Ardistan und Dschinnistan. Karl May
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Читать онлайн книгу Ardistan und Dschinnistan - Karl May страница 29
»Das ist geradezu unglaublich! Dir nichts einfallen? Meinem Hadschi Halef nichts einfallen? Das ist Dir doch wohl in Deinem ganzen Leben nicht ein einzigesmal geschehen!«
»Allerdings nicht. Heut aber geschah es zum ersten Male.«
»Vor Schreck etwa?«
»Nein, sondern vor Erstaunen.«
»Über die Größe dieser Leute?«
»Das nicht. Du weißt ja, Sihdi, daß körperliche Größe mich nicht verblüfft. Auch hier nicht, obwohl diese Ussul fast ohne Ausnahme alle Riesen sind. Aber ihre Behaarung! Allah ‘l Allah! Was sind das für Menschen! Schon die Männer! Diese Köpfe und diese Bärte! Ich mußte mir Mühe geben, nicht laut aufzulachen. Aber dann die Frauen, die Mädchen, die Weiber, die - die - - die - - - Sihdi, wie heißen in Deiner Heimat die vornehmen Frauen? Wie nennt man sie?«
»Damen.«
»Richtig! Die Damen, die Damen der Ussul! Besonders die Frau des Scheiks, der jetzt nicht anwesend ist. Sie heißt Taldscha und ist im ganzen Gesicht behaart, auch an den Wangen und an der Stirn. Man sieht nur die Nasenspitze und die beiden kleinen Augen. Und diese Haare sind blond, ganz hellblond, und reichen bis auf die Lenden herab. Ich sage Dir, ich war derart erstaunt, daß mir die Stimme versagte, daß ich die Sprache verlor. Und dumm sind sie, diese Menschen, geradezu blitz-und hageldumm. Denke Dir nur: Sie hielten mich für einen entsprungenen Hofnarren, für den Zwerg und Possenreißer irgend eines Herrschers. Und später kam der Zauberer gar auf die wahnsinnige Idee, daß ich sehr wahrscheinlich der Leibzwerg des ‘Mir von Dschinnistan sei, aber nicht ihm entsprungen, sondern von ihm als Spion gesandt, das Gebiet von Ardistan auszukundschaften! Ich und ein Zwerg! Ein Kundschafter und Späher! Aber die andern glaubten es ihm. Wäre der Scheik zugegen gewesen, so hätte man mich auf der Stelle umgebracht. Da man mit diesem Urteile und seinem Vollzuge aber bis zu seiner Rückkehr warten muß, so beschloß man, mich inzwischen auf die Insel hinüberzuschaffen, von der aus ich nicht entfliehen könne.«
»Hast Du Dich gewehrt?«
»Nein. Ich konnte nicht. Als man mich ganz unerwartet ergriff, nahm man mir sofort das Messer, die Pistolen und alles andere, was ich im Gürtel trug. Womit hätte ich mich da wohl wehren können? Etwa mit den Händen, wo die ihren viermal größer sind als die meinen? Nun ist es ein Glück, daß Du gekommen bist! Wie gedenkst Du uns zu befreien?«
»Uns zu befreien? Welch eine Frage! Wir sind ja frei!«
Er sah mich an, schaute rundum, lachte dann fröhlich auf und rief:
»Das ist allerdings richtig, ganz außerordentlich richtig! Es gibt hier nur dieses einzige Boot. Wir brauchen doch nicht zu ihnen zurückzukehren, sondern einfach nur quer über den See zu rudern. Wir kommen viel eher dort an als sie, die den weiten Umweg längs des Ufers machen müssen. Aber, weißt Du, Effendi, das, was sie mir abgenommen haben, möchte ich ihnen nicht gern lassen!«
»Das sollst Du auch nicht. Wir haben gar keine Veranlassung, zu fliehen. Sie haben uns zu gehorchen. Ich werde sie zum Frieden zwingen. Ihr Scheik befindet sich nämlich in meiner Gewalt.«
»Du hast ihn gesehen?« fragte er rasch.
»Gesehen und gefangen genommen!«
»Hamdulillah! Nun sind wir wieder groß!«
Er stand von seinem Sitze auf, tat einen Freudensprung, daß der Kahn ganz gefährlich zu schaukeln und zu rollen begann, und fuhr dann fort:
»Unser Gefangener, unser Gefangener ist er! Was können diese Giganten uns nun tun? Nichts! Wenn sie uns nicht gehorchen, so schlachten wir ihn ab und fressen ihn auf mit Haut und Haar und Knochen! Sihdi, das müssen wir ihnen sagen, sofort sagen! Greif zum Ruder! Wir fahren hinüber zu ihnen. An das Ufer! Sofort, sofort!«
Er setzte sich wieder an seinen Platz, um seine Wort auszuführen. Ich hatte nichts dagegen und fragte nur, wo die Sachen, die ihm abgenommen worden waren, zu suchen seien. Er antwortete:
»Die Dame Taldscha hat alles zu sich gesteckt. Sie sagte, daß es dem Scheik gehöre und also sie es in Verwahrung zu nehmen habe. Mir scheint, daß sie es ist, die den Stamm regiert, nicht er. Sogar der Zauberer wagte nicht, zu widersprechen. Er ist sehr höflich zu ihr. Sie hat einen Ledersack an ihrer Seite hängen; da hinein hat man alles getan.«
Diese kurze, sehr notwendige Unterredung erforderte zwischen Halef und mir natürlich nicht so viel Zeit, wie man braucht, um sie zu lesen. Dennoch hatten sich die drei von uns aus dem Boot getriebenen Ussul schon ziemlich weit von uns entfernt. Sie schwammen dem Ufer zu, an dem ihre Leute standen und durch alle möglichen Arten von Geschrei und Lärm kundgaben, wie unverständlich ihnen das sei, was sich ereignete. Auch wir ruderten ihm zu, aber langsam und bequem, denn wir hatten keinen Grund, eine sonderliche Eile zu entwickeln. Darum stieg der Zauberer mit seinen beiden Ruderern viel eher an das Land, als wir es erreichten. Der Urgaul, welcher ursprünglich Nazik und dann Smihk geheißen worden war und also höchst wahrscheinlich beide Namen führte, bekümmerte sich jetzt weder um sie noch um mich. Er schwamm bald hierhin, bald dorthin, und stieß dabei von Zeit zu Zeit ein äußerst behagliches Grunzen aus. Es schien, als ob ihm dieses Reinigungsbad eine Wonne sei, doch kaum hatte er das Ufer erreicht, so begann er sofort, sich in dem dortigen, tiefen Schlamm zu wälzen, um den von der Haut heruntergespülten Überzug zu erneuern.
Unsere Aufmerksamkeit war ganz selbstverständlich auf die hochinteressanten Menschen gerichtet, die ihr Geschrei eingestellt hatten und unserer Annäherung nun still entgegensahen. Ich zählte sie. Es waren neunzehn Männer und nur eine Frau. Von den ersteren fehlte also nur der Scheik, und von den letzteren war es höchst wahrscheinlich nur seiner Frau gestattet, an so wichtigen Vorkommnissen teilzunehmen. Als wir so weit an sie herangekommen waren, daß es nur noch zweier Ruderschläge bedurfte, uns an das Land zu treiben, gab ich Halef das Zeichen, anzuhalten. Es war unter ihnen nicht eine einzige gewöhnliche Gestalt; sie alle waren Riesen. Und sie alle waren ungewöhnlich behaart, doch nicht in gleicher Weise. Am wenigsten bebartet war der Zauberer. Sonst aber sah man alle möglichen Abstufungen der Haaresfülle, entweder wellig, wollig oder schlicht, doch konnte man nur fünf von ihnen als eigentliche, wirkliche >Haarmenschen< bezeichnen, bei denen vom Gesicht nur die Nasenspitze und die Augen zu sehen waren. Zu diesen fünf gehörte die Herrin des Stammes, von ihrem Manne >Schneeglöckchen< genannt. Als er mir diesen Kosenamen sagte, hatte ich erwartet, daß ich später über ihn lachen werde; aber sonderbar, nun ich diese Frau vor mir stehen sah, fand ich nicht den geringsten Grund zur Ironie. Im Gegenteile! Die Frau machte Eindruck auf mich, und zwar in einer Weise, die mir anfänglich als ein Rätsel erschien und erst nach und nach begreiflich wurde.
Sie war ganz in Leder gekleidet, aber in so feines und weiches, wie ich es noch nie gesehen hatte. Und man denke sich: dieses Leder war blau und wie mit einem überaus feinen Blumen-oder Schmetterlingsstaub bedeckt, der metallisch silbern glänzte. Etwas stärker war das Leder der naturfarbenen Schuhe. Diese, in höchst kunstvoller Weise aus einem einzigen Stück geschnitten, erhielten durch Zug und Riemen die Form der wohlgestalteten Füße, welche in ihrem Verhältnisse zur Körpergröße als klein und niedlich zu bezeichnen waren. Verhältnismäßig noch kleiner waren die Hände. Ich hatte später noch oft Gelegenheit, zu sehen, wie sorgfältig gepflegt, wie blüteweiß und rosig überhaupt sie waren. Das Haar der Frau war fein, dünn und goldig blond, weder aschfarben noch rötlich,