Dummes Denken deutscher Denker. Ulf Heuner
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Wenn jemand gegenüber einem Menschen mit sogenanntem Migrationshintergrund (dafür ist in Martensteins perfidem Beispiel »Architekt« ja wohl die Chiffre) darauf herumreitet, dass er als Mensch mit Migrationshintergrund schlecht Deutsch spreche, stellt dies natürlich eine Diskriminierung des Gegenübers aufgrund dessen Eigenschaft als Migrant dar, der mitunter sehr gut Deutsch spricht. Und wenn sich dieser über die Diskriminierung berechtigterweise beschweren würde, bedeutete das mitnichten, dass er sich damit selbst vermeintlich angeborene Eigenschaften wie Kriminalität oder schlecht Deutsch zu sprechen bescheinigt.
Es stellt sich die Frage, ob Martenstein wirklich so dumm ist, wie er hier argumentiert, oder ob er sich hier vielmehr als perfider Sophist erweist, indem er sich dümmer macht, als er ist, um den Spieß umzudrehen und zu suggerieren, Leute, die sich darüber beschweren, diskriminiert zu werden, würden sich damit quasi automatisch selbst die Eigenschaften bescheinigen, die man ihnen verallgemeinernd zum Vorwurf macht. Das wäre eine besonders hinterlistige Form der Diskriminierung, da man so die Diskriminierung den Diskriminierten selbst in die Schuhe schiebt, nach dem Motto: ›Beschwerst Du dich darüber, dass du als Ausländer als kriminell diskriminiert wirst, bist Du offenbar kriminell.‹ Genau das bringt Martenstein mit dem folgenden Satz zum Ausdruck: »Das heißt, wer sich über Diskriminierung beschwert, muss sich das vorher genau überlegen. Es kann sein, dass man sich dadurch selbst in ein sehr schlechtes Licht setzt.« (ebd.) Wenn sich hier jemand in ein ausgesprochen schlechtes Licht setzt, dann Martenstein mit so einer zugleich dümmlichen und heimtückischen Argumentation.
Allerdings sind die Dummheiten, die sich Martenstein in dem Artikel über Diskriminierung leistet, noch harmlos verglichen mit den Dummheiten, zu denen er sich in anderen Kolumnen versteigt. Nachdem Jakob Augstein vom Simon Wiesenthal Center auf die Negativliste der »2012 Top Ten Anti-Semitic/Anti-Israel Slurs« gesetzt wurde (Simon Wiesenthal Center 2012), musste sich Martenstein wie viele andere Kommentatoren in Deutschland auch empört zu Wort melden. Dass ihn eigentlich gar nicht interessiert, was es mit dieser Liste genau auf sich hat, kann man bereits daran ablesen, dass er davon spricht, das Simon Wiesenthal Center habe »seine Liste der zehn schlimmsten Antisemiten der Welt veröffentlicht« (Martenstein 2013). Zwischen einer Top-Ten-Liste der antisemitischen/anti-israelischen Verleumdungen bzw. Verunglimpfungen (slurs) und einer Top-Ten-Liste der schlimmsten Antisemiten besteht jedoch ein kleiner semantischer Unterschied, den zu realisieren man von einem Top-Kolumnisten wie Martenstein erwarten darf. Eigentlich könnte man von einem seriös arbeitenden Journalisten auch erwarten, dass er auf die vom Simon Wiesenthal Center auf seiner Liste präsentierten, ins Englische übersetzten Zitate Augsteins hinweist, die als Belege für die »Anti-Semitic/Anti-Israel Slurs« von Augstein dienen sollen. Martenstein erwähnt diese Zitate jedoch mit keinem Wort, geschweige denn, dass er sich die Mühe macht, sich mit den zitierten Aussagen Augsteins auseinanderzusetzen und sich zu fragen, was an diesen antisemitisch sein könnte. Stattdessen setzt er ganz auf die »Was nicht sein darf, das nicht sein kann«-Karte und verweist darauf, dass Augstein »ein weithin respektierter deutscher Journalist und Verleger« (ebd.) sei. Womit für Martenstein offenbar bereits erwiesen ist, dass Augstein sich nie und nimmer antisemitisch geäußert haben könne, denn weithin respektierte Verleger und Journalisten, deutsche zumal, machen das ja per se nicht.
Dass Martenstein sich im Folgenden in Bezug auf die Liste des Simon Wiesenthal Centers fragt, »wie man so etwas misst« (ebd.), würde ich gerne unter feiner Ironie verbuchen, weil ich mir einfach nicht vorstellen kann, dass jemand den symbolischen Charakter einer solchen Top-Ten-Liste nicht versteht. Aber ich liege wohl falsch: »Da wäre ich gerne in der Jurysitzung dabei gewesen, wenn sie diskutieren, warum der eine auf Platz sieben gehört und der andere nur auf Platz acht.« (ebd.)
Mit der feinen Ironie hat es spätestens dann ein Ende, wenn Martenstein schreibt: »Von Jakob Augsteins Antisemitismus lässt sich sagen, dass er aus Kritik an der Siedlungs- und Besatzungspolitik der israelischen Regierung besteht.« (ebd.) Der zitierte Satz ist wirklich alles und damit nichts, was Martenstein konkret zu den Vorwürfen gegenüber Augstein zu sagen hat. Es folgen in der Kolumne noch abgeschmackte »Ich will auch auf die Liste«-Koketterien mit Martensteins eigenem Antisemitismus und Invektiven gegen Henryk M. Broder. Dass Broder vor seinem Weg nach rechts außen vieles in seinem Leben richtig gemacht hat, kann man an den Schmähungen von Martenstein ablesen, der beim Gedanken an Broder alle Contenance als »Advocatus Diaboli« verliert und sich wie ein Rumpelstilzchen aufführt: »Die Idee, Kritiker mit einem Bannfluch zu belegen, stammt ursprünglich vom Vatikan. Und das Copyright auf die Idee, Jakob Augstein wegen seiner Kritik an einer nationalistischen Regierung zum Verbrecher zu erklären, sozusagen für vogelfrei, besitzt Henryk M. Broder.« (ebd.) Wenn Martenstein meint, dass ein Jude einen weithin respektierten deutschen Verleger und Journalisten, der doch nur die israelische Regierung kritisiert, »sozusagen« für vogelfrei erklärt, ist das natürlich nicht antisemitisch, sondern die nüchterne Feststellung eines weithin respektierten deutschen Kolumnisten. Und dass Martenstein Broder wohl am liebsten selbst für vogelfrei erklären lassen würde, ist nur die boshafte Phantasie von jemandem, der auch gerne mal ein weithin respektierter deutscher Verleger und Autor wäre.
Es stellt sich die Frage, warum Harald Martenstein immer weiter fröhlich seine Kolumnen schreibt, wenn er in seiner Tagesspiegel-Kolumne vom 10. August 2014 feststellt: »Ein Mensch von Prominenz oder sonstiger Bedeutung, der sich im Deutschland von heute antisemitisch äußert, beendet damit automatisch seine Karriere.« (Martenstein 2014) Antisemit kann nach Martenstein offenbar nur jemand sein, der auch öffentlich bekennt, einer zu sein. Da es solchen offenen (strafbewehrten) Antisemitismus in Deutschland nur selten gibt, macht sich Martenstein im Gegensatz zum Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland Dieter Graumann keine Sorgen angesichts des Antisemitismus in Deutschland: »Ich kann allerdings nicht begreifen, dass er [Dieter Graumann; U. H.] im Interview mit einer englischen Zeitung über das heutige Deutschland sagt: ›Das ist die schlimmste Zeit seit der Nazi-Ära.‹ [Abs.] Jeder, der ein paar Jahre in Deutschland gelebt hat, weiß, wie absurd dieser Satz ist. Er ist eine Ohrfeige für die vielen, die jahrzehntelang und nicht ohne Erfolg daran gearbeitet haben, dieses Land zu verändern. Der Satz ist maßlos.« (ebd.) Es ist in meinen Augen maßlos antisemitisch, dem Vorsitzenden des Zentralrats der Juden ausgerechnet bei der Betrachtung des Antisemitismus in Deutschland einen besonderen Hang zur Maßlosigkeit zu unterstellen und dann gleich im Anschluss völlig willkürlich Graumanns angeblich maßlosen Zorn mit dem Israel-Palästinenser-Konflikt in Verbindung zu bringen: »Im Zorn jedes Gespür für das rechte Maß zu verlieren – dieses Problem gibt es auch in Israel und in Palästina, und deshalb wird dort alles immer schlimmer.« (ebd.) Einen Juden in Deutschland mal eben in Haft zu nehmen für etwas, das in Israel passiert, ist ein typisches antisemitisches Denkmuster. Der Tenor von Martensteins Text ist klar: Die Juden (in Deutschland wie in Israel) sind immer so maßlos zornig und machen nur Ärger. Außerdem wollen sie nicht anerkennen, dass wir (die nicht jüdischen Deutschen) in jahrzehntelanger mühevoller Arbeit aus Deutschland endlich ein nur noch maßvoll antisemitisches Land gemacht haben.
Martensteins Artikel ist eine Ohrfeige für diejenigen, die wie er nicht nur »ein paar Jahre in Deutschland gelebt«, sondern sich in diesen Jahren mit zunehmendem Antisemitismus in Deutschland konfrontiert gesehen haben. Wenn Martenstein mit keinem Wort erwähnt, dass Juden in Deutschland schon längst wieder buchstäblich geohrfeigt werden, und stattdessen empört darauf verweist, dass der Vorsitzende des Zentralrats der Juden mit seinen Äußerungen andere symbolisch ohrfeige, ist dies ein sprechendes Beispiel für antisemitische Sophisterei, die den Juden als undankbaren Aggressor in einer Gesellschaft hinstellt, die doch nun wirklich genug für ihn getan habe.
Nach