etwas fehlinterpretiert worden. Er hat versäumt, die Umsetzung zu kontrollieren. Die Sache ist ambivalent, eigentlich viel Lärm um nichts. Trotzdem ärgerlich. Baumann sinniert, dass es, wie so oft, ums Menschliche und Ängstliche gehe und überall Schutzzäune aufgebaut würden. Zeit, endlich Feierabend zu machen, um auf andere Gedanken zu kommen.
Frühabends im Biergarten. Architekt Baumann will den Tag ausklingen lassen. Allein sein. Stattdessen winkt ein gut gelaunter Projektsteuerer am Nachbartisch. Zufällig. Sei ja eine Schlacht gewesen heute Morgen. Habe sich aber nicht vermeiden lassen. Schließlich sei er als Steuerer schon vor der Sitzung unter Druck geraten. Er würde zu nachsichtig mit den Baukünstlern umgehen und musste daher dem Bauherrn beweisen, dass ein Steuerer sein Geld wert sei. Mit Vorwärtsstrategie und klarer Kante. Sein »Rhetorikgedöns« müsse er von Zeit zu Zeit wiederholen, »bitte nicht übel nehmen«. Ein Schreiben sei auch schon unterwegs. Rechtlich abgesichert. »Lassen Sie es einfach dabei bewenden und antworten Sie nicht«, insistiert er. »Zeigen Sie einfach Haltung.«
Architekt Baumann kommt ins Grübeln, denkt bei der Bestellung nicht an Hopfen und Malz, sondern: In vino veritas.
Schlachtfelder des Kammergründers
Das nebelumwobene Zauberwort Narrativ ist der Anker für eine retrospektive Betrachtung: die Erzählung der Entstehungsgeschichte der Architektenkammer Niedersachsen. Sie ist eng verknüpft mit dem Protagonisten und Gründungspräsidenten Friedrich Lindau, einer beharrlichen, willensstarken und nicht gerade zimperlichen Persönlichkeit. Lindau, renommierter freischaffender Architekt in Hannover, Jahrgang 1915, engagiert im BDA als Vorsitzender – und in Dauerfehde verbunden mit dem nicht minder machtvollen hannoverschen Stadtbaurat Rudolf Hillebrecht, Jahrgang 1910. Zwei Egos, grundverschieden, aber mit ähnlichen Charakterzügen.
Beginnen wir bei Wein-Wolf in Hannover. Später regnerischer Nachmittag im Februar 1968. Traditionelle Montagsrunde der Architekten-Granden. Lindau, stattliche Erscheinung, aufrechte Körperhaltung, stechender Blick, referiert in gehobener Tonlage über seine langjährigen Bemühungen, dem Landtag den Entwurf eines »Gesetzes über den Schutz der Berufsbezeichnung Architekt und die Errichtung einer Architektenkammer für Niedersachsen« vorzulegen. Berichtet vom Wildwuchs beim Thema Bauvorlageberechtigung, weil »jeder Bauunternehmer und Handwerksmeister sich Architekt nennen darf«, von Ränkespielen innerhalb der Verbände, ständigem »Antichambrieren« bei Politikern, Rückschlägen beim Gesetzgebungsverfahren.
Aber jetzt sei er fast am Ziel mit der von ihm gegründeten »Landesgemeinschaft Niedersächsischer Architektenverbände«, einer Art »Vor-Kammer« mit ihm als gewähltem Repräsentanten. Darauf wolle er zunächst anstoßen. Schließlich sei er schon seit vielen Jahren im BDA »mit entsprechenden Gesetzgebungsentwürfen befasst« und habe Rat gesucht und gefunden bei einigen Länderkammern, die schon über Architektengesetze verfügen.
Und sein zweites Schlachtfeld wolle er den »verehrten Kollegen« auch nicht verhehlen. Der ewige Zwist um Beteiligungsfragen der Architektenschaft bei stadtplanerischen Entscheidungen in Hannover, bei Wettbewerben und Preisgerichten koste ihn zusätzlich viel Kraft. Mit Hillebrecht komme er überhaupt nicht klar. »Sitzt leider am längeren Hebel.« Lindau kritisiert wiederholt Hillebrechts »ahistorischen Neuaufbau« der gegliederten und aufgelockerten Stadtlandschaft mitsamt dem Ausbau zur autogerechten Stadt. Lässt nicht unerwähnt, dass sogar schon der »Spiegel« im Juni 1959 vom »Wunder von Hannover« berichtet hat. Der vielbeachtete Artikel mit Hillebrecht auf der Titelseite habe ihn zwar zur Weißglut gebracht, aber auch eine gewisse Bewunderung hervorgerufen.
Und das eigene Architekturbüro – drittes Schlachtfeld – müsse auch noch »unter Dampf« gehalten werden. Das alles erschöpfe ihn sehr, als ehemaliger Offizier komme ein Aufgeben jedoch nicht in Betracht. Aber er lege – um sich ganz auf die neue Aufgabe konzentrieren zu können – sämtliche Ämter im BDA nieder. Punkt. Verständnisvolles Schweigen in der Runde, die alsbald das Lokal etwas ratlos verlässt.
Einige Monate später erhält Lindau einen Anruf aus dem federführenden Wirtschaftsministerium: Die Überarbeitung des Gesetzestextes sei abgeschlossen und an die betroffenen Ressortminister zwecks Abstimmung übersandt. Alle Änderungswünsche der Architektenverbände seien berücksichtigt.
Ende September 1968, nach entsprechendem Kabinettsbeschluss, wird das Gesetz im Landtag als Regierungsvorlage eingebracht. Lindau, hocherfreut, lädt die führenden Verbandsvertreter zur Unterrichtung ins Operncafé ein. Dort erwartet sie eine handfeste Überraschung. Bei aller Beschäftigung mit sich selbst hatte die Architektenschaft vergessen, dass Studenten auch in Hannover gegen das Establishment rebellieren. Mit anarchischem Humor stürmt eine SDS-Truppe das gediegene Café. Die Revoluzzer kredenzen den Gästen Kaffee und Kuchen, den sie zuvor auf anderen Tischen abgeräumt hatten. Einige ältere Herrschaften echauffierten sich über »die Gammler, sollen sich gefälligst die Haare schneiden lassen und benehmen«. Lindau behält in dem Chaos die Nerven, versucht, die Gemüter zu beruhigen. Steht auf, schaut zufällig aus dem Fenster, sieht Hillebrecht kommen. Jetzt heißt es, ja Haltung bewahren.
Anmerkung des Autors: Diese Kolumne beruht in Teilen auf der Wiedergabe von »Erinnerungen eines neunzigjährigen hannoverschen Architekten« aus dem Buch von Friedrich Lindau »Architektur und Stadt«.
Aufbruch mit Rückzug
1968. Vor Friedrich Lindaus Augen erscheint Rudolf Hillebrecht wie eine Fata Morgana. Die Szene im hannoverschen Operncafé ist irreal. Während der Stadtbaurat munter die Eingangstür durchschreitet, und sich wundert, wie Ordnungshüter die »revoltierende« Studenten-Spaßtruppe – »diese Anarchisten«, wie ihnen von empörten Gästen nachgerufen wird – aus der Ausgangstür hinausdrängt, kommt ihm ein irritierter Friedrich Lindau entgegen. Gut gelaunt begibt sich Hillebrecht – schütteres Haar, schwere Hornbrille, knotenlos gebundene Krawatte – an den Tisch der Verbandsvertreter. Wolle mal einen »Vorschlag zur Güte« machen: Ob sich die Architektenschaft, wenn sie denn eine Architektenkammer zustande brächte, dazu durchringen könne, fortan kooperativ im Sinne der Stadtbaukultur mit ihm zusammenzuarbeiten? Das heiße aber auch, seine Entscheidungen zu akzeptieren und nicht immerzu »zu nörgeln«. Er wünsche noch gute Gespräche. Verabschiedet sich freundlich und schreitet von dannen. Die Runde ist sprachlos, Lindau konsterniert.
In den folgenden Monaten verdichten