Die Rache des Waschbären. Christian Macharski
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Читать онлайн книгу Die Rache des Waschbären - Christian Macharski страница 10
Die Bedienung fixierte Borowka feindselig, nahm einen tiefen Zug an der Zigarette und aschte auf dem Boden ab. „Ja, meinst du vielleicht, ich arbeite in der Gastronomie, weil mir das Spaß macht oder weil ich nix Vornehmes gelernt habe? Geschissen, du Blödmann. Ich habe vier Kinder von fünf Männer zu versorgen. So sieht es aus. Und wenn ich das nächste Mal von hinten, von der Theke, brülle ‚Zweimal Fritten mit Mayo fertig‘, dann kommt ihr euch der Scheiß gefälligst selbst abholen. Ist das klar? Und jetzt her mit die Verzehrkarte.“
Borowka reichte ihr eine Pappkarte, in die sie mit einem Gerät Löcher hineinknipste. Als sie wieder zurück zur Theke walzte, folgte Fredi ihr mit seinem Blick. „Also, das fehlt mir in Berlin total: so coole Läden wie Himmerich. Die gibt es nämlich in der ganzen Hauptstadt nicht. Weißt du, so Läden, wo super Mucke läuft und wo man zwischendurch auch mal abhängen und eine Kleinigkeit essen kann. In Berlin gibt es nur so geleckte Clubs mit schwule Kellner, wo man bloß Cocktails mit Gemüse drin trinken kann. Dabei wollen die immer Weltstadt sein.“
„Was ist denn jetzt mit Benni Bärenstark?“, fragte Borowka ungeduldig.
„Ja, okay. Punkt für dich. Darkwing Duck.“
„Scheiße“, Borowka schlug sich mit der Hand vor die Stirn, „dass ich da nicht viel eher drauf gekommen bin! Meine Fresse, Fredi. Du bist immer noch gut in Form. Spielst du das in Berlin auch immer?“
„Leider nicht. Ich habe bis jetzt noch keinen gefunden, der da Bock drauf hatte.“
Borowka steckte sich drei Pommes auf einmal in den Mund. „Sag mal, Fredi, hast du eigentlich nie drüber nachgedacht, wieder zurückzukommen nach Saffelen? Also, jetzt nicht nur wegen Himmerich oder das Spiel hier.“
Fredi betrachtete nachdenklich seinen Teller. „Ja klar, manchmal schon. Ich hab mich zwischendurch immer mal einsam gefühlt. Aber dann ist mir wieder eingefallen, warum ich hier wegwollte …“
Borowka nestelte unbehaglich an seiner weißen Lederkrawatte und unterbrach ihn: „Das wollte ich dir sowieso noch gesagt haben. Das mit Martina und ihr neuer Lover, das war mir so rausgerutscht. Der ist aber wirklich ein absoluter Vollhorst, der Typ.“
Fredi machte eine wegwerfende Handbewegung, bevor er eine Pommes in den Mund steckte. Kauend sagte er: „Ach Blödsinn. Im ersten Moment ärger ich mich zwar immer noch, aber das ist schnell vergessen. Martina ist überhaupt kein Thema mehr für mich.“
Du weißt ja auch noch nicht alles, dachte Borowka. Er sagte aber nichts, sondern ließ Fredi weitererzählen.
„Einer der Hauptgründe, für dass ich nach Berlin gegangen bin, war mein Vater. Ich wollte dem einfach mal beweisen, dass ich es auch ohne fremde Hilfe zu was bringe. Alles, was ich gemacht hatte, war dem nie gut genug. Der hat immer gesagt, ich soll mir mal ein Beispiel nehmen an mein Vetter Dietmar. Hier, der Sohn von dem sein Bruder.“
„Das Aschloch aus Brüggelchen?“
Fredi nickte. „Der Dietmar hat BWL studiert in Köln und arbeitet da jetzt in eine ganz angesehene Werbeagentur. Der bringt da, glaube ich, die Post rum. Dem hat mein Vater immer bewundert. Und jetzt? Jetzt mach ich in Berlin Karriere und mein Alter macht still und heimlich der Abgang.“
Borowka wusste nicht, was er sagen sollte. Solche Gesprächssituationen überforderten ihn. Sobald es um Gefühle ging, verspürte er eine Art Fluchtreflex. Rita wollte mit ihm auch dauernd über irgendwelche Gefühle reden. Immer, wenn sie so etwas morgens ankündigte, hatte Borowka anschließend den ganzen Tag schlechte Laune in der Werkstatt. Über Gefühle reden fand er fast noch schlimmer als zu Ikea fahren. Aber mit Fredi war das natürlich was anderes. Hier ging es darum, seinem Kumpel eine moralische Stütze zu sein oder ihn zumindest von seiner Trauer abzulenken. Zum Glück fiel ihm genau das Richtige ein. „Gundel Gaukeley“, sagte er.
„Mist“, Fredi schlug sich auf den Oberschenkel, „und ich dachte, wir hätten Entenhausen schon komplett durch. Von Micky Maus bis Kater Karlo.“
„Entenhausen ist groß“, triumphierte Borowka. „Ich denke, das war’s. Da sind mal wieder zwei Asbach-Cola fällig auf dein Deckel.“
„Von wegen. Ich sag nur: Woody Woodpecker.“
Borowka ärgerte sich. Während er angestrengt nachdachte, versuchte er, die Musik auszublenden, die aus der Disko herüberwehte. Eins konnte er nämlich noch schlechter als über Gefühle reden: verlieren. „Ich hab’s: Daffy Duck.“ Er klatschte vor Freude in die Hände. Jetzt war er sich sicher, dass Fredi nicht mehr reagieren konnte. Das Comic-Universum war komplett abgegrast.
Doch dann zeigte Fredi seine ganze Klasse. Während er genüsslich eine Pommes in den Mund schob, holte er zum vernichtenden Schlag aus: „Schweinchen Schlau!“
Borowka war sprachlos. Er wollte gerade aufgeben, als die Tür zum Bistro aufgerissen wurde. Tonne und Spargel, zwei der Kumpels vom Fußball, mit denen sie hierhergekommen waren, stürmten herein und bauten sich vor ihrem Tisch auf. Völlig außer Atem stieß Tonne hervor: „Hier seid ihr! Ihr müsst sofort kommen. Die Uetterather sind auf Ärger aus. Die haben eben der Udo mit volle Absicht angerempelt. Wir wollen denen jetzt mal der Scheitel gradeziehen. Fraggle, Matte, Kanister und der kleine Bruder von Manni Mertens sind auch mit dabei. Wir treffen uns in einer Minute vorm Hip-Hop-Zelt.“
„Sofort“, sagte Borowka, „aber zuerst müsst ihr mir noch gegen der Fredi helfen. Ich brauche noch ein Comic-Held, dem sein Vor- und Nachname mit derselbe Buchstabe anfängt. Aber nix mehr von Micky Maus, Fix und Foxi oder Bugs Bunny. Die haben wir alle durch.“ „Das ist doch einfach“, sagte Spargel, ohne zu zögern. „Hab ich letztens noch auf DVD gesehen.“ Fredi und Borowka sahen ihn gespannt an. Spargel genoss die Aufmerksamkeit und sagte siegessicher: „Bernhard und Bianca.“
6
Freitag, 9. September 2011, 11.38 Uhr
Kommissar Kleinheinz hatte die Kirche vor allen anderen verlassen, um sich auf dem Friedhof in der Nähe der Grabstätte an einer Stelle zu postieren, von der er einen guten Überblick über alles hatte. Auch wenn die Mordtheorie aller Wahrscheinlichkeit nach nur ein Hirngespinst war, so konnte es nicht schaden, die Augen offen zu halten. Gerade Beerdigungen eigneten sich oft für interessante Beobachtungen. Er wäre allerdings ohnehin gekommen, schließlich hatte Fredi Jaspers ihn sogar persönlich eingeladen, inklusive anschließendem Beerdigungskaffee in der Gaststätte von Harry Aretz. Zeit hatte Kleinheinz mehr, als ihm lieb war, aber das musste er ja keinem auf die Nase binden. Auch wenn es ihm ein wenig unangenehm war, dass er Will und Marlene gegenüber nicht ganz aufrichtig gewesen war. Der Kommissar befand sich nämlich keineswegs in einem freiwilligen Urlaub, sondern war von seinem Vorgesetzten kaltgestellt worden. Aufgrund der negativen Prognose des Polizeiarztes war Kleinheinz bis auf Weiteres krankgeschrieben. Dabei war er sich sicher, dass er längst wiederhergestellt war, von kleineren Panikattacken mal abgesehen. Immerhin hatte er mit dem Polizeiarzt, der früher sein Badminton-Partner gewesen war, vereinbart, dass der ihn nur aus medizinischen Gründen, nicht aber