Mami Bestseller Staffel 4 – Familienroman. Jutta von Kampen
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Читать онлайн книгу Mami Bestseller Staffel 4 – Familienroman - Jutta von Kampen страница 36
Er bemerkte, daß in Heikes Gesichtchen Schmutzspuren waren, die nur von flüchtig abgewischten Tränen stammen konnten. Ihre Zöpfe, sonst immer glatt und seidig glänzend, waren halb aufgelöst, und an einem fehlte eine Schleife. Ihre weißen Kniestrümpfe waren beschmutzt und der rechte herabgerutscht.
Kai sah nicht weniger mitgenommen aus, wenngleich er dem Blick des Mannes tapfer und mit einer Spur Trotz begegnete.
Olsen bemerkte den halb zugenähten langen Riß an Kais Hose und die rote Schramme, die über seine Stirn lief. Und er sah noch etwas.
Olsen sah, daß eine sonderbare Reife die kindlichen Züge prägte, wie es nur bei einem jähen, sehr schmerzlichen Erlebnis geschehen kann.
Dieser Ausdruck von Verlassenheit und sich-nicht-unterkriegen-lassen erschütterte Olsen so sehr, daß er regungslos dastand und den Blick nicht von den beiden kleinen Gestalten wenden konnte.
Viel rascher faßte sich Kai. Er packte plötzlich Heikes Hand und riß sie blitzschnell mit sich fort um die Ecke des Ganges.
Gerade konnte Olsen noch den Spaniel sehen, der hinter den beiden her wetzte.
»He! Kai! Heike! Was soll das? Bleibt gefälligst stehen!«
Henry Olsen nahm die Treppe mit langen Schritten, er lief über den Flur, stolperte über eine dort stehende Truhe und rieb sich leise fluchend sein Schienbein.
Als er um die Ecke des Flurs eilte, war von den Kindern und ihrem Hund nichts mehr zu sehen.
Aber Olsen wußte sie ja in ihrem Gästezimmer, das am Ende des Ganges lag.
Er klopfte an, erhielt keine Antwort und betrat schließlich den Raum, der ihm dunkel entgegengähnte.
Er mußte den Lichtschalter erst suchen, um dann festzustellen, daß der Raum leer war und das Bett unberührt.
Die nächsten Stunden verbrachte Henry Olsen damit, sein Haus auf den Kopf zu stellen. Aber er fand die Kinder nicht.
Auf den Dachboden stieg er zu guter Letzt auch noch. Aber ein flüchtiger Blick auf das Gerümpel sagte ihm, daß sich die Kinder hier auf keinen Fall verborgen hielten.
Also im Garten suchen. Irgendwo mußten die beiden ja stecken. Ein Gutes hatte diese Suche.
Olsens Gedanken waren abgelenkt von dem tragischen Unfall, dem die Frau zum Opfer gefallen war, die er liebte.
Es war schon Mitternacht, als der Mann sich endlich auf seinem Lager ausstreckte.
Sein letzter Gedanke galt den Kindern. Kai und Heike! Wo mochten sie sein? Sollte er die Fürsorgerin informieren?
Bei dieser Überlegung lachte Olsen grimmig auf. Kam nicht in Frage! Wenn die alle so liebenswürdig waren im Waisenhaus, schien Kai das einzig Richtige getan zu haben.
Ist überhaupt ein prächtiger Bursche, sann Olsen. Zu schade, um bei diesem Max Brünnig und seinen beiden halbwüchsigen Vettern den Blitzableiter spielen zu müssen. Er hatte da ja von Jutta so manches erfahren.
Jutta! Olsen starrte in die Dunkelheit, vor seinen Augen erschien das fröhliche Antlitz der jungen Frau. Es war ihm, als sprächen die Lippen eine flehentliche Bitte aus.
Ja, Olsen empfand es fast körperlich. Juttas Lippen formten sich zu beschwörenden Worten.
»Kümmere dich um meine Kinder!« schienen sie ihm zuzuflüstern. Olsen verschränkte beide Arme im Nacken und starrte in die Finsternis. Bei Gott, er konnte doch nichts tun.
Die Fürsorgerin hatte völlig recht.
Niemand würde ihm zwei Kinder anvertrauen.
*
Die nächsten beiden Tage gestalteten sich in dem großen alten Haus ganz sonderbar.
Am Morgen des ersten Tages versuchte Henry Olsen erneut und recht intensiv, den Kindern auf die Spur zu kommen.
Das war gar nicht so einfach für ihn, denn im Gegensatz zu Kai und Heike war ihm das Haus immer fremd geblieben.
Gewiß, er hatte es damals spontan gekauft, weil der Preis nicht allzu hoch und weil Jutta von dem Haus begeistert war.
Dann jedoch trat Eugen Brünnig in ihr Leben und beherrschte es voll und ganz.
Sie heirateten bald, und Olsen sah keinen Grund mehr, das Haus zu renovieren. Er lebte ohnehin lieber in Hamburg nahe seiner Reederei.
Allerdings wollte er das Haus auch nicht gleich wieder verkaufen. So ließ er es in seinem alten, wenig ansprechenden Zustand und hatte das Glück, die alte Lina dafür gewinnen zu können, ihr Domizil hier aufzuschlagen.
Lina war lange Jahre in Hamburg sein guter Hausgeist gewesen, jetzt jedoch im pensionsfähigen Alter. Ihr kam das Haus am Fluß gerade recht, und als Jutta gar noch meinte, als Ferienaufenthalt für sie und ihre beiden Kinder sei dies der ideale Ort, gewann der überstürzte Hauskauf an Bedeutung.
Dennoch wurde Henry Olsen das Haus mit seinen fast zwanzig Räumen nie so recht vertraut.
Er bewohnte während seiner kurzen Anwesenheit immer nur eines der Gästezimmer im ersten Stock und hielt sich die meiste Zeit in dem großen Wohnraum neben der Küche auf.
So war es nicht verwunderlich, daß Old Henry ziemlich lange brauchte, um ganz sicher zu sein, daß sich die Kinder nicht im Haus befanden.
Nach dieser Erkenntnis stand er zunächst ratlos in der Diele, ehe er sich im Garten umschaute, weil diese schreckliche Person ja von einem ramponierten Rasen gesprochen hatte.
Es stimmte! Olsen sah mit einem Blick, was Fräulein Krümel angedeutet hatte. Zertretenes Gras und Spuren von übermütiger Balgerei, wie sie nur ein Junge von acht Jahren mit seinem Hund verursachte.
Diese Schlauberger, sann Olsen und kniff die Augen zusammen, um im blendenden Sonnenlicht das Flußufer abzusuchen. Wo sind sie? Irgendwo hier in Hausnähe bestimmt.
Langsam schlenderte der Mann zum Fluß hinab, dabei wachsam umherblickend.
Es war sommerlich warm, dennoch behagte ihm der Gedanke nicht, die Kinder könnten die Nacht über im Freien zugebracht haben.
Henry Olsen war so in seine Suche am Flußufer vertieft, daß er keinen Blick hinter sich warf. Aber es hätte sich gelohnt.
Vom Dachfensterchen beobachteten ihn zwei vergnügte Augenpaare. Kai und Heike grinsten und schnitten gar eine kleine Grimasse hinter Olsens hoher Gestalt her.
Dann kommandierte Kai seine Schwester und Bimbo schnell und zielstrebig herum.
Sie schlichen in die Küche, sahen mit Vergnügen, daß Olsen sich ein halbes Dutzend Eier in die Pfanne geschlagen hatte und machten sich hungrig darüber her.
Bimbo wurde hinausgelassen, denn das mußte ja sein so früh am Morgen. Aber er wurde ebenso rasch wieder herbeigepfiffen.
Diesmal hatten Kai und Heike allerdings keine Zeit, um ihre Spuren wieder zu tilgen. Wozu