Stiefelschritt und süßes Leben. Klaus Muller
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Urplötzlich wurde das Wasser abgedreht und der Hauptfeldwebel (Spieß) stand in der Tür, brüllte „Alaaaarm!“ Die noch Eingeseiften, viele mit Waschschaum in Haaren und Augen, mussten, so wie sie waren, in die Klamotten springen. Ich hatte mir noch einige Sekunden Zeit genommen, mit dem Handtuch, das auf einem Hocker zwischen den Duschreihen lag, kurz über den Körper zu wischen und in den Schritt zu fahren, der in der Landsersprache „Kimme“ heißt.
Dann ging’s im Laufschritt in die Unterkunft; hier wurde das Käppi mit dem Stahlhelm vertauscht und die Gasmaske aufgesetzt. Für die Eingeseiften war das eine Tortur, da sich der Schweiß mit den Seifenresten mischte und in die Augen und Nasenlöcher drang. In diesem Zustand trieb man uns über die Sturmbahn.
Ich legte mich prinzipiell nach wenigen Schritten hin, wenn ich die Gasmaske überstülpen musste; hier nutzten weder Gebrüll noch Drohungen. Jetzt merkte ich, dass auch andere diese Schikane an sich nicht duldeten, stattdessen die Schutzmaske, so der offizielle Begriff, hochstreiften und liegenblieben. Andere hingegen erlebten qualvolle Stunden.
Militärisch gesehen hat die beschriebene Duschtechnik natürlich Sinn; der Soldat soll sich unter der Dusche nicht entspannen wie ein Badegast, er soll immer gefechtsbereit sein. Man könnte zügiges Duschen ja ganz einfach bei der Instruktion anweisen.
Viele kamen aber auch mit den Barras-Weisheiten ihrer Väter aus der alten Wehrmachtzeit. Die meisten in der „Arbeiter- und Bauern-Armee“ kamen tatsächlich aus der Landwirtschaft oder der Industrie. In meiner Batterie (46 Mann an 6 Haubitzen) hatten nur zwei Soldaten einen Hochschulabschluss, ein Apothekersohn war diplomierter Meteorologe, und ein Fischwirt nannte sich zu Recht Diplom-Ichthyologe.
Es wurde natürlich auch regelmäßig von meist unqualifizierten Leuten Politunterricht abgehalten; diese „brillierten“ durch außerordentliche Blödheit, manchmal aber auch durch reine Mordhetze gegen die Bundeswehrsoldaten, die für mich damals achtenswerte deutsche Landsleute waren.
Eine dieser Veranstaltungen im Kultursaal einer Ueckermünder Gießerei ist mir noch deutlich in Erinnerung geblieben. Nach einer langweiligen Ansprache des Regimentskommandeurs wurde der Parteisekretär der Gießerei ans Rednerpult geführt. Er war ein völlig ungebildeter Arbeiter, dem man, um ihm seine Sprachhemmungen vor diesem großen Auditorium zu nehmen, reichlich Schnaps eingeflößt hatte. Dann setzte dieser Mensch zu einer Tirade an, die von „NATO-Schweinen“, „diesen Hunden“, „Kapitalistenschweinen“, „umlegen“ und „abknallen“ nur so strotzte.
Der Regimentskommandeur, der dem Grundtenor der Rede gewiss zustimmte, erkannte aber, dass es ein Fehler war, dem Mann so viel Schnaps gegeben zu haben. Er schritt persönlich an das Rednerpult heran, an dem der Mensch ungebremst weiter geiferte, und führte ihn nach hinten in die letzte Reihe des Präsidiums, nachdem er sein Regiment durch demonstratives Händeklatschen zum allgemeinen Applaus animiert hatte.
Wie sollte ich diesen hasstriefenden Stumpfsinn anderthalb Jahre lang überstehen, ohne psychischen Schaden zu nehmen?
Ich legte für mich fest, dass diese Zeit die Strafe für alle meine Torheiten sei, die ich bisher begangen hatte, nahm mir vor, im Rahmen der Möglichkeiten eine Waffenkenntnis und -beherrschung zu erlangen, die mich in einer späteren Auseinandersetzung mit dem System nicht hilf- und nutzlos herumstehen lassen sollte, etwa wie die ungarischen Aufständischen angesichts der Russenpanzer in den Straßen von Budapest. Pazifismus war für mich schon früher eher eine ästhetische als politische Haltung gewesen. Jetzt hatten sie’s geschafft; aus ästhetischer Distanz war, über furchtsame Abneigung, Feindschaft geworden. Dieses System musste bekämpft werden.
Mich verwunderte es nicht, dass diese Haltung zum SED-System auch bei anderen, Vertrauteren, anklang. Besonders deutlich wurde das, als nach dem Tonking-Zwischenfall echte Kriegsgefahr drohte und Leute, die sich nun besser kannten, mehr von ihrem wahren Denken preisgaben.
Der Abscheu vor diesem Kasernenhofdasein und die völlige Unmöglichkeit, davon wegzukommen, ließen bei mir große Sehnsucht nach Bruni aufkommen, die ja nun schon einige Monate mit unserem gemeinsamen Kind schwanger ging. Ich schrieb ihr auch fast täglich einen Brief.
Die Gefahr, potenzielle Gegner in den eigenen Reihen auch noch gut auszubilden, hatte die Militärführung der DDR erkannt. Besondere Kenntnisse und Eigenschaften, die über die Kasperei mit unserer Haubitze hinausgingen, wurden im AR 9 nicht vermittelt. Dennoch sollte jeder Artillerist einmal in seiner Dienstzeit eine scharfe Handgranate geworfen und sechs Schuss mit der Pistole Makarow abgegeben haben. Eines Tages stand gerade dieses an. Der Spieß ließ die Batterie antreten, verkündete die bevorstehende Ausbildung und ließ sofort die Kanoniere Müller und Spröter heraustreten, die sich umgehend zum Kartoffelschälen in der Regimentsküche melden sollten. Die restliche Batterie rückte ab, zum Handgranatenwerfen und Pistolenschießen.
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Die Verpflegung der NVA-Soldaten war in den 60er Jahren entsprechend karg; draußen auf dem flachen Land herrschte ebenfalls noch Mangel an Lebensmitteln. Deshalb will ich nicht weiter darauf eingehen, will nur noch erwähnen, dass an drei oder vier Tagen der Woche das Mittagessen aus einem Eintopf bestand. Dieser enthielt Dörrgemüse und Kartoffeln, die pro Regimentskessel mit zwei Dutzend Dosen Schmalzfleisch à 500 Gramm abgeschmeckt waren. So betrug der Anteil von hochkalorischem Fett an einer Mahlzeit tatsächlich 15 Gramm.
Das Schälen – von immerhin zweieinhalb Zentnern Kartoffeln pro Tag – bestand darin, nur die „Augen“ aus den Kartoffeln zu polken, da sie von einer Raspelmaschine vorbehandelt waren. Bei diesem Dienst wurde ich einmal Zeuge einer kaum glaubhaften Unappetitlichkeit: Der Küchenchef, ein Oberfeldwebel (bei der Artillerie Oberwachtmeister) hatte ja täglich Ausgang, wohnte vielleicht sogar im Ort, kam eines Vormittags völlig betrunken in die Küche. Er rührte in dem zum Verzehr fast fertiggestellten Kessel mit Dörrgemüseeintopf herum. Dabei verlor er die Kontrolle über seinen Magen, übergab sich und spie seinen gesamten Mageninhalt in den Kessel und rührte weiter. Das nahm mir nicht nur den Appetit; diese Schweinerei betäubte sogar den Hunger. Die Soldaten, die bald darauf zum Mittagessen erschienen, haben aber klaglos den Kesselinhalt vertilgt.
Durfte ich an der Ausbildung an der Straßenkampf-Waffe auch nicht teilnehmen, so war ich doch bei Schießübungen mit der MP Kalaschnikow dabei. Da ich eine sichere Hand und ein gutes Auge besaß, hatte ich auch hervorragende Schießergebnisse, die mir die Schützenschnur einbrachten. Das Peinliche war allerdings, dass ich dieses Gebammel nun stets an der Ausgehuniform tragen und für 16,50 Mark von meinem Wehrsold, der 58 Mark im Monat betrug, selbst kaufen musste. Verweigern ging nicht, da diese „Auszeichnung“ im Wehrpass oder Soldbuch eingetragen wurde.
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Wochen später führte das Misstrauen gegen mich sogar zu Unruhe in der Batterieleitung. Ich wurde nämlich kurzerhand einem Kommando zugeteilt, das, mit 30 Schuss scharfer Munition in der Kalaschnikow, nahe am Todesstreifen aus einem Depot bei Potsdam alte sowjetische Trommel-MPs einsammeln sollte. Es ging wirklich weniger als zehn Meter an den äußeren Sperranlagen entlang – und ich trug eine scharfe Waffe. Ich erfuhr von dem „Anschiss“, den der Sicherheitsoffizier des Regiments unserem Batteriechef verpasste, von Spröter, der gerade GUvD (Gehilfe des Unteroffiziers vom Dienst) war. Das Depot befand sich auf dem Gelände einer Grenztruppeneinheit bei Potsdam. Die alten sowjetischen Trommel-MPs, die beim unvorsichtigen Aufsetzen schon manchem Soldaten das Gehirn durch die Schädeldecke geblasen haben, aber als unverwüstlich galten, waren noch fabrikneu und in Ölpapier eingewickelt. Angeblich sollten sie nach Ghana gehen. In dieser Grenzeinheit war natürlich auch die Verpflegung der Soldaten weit besser als in unserem