Gellengold. Tim Herden

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Gellengold - Tim Herden

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verlief der einzige Weg zum Leuchtturm Gellen. Hier konnte der Tote mit seinem Fahrrad vorbeigekommen sein und vielleicht hatte ihn jemand dabei beobachtet. Es gab zwar auch die Möglichkeit, über den Deich zu fahren, aber die hohen Betonfugen zwischen den Steinen auf der Deichkrone machten das Fahren dort fast unmöglich, besonders wenn man mit einem beladenen Hänger unterwegs war.

      Rieder stieg aus und ging in das Lokal. Die blonde Frau am Espressoautomaten lächelte, als er eintrat. »Na, hat Sie Damp auch mal fahren lassen?«

      Rieder blickte etwas verwirrt, kramte nach seinem Dienstausweis.

      »Lassen Sie mal. Ich weiß schon, wer Sie sind. Der Polizist aus Berlin. Die Insel ist ein Dorf, und Damp trinkt hier ab und zu mal ein Bier und plaudert dann, gefragt oder ungefragt, über seinen Job. Und in den letzten Wochen hatte er da eigentlich nur ein Thema – nämlich Sie, den Aussteiger.«

      »Aha.« Rieder zuckte resigniert mit den Schultern. »Viel Gutes wird er an mir nicht gelassen haben.«

      »Das können Sie laut sagen. Aber ich mach mir lieber selbst ein Bild. Und jetzt sind Sie hier und wollen wissen, ob ich den Toten vom Strand kenne.«

      Rieder zeigte ihr das Bild von dem Toten.

      »Der war mal hier, hat was gegessen und getrunken.«

      »Kennen Sie vielleicht auch seinen Namen?«

      »Wie er heißt, weiß ich nicht.«

      Bei dem Wort »essen« fiel Rieder ein, dass er seit dem Frühstück nichts mehr zu sich genommen hatte, und er spürte, wie sein Magen aufjaulte bei dem Gedanken an Nahrung.

      »Könnte ich einen Tee bekommen? Und haben Sie irgendwas zu essen, was schnell geht?«

      »Eigentlich gibt’s erst ab 18 Uhr wieder warme Küche, aber von heute Mittag wäre noch frischer Matjes mit Remoulade zu haben. Nur statt Bratkartoffeln müsste es eine Scheibe Brot tun.«

      »Klingt gut.«

      »Setzen Sie sich mal hier an den Rand der Theke. Müssen die anderen Gäste ja nicht mitkriegen, sonst wollen wieder gleich alle eine Extraportion. Ich heiße übrigens Dobbert. Charlotte Dobbert.«

      »Stefan Rieder.«

      Charlotte Dobbert verschwand in der Küche und kam kaum zwei Minuten später mit einem Teller Matjes zurück, dick mit Remoulade bedeckt, dazu zwei Scheiben Brot. Rieder stürzte sich auf das Essen. Unaufgefordert stellte sie ihm statt Tee ein Bier hin. »Fisch muss schwimmen.«

      Während Rieder den Fisch mehr verschlang als aß, bediente Charlotte Dobbert einige Gäste auf der Terrasse. Als sie sein Geschirr wegräumte, kam er noch einmal auf den Fall zurück.

      »Wann war der Mann denn hier?«

      »Ich würde sagen, so vor zwei oder drei Tagen.«

      »Sie haben doch sicher mit ihm gesprochen. Haben Sie vielleicht rausgehört, wo er herkam? War er Sachse, Berliner, Rheinländer …?«

      »Keine Ahnung. Er las aber in einem Buch über die Geschichte Hiddensees. Daran kann ich mich erinnern. Entschuldigen Sie, aber ich muss mich um die anderen Gäste kümmern. Ich habe den Laden noch nicht lange und kann mir keinen schlechten Ruf leisten. Dafür gibt’s zu viel Konkurrenz.«

      Rieder beobachtete Charlotte Dobbert beim Hantieren an der Espressomaschine. Ihr blondes Haar fiel ihr über die Schultern. Sie war vielleicht Anfang, Mitte dreißig, schlank, aber nicht dürr. Eben gut gebaut. Ihr blassgrünes T-Shirt und die enge Jeans betonten ihre Figur. Und sie hatte freundliche Augen. Charlotte Dobbert schaute zu ihm rüber und lächelte.

      »Hallo, Sheriff. Einen Penny für ihre Gedanken?«

      Rieder wurde rot. Ihm fiel nicht mehr ein als: »Ich muss los. Noch die anderen Kneipen abklappern.«

      »Lassen Sie das nur nicht die anderen Kneiper hören. Die halten sich nämlich alle für Edel-Gastronomen. Viel Erfolg. Kommen Sie mal wieder vorbei auf Ihrer Spurensuche oder auch so.«

      »Mach ich gern.« Er zahlte.

      In der Tür drehte er sich um und kehrte noch einmal zur Theke zurück. »Hat der Mann auf dem Foto vielleicht mit EC- oder Kreditkarte bezahlt, dann könnte ich über die Nummer auch den Namen rauskriegen?«

      Charlotte Dobbert lachte auf. »Sie sind wirklich noch nicht lange auf der Insel. Hier ist nur das Bare das Wahre. Entweder cash oder gar nicht. Der Fischer will am Kutter für seinen Fisch ja auch gleich Geld sehen.« Dann aber fügte sie in sanftem Ton hinzu: »Tut mir leid, dass ich Ihnen nicht helfen konnte«, und lächelte ihn freundlich an.

      Rieder dankte und machte sich auf den Weg zu den anderen Lokalen in Neuendorf. Aber auch dort kam er nicht weiter. Man hatte den unbekannten Toten in den letzten Tagen dort zwar ab und zu gesehen, aber immer allein. Er war ein unauffälliger Gast gewesen. Allen Befragten war jedoch aufgefallen, dass er immer in einem dicken Hiddensee-Buch gelesen hatte. Rieder konnte sich nur schwer konzentrieren. Zwischen seine Gedanken schob sich immer wieder das Bild von Charlotte Dobbert.

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