Im grünen Raum von Saint-Leu. Peter Lenzyn

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Im grünen Raum von Saint-Leu - Peter Lenzyn

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meine Mutter sehr glücklich, auch wenn sie meine Fotos etwas morbide und die Kunstlehrerin ziemlich durchgeknallt fand.

      Der Kunstunterricht bekam mit der Farbenlehre einen neuen Schwerpunkt. Wir besprachen Farben aus naturwissenschaftlicher Sicht und kamen zur Farbmetrik. Wir wechselten zu künstlerisch-ästhetischen Sichtweisen von Leonardo da Vinci und George Seurat und erfuhren, welche Farbtöne als kalt oder warm zu verstehen waren. Die Kunstlehrerin forderte uns auf, unserem eigenen Empfinden nachzugehen, wir schauten uns Dias an, die Farbtöne zeigten, und dann ging es darum, zu jedem Farbton etwas zu sagen.

      „Dieses Gelb ist der Triumph des Hellen über das Dunkle, es ist warm, von ihm geht Signalwirkung aus, es will aufmerksam machen und warnen.“

      „Dieses Rot ist das Rot des Blutes, es ist mit Leben verknüpft, es bedeutet Energie und Wärme, Freude und Leidenschaft, Liebe und Erotik, aber auch Aggression und Zorn.“

      „Dieses Blau ist kalt und tief, es ist weit und klar, es vermittelt Sehnsucht, Beständigkeit, Harmonie und Zufriedenheit. Es ist das Blau des Meers.“

      „Das Meer ist schwarz.“

      Alle schauten zu mir herüber, auch die Kunstlehrerin. Ich war von der ziemlichen Bestimmtheit, mit der ich das sagte, selbst ein wenig überrascht. Aber ich sagte es noch einmal. „Das Meer ist schwarz.“

      Die Kunstlehrerin nannte den Blauton. Es war Ultramarinblau. Ultramarin. Sie fühlte sich bestätigt.

      „Was wissen Sie denn vom Meer?“, fragte ich.

      „Die Farbe des Meeres spiegelt die Farbe des Himmels wider“, sagte sie. „Ist der Himmel blau, ist das Meer blau. Ist der Himmel grau, ist das Meer grau. Das Meer kann also auch grau sein. Aber schwarz? Nun ja, manchmal ist auch der Himmel schwarz.“

      Ich schüttelte den Kopf und sagte: „Aber wir reden doch vom Meer, nicht vom Himmel.“

      Und dann erklärte ich: „Sie haben ja recht, das Meer ist blau. Und es ist türkis, und es ist grün – für den, der am Strand sitzt und rausschaut, wer im Wasser plantscht, wer aus dem Flugzeug schaut, wer in Reisekatalogen blättert und in die Sonne will, auch für den. Aber wenn Sie weit draußen auf offener See schwimmen, dort, wo die Fische nicht bunt und klein sind und wie Spielzeug aussehen, sondern grau und groß. Wenn Sie dort in den hohen Wellen schwimmen, in denen Sie Wasser schlucken und um Hilfe schreien, dann ist das Meer schwarz, und es wird für Sie immer schwarz sein.“

      Die Kunstlehrerin hörte mir zu. Die ganze Klasse hörte mir zu.

      „Das Wesen des Meers ist schwarz“, sagte ich, „und wer das nicht weiß, der unterschätzt es.“

      Es gongte zur Pause.

      Die Kunstlehrerin war nicht so hilflos wie meine Mutter oder die neuen Freundinnen meiner Mutter, die einen kleinen Hund mit großen Augen in der Jackentasche hatten und gegenüber ihren Hausangestellten klein beigaben. Obwohl die Kunstlehrerin jung war, strahlte sie einen solitären Autoritätsanspruch aus und wusste sich gegenüber uns Schülern durchzusetzen. Ich erwartete, dass sie mich zur Rede stellte; wie ich denn dazu käme, ihr vor der gesamten Klasse zu widersprechen?

      Wenn es um Autorität ging, hatte ich mir seit meiner Rückkehr nach Paris einiges anhören müssen. Insbesondere mein langhaariger Onkel hatte die Sorge, das tropische Klima von La Réunion hätte mich verdorben; es hätte mir die Fähigkeit genommen, mich in das in Paris herrschende Leben einzufinden. Sehr schnell redete er davon, dass es so etwas wie Autorität gab und dass sie nicht in Frage zu stellen sei. Er vermittelte mir das auf eine sehr freundliche Art, er wollte mir bloß helfen, es sei nur zu meinem Besten und so weiter. Und eigentlich redete er weniger von der Autorität als der Idee, die in Paris so ziemlich alles zusammenhielt, sondern er redete von einer sublimen, einer vorauseilenden Form. Er holte etwas aus, sprach über seine Arbeit, über die Leute, für die er arbeitete, oder die Leute, die für ihn arbeiteten, und feierte diese so sublime und vorauseilende Form als etwas, das er selbst erst hatte verstehen müssen. Wovon er sprach, das benannte er dann mit ausgebreiteten Armen und großer Hingabe als Loyalität. Loyalität, das war es, was er mir vermitteln wollte, und Loyalität sei etwas, was man zu leisten hatte.

      „Kannst du kurz dableiben?“, sagte die Kunstlehrerin zu mir, als alle anderen den Klassenraum Richtung Pausenhof verließen.

      Ich meinte, sehr genau zu wissen, was kommen würde.

      „Ich möchte dich um einen Gefallen bitten“, sagte sie. „Ich möchte, dass du mir das Meer erklärst.“

      Das überraschte mich ein wenig. „Wie soll ich das denn machen?“

      „Vielleicht beschreibst du mir, wie du mit dem Meer aufgewachsen bist. Vielleicht schreibst du es auf.“

      „Eine Strafarbeit also?“

      Die Kunstlehrerin lachte. „Nein, es ist keine Strafarbeit.“

      „Was ist es dann?“

      „Es ist Neugier.“

      „Neugier?“

      „Ich möchte wissen, was genau du verloren hast.“

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