Hopfenbitter. Alexander Bálly
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Hopfenbitter - Alexander Bálly страница 11
An einem der Sonntage war beinahe der ganze Bichlerhof nach Hüll spaziert, dem Hopfenforschungsgut. Die Bäuerin meinte, nirgendwo sei die gebenedeite Jungfrau den Hopfenbauern und ihren Helfern so gewogen wie in der Kapelle dort, wo sich alles Denken und Trachten um die g’starrigen Ranken dreht. »Hier kann s’ gar ned anders als a Einsehen ham mit unseren Sorgen!«, erklärte sie.
Eine gemütliche Stunde waren sie bei strahlend blauem Himmel durch die grüne Landschaft marschiert, hatten einen Abstecher nach Larsbach gemacht und waren schließlich an einem Bauernhof von stattlicher Größe angelangt. Links vom weiß getünchten Haupthaus standen die Wirtschaftsgebäude im Hufeisen.
Frau Bichler führte sie sofort zur Kapelle, einem kleinen, hübschen Kircherl auf der anderen Seite des Fahrwegs. Franziska staunte, denn darin verbarg sich eine üppig stuckierte Lourdes-Grotte.
»A jeder bet jetzt bitt schön a Avemaria und a Vaterunser. Und wenn wer noch was auf dem Herzen hat, hier werd g’holfen. Hier hat’s nämlich amal a echtes Wunder geben. A halbes Jahrhundert is wohl her, und wirklich wahr is! Mei Oma hat die Felsl-Kathi noch selber gekannt. Die Arme is damals so krank g’wesen, sie hat scho gar nimmer laufen können. Bei am Brand wär s’ dann fast um’kommen. Aber wie s’ da in ihrer Not zur heiligen Jungfrau ’bet hat, hat s’ plötzlich doch wieder gehn können. A bisserl später hat s’ die Kapelle hier g’stift.«
Weit interessanter als die hübsche Marienkapelle fand Franziska den Leiter dort, Herrn Professor Dr. Zattler, der die Gesellschaft begrüßte und eine kleine Führung veranstaltete.
Mit angenehmer Bassstimme gab er zunächst einen kurzen Abriss des Hopfenanbaus in der Holledau: »Es heißt, es waren kriegsgefangene Wenden, die vom bayerischen Herzog bei Geisenfeld im 8. Jahrhundert angesiedelt wurden. Sie haben wohl den ersten Hopfengarten in der Region angelegt. Natürlich hatten die Armen nicht ahnen können, wie wichtig dieses Gartl für die Region werden würde. Schlechte Landwirte können diese Wenden nicht gewesen sein, denn der Hopfen gedieh gut und man baute ihn seit dieser Zeit an – sporadisch nur, vor allem als Heilpflanze für den Eigenbedarf. Vielleicht trieb man auch ein wenig Handel damit, aber reich wurde man damit natürlich noch nicht. Doch wer wurde das damals hier schon? Unsere schöne Holledau war ja das Armenhaus Bayerns, eine elende Gegend, abseits der großen Verkehrswege und weitgehend unerschlossen.«
Irgendwo in der Ferne pfiff die Lokomotive des Holledauer Bockerls, die mit ihren Wagen Richtung Moosburg schnaufte. Großvater Bichler meinte: »Mei, zu am Wohlstand san ma ja erst ’kommen, wie der König die Eisenbahn hat bauen lassen! Ohne die hätt ma den Hopfen ja a gar ned weg’bracht. Und ihr seids ja aa alle mit am Zug kemma.«
Der Professor nickte. »Die Eisenbahn war sehr wichtig, freilich. Aber es wurde auch schon besser, als 1848 die bayerischen Bauern keine Abgaben und Frondienste mehr leisten mussten. Endlich konnten sie wie Unternehmer denken. 1849 kam dann die Eisenbahn! Die Bahnstrecke von München nach Nürnberg hat wenigstens die westliche Holledau an die Welt angeschlossen. Was aber noch viel wichtiger war: Damals wurden plötzlich untergärige Biere Mode, nach ›Bayerischer Brauart‹ trank man und ›Pilsener‹. Das Biertrinken wurde plötzlich sehr viel beliebter, die Nachfrage nach Hopfen stieg rasant. Seit dieser Zeit ist der Hopfen ein sehr begehrtes Handelsgut.«
Die ersten der Besucher zeigten Zeichen von Langeweile und Ungeduld. Sie wollten lieber Bier trinken, als davon erzählt bekommen. So brachte der Professor seinen Vortrag lieber zu einem raschen Ende.
»Wir hier sorgen dafür, dass der Hopfen ein begehrtes Handelsgut bleibt, denn wir züchten die neuen Hopfensorten, die die Braumeister brauchen. Dabei sind wir weltweit ohne Konkurrenz. Kommen Sie, ich zeig Ihnen, wie wir das machen!«
Als sie nach einem Rundgang durch die Anlage wieder vor das Haupthaus geführt worden waren, stand plötzlich der Traktor der Bichlers auf dem Hof. Robert, der Sohn der Bichlers, hatte den Anhänger herübergefahren. Darauf warteten ein paar Kästen kellerfrisches Bier und eine deftige Brotzeit auf die Ausflügler. Als sich alle gestärkt hatten, fuhren die älteren Pflücker auf dem Hänger zurück, »dass wir morgen ned so müd san bei da Arweit!«.
Franziska ging lieber zu Fuß und genoss die duftende Spätsommerluft, die reizvolle Landschaft mit den vielen Schattierungen des Grüns und die frohe Gemeinschaft der gut gelaunten Arbeiterinnen, denen sie sich angeschlossen hatte.
Die Gesellschaft auf dem Hof war mehr oder weniger dieselbe geblieben, doch es gab auch Änderungen. Ein paar bekannte Gesichter waren ausgeblieben. Eleonore zum Beispiel hatte geheiratet, und mit Jochen, ihrem Säugling, war sie natürlich zu Hause geblieben. Die ehrgeizige Theres, hatte sie gehört, war bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen.
Die Lücken waren indes schnell gefüllt, denn immer mehr Bauern schafften sich nun die eisernen Pflücker an, riesige Maschinen, größer als die Garagen, die in München im Hinterhof standen. Diese Giganten baute man in der Scheune auf – mancher baute auch um sie herum eine neue Scheune. Gefüttert wurden die Ungetüme mit den Hopfenreben. Mit unglaublichem Getöse wurde der grüne Hopfen komplett ins Innere eines solchen Monsters gezogen, wo eine Kombination aus Walzen mit Gummifingern, Transportbändern und Gebläsen die Dolden abzupfte und in den ersten Stock blies. Den unbrauchbaren Rest der Rebe spuckte der Apparat am anderen Ende fein gehäckselt auf einen Anhänger.
Die ersten dieser Geräte waren noch sehr unzuverlässig gewesen, mussten immer wieder angehalten werden, und sie zupften sehr schlecht. Die Bauern, die sie angeschafft hatten, wurden vielfach belächelt. Inzwischen aber waren diese mechanischen Ungeheuer recht ausgereift, auch wenn natürlich immer noch ein knappes Dutzend Frauen Nachschau halten musste und in diesem Höllenkrach des Apparates Blätter und Stängelreste am Fließband aus dem Doldenstrom fischten.
Dank der Maschinen brauchte man nun weit weniger Erntehelfer. Wer Glück hatte, kam bei Bauern unter, die noch traditionell zupften, so wie die Bichlers. Aber wie lange noch? Wenn die Bauersleut es nicht hören konnten, wurde unter den Pflückern lebhaft erörtert, wann wohl die Bichlers sich auch so ein Ungeheuer anschaffen würden. Die einen meinten, das würde sicher noch Jahre dauern, weil doch die Maschinen so teuer wären. Andere wandten ein, das hätten andere auf anderen Höfen auch angenommen. Doch wenn man der Investition gegenüberstellte, was man alles an Arbeitslöhnen sparte, und das immer wieder alle Jahre neu, war die Anschaffung wohl dennoch lohnend.
Zuletzt war man der Meinung gewesen, dass man die Hopfenbrockerei genießen wollte, solange es noch dauerte. Zukunftsängste hatte ohnehin niemand. Das Wirtschaftswunder war sogar in der Oberpfalz und der Holledau angekommen, und allenthalben war man optimistisch.
Soweit es Franziska anging, würde sie gern immer wieder in die Holledau zum Hopfenbrocken fahren. Die Luft war eine andere als in der großen Stadt. Man roch es. Hier krochen nicht Teer und Diesel in die Nase. Die Luft schmeckte nach Hopfen – natürlich – doch auch nach feuchter Erde und gemähtem Gras, das die Spätsommersonne in duftendes Heu verwandelte. Und dann gab es da noch einen anderen Geruch. Den aber hatte sie erst letzte Woche kennengelernt. Ein starker Duft, von Arbeit, Kernseife, Moschus und sauberer Wäsche.
Konstantin Bichler war in den letzten Jahren zu einem feschen jungen Mann herangewachsen. Ein breites Lächeln hatte er immer schon gehabt, doch in den letzten Jahren hatte die Arbeit ihm dazu noch breite Schultern beschert. Auch war er viel selbstsicherer geworden. Alles Linkische und Ungeschickte hatte er abgelegt, und da er sich schweigsam gab, sagte er nie das Falsche. So umgab ihn eine Aura aus Attraktivität und Geheimnis.
Wie genau es gekommen war, konnte Franziska gar nicht sagen. Natürlich hatte sie seine Entwicklung vom Jungen zum Mann