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2007 haben wir geschrieben, dass »das, dem wir uns gegenübersehen, nicht die Krise einer Gesellschaft, sondern das Erlöschen einer Zivilisation ist«. Mit derlei Aussagen galt man damals als Illusionist. Doch »die Krise« ist eingetreten. Selbst ATTAC hat gemerkt, dass es eine »Krise der Zivilisation« gibt, und das will etwas heißen. Pikanter ist, was ein amerikanischer Irakkriegs-Veteran und heutiger »Strategie«-Berater im Herbst 2013 in der New York Times schrieb: »Wenn ich nun in unsere Zukunft blicke, sehe ich, wie das Wasser ansteigt und das südliche Manhattan überflutet. Ich sehe Hungerrevolten, Hurrikans und Klimaflüchtlinge. Ich sehe Soldaten des 82. Fliegerregiments, die Plünderer erschießen. Ich sehe allgemeine Ausfälle des Versorgungsnetzes, verwüstete Häfen, die Abfälle von Fukushima und Epidemien. Ich sehe Bagdad. Ich sehe die Rockaways. Ich sehe eine seltsame, prekäre Welt. […] Das größte Problem mit dem Klimawandel ist nicht, wie sich das Verteidigungsministerium auf Rohstoffkriege vorbereiten sollte oder wie wir Deiche errichten sollten, um Alphabet City zu schützen, oder wann wir Hoboken evakuieren sollten. Es wird nicht damit getan sein, Hybridautos zu kaufen, Abkommen zu unterzeichnen oder die Klimaanlage abzustellen. Das größte Problem, mit dem wir konfrontiert sind, ist philosophischer Natur: zu verstehen, dass diese Zivilisation bereits tot ist.« Nach dem Ersten Weltkrieg hieß es noch, sie sei »tödlich«, was sie zweifellos in jedem Sinn des Wortes war.
In Wirklichkeit wurde die klinische Diagnose des Endes der westlichen Zivilisation schon vor einem Jahrhundert gestellt und durch die Ereignisse bestätigt. Das zu erörtern ist seither nur eine Art, sich davon abzulenken. Vor allem aber ist es eine Art, sich von der Katastrophe abzulenken, die da ist, und das seit Langem, von der Katastrophe, die wir sind, der Katastrophe, die der Westen ist. Diese Katastrophe ist zuerst existenziell, emotional, metaphysisch. Sie liegt in der unglaublichen Fremdheit des westlichen Menschen gegenüber der Welt, einer Fremdheit, die beispielsweise gebietet, sich zum Beherrscher und Besitzer der Natur zu machen – nur was man fürchtet, versucht man zu beherrschen. Nicht umsonst hat der Mensch so viele Schirme zwischen sich und der Welt errichtet. Der westliche Mensch hat das Existierende, indem er sich von ihm abschottet, in diese trostlose Weite, dieses triste, feindselige, mechanische, absurde Nichts verwandelt, das er ständig durch seine Arbeit, durch einen krankhaften Aktivismus, durch eine hysterische oberflächliche Geschäftigkeit verändern muss. Ununterbrochen von der Euphorie in den Stumpfsinn und vom Stumpfsinn in die Euphorie zurückgeworfen, sucht er in der Anhäufung von Expertisen, Prothesen, Beziehungen – all diesem letztlich enttäuschenden technologischen Krimskrams – Abhilfe für seine Absenz von der Welt. Immer deutlicher wird er zu diesem überausgerüsteten Existentialisten, dessen Geist unaufhörlich arbeitet, der alles neu schafft und eine Realität nicht ertragen kann, die ihm völlig unverständlich ist. »Die Welt verstehen heißt für einen Menschen: sie auf das Menschliche zurückführen, ihr ein menschliches Siegel aufdrücken«, gestand der Idiot Camus unumwunden ein. Seinem Bruch mit der Existenz, mit sich selbst, mit »den anderen« – dieser Hölle! –, versucht der westliche Mensch trivial neuen Zauber zu verleihen, indem er ihn seine »Freiheit« nennt, wenn schon langweilige Feste, debile Ablenkungen oder der massive Gebrauch von Drogen nicht helfen. Das Leben ist für ihn effektiv und emotional abwesend, denn das Leben widert ihn an; im Grunde bereitet es ihm Ekel. Vor allem, was die Wirklichkeit an Instabilem, Unlösbarem, Greifbarem, Körperlichem, Drückendem, an Hitze und Müdigkeit bereithält, konnte er sich schützen, indem er es auf die ideelle, visuelle, entfernte, digitalisierte Ebene des Internets projiziert, das ohne Reibung und Tränen, ohne Tod und Geruch auskommt.
Die Lüge der ganzen westlichen Apokalyptik besteht darin, auf die Welt die ganze Trauer zu projizieren, die wir für sie nicht aufbringen können. Nicht die Welt ist verloren, wir haben die Welt verloren und verlieren sie unaufhörlich; nicht die Welt wird bald zu Ende gehen, wir sind am Ende, amputiert, abgeschnitten, wir, die halluzinatorisch den lebendigen Kontakt mit der Wirklichkeit ablehnen. Die Krise ist nicht wirtschaftlicher, ökologischer oder politischer Natur, die Krise ist vor allem eine der Präsenz. Und dies so sehr, dass das Must Have unter den Waren – typischerweise das iPhone und der Hummer-Geländewagen – aus einer ausgeklügelten Apparatur der Absenz besteht. Das iPhone bündelt einerseits in einem einzigen Objekt alle möglichen Zugänge zur Welt und zu den anderen; es ist Lampe und Fotoapparat, Winkelmaß und Musikrekorder, Fernseher und Kompass, Touristenführer und Kommunikationsmittel; andererseits ist es die Prothese, die dem, was da ist, jede Verfügbarkeit verwehrt und mich in ein System ständiger bequemer Halbpräsenz versetzt, das einen Teil meines Da-Seins ständig zurückhält. Kürzlich wurde sogar eine Smartphone-App eingeführt, die dafür Abhilfe schaffen soll, dass »unsere Rund-um-die-Uhr-Verbindung mit der digitalen Welt uns von der realen Welt um uns herum abkoppelt«. Sie nennt sich hübsch GPS for the Soul. Der Hummer wiederum ist die Möglichkeit, meine autistische Blase, meine Undurchlässigkeit für alles bis in die letzten unzugänglichen Winkel »der Natur« zu transportieren; und wieder unbeschadet von dort zurückzukommen. Dass Google den »Kampf gegen den Tod« als neue industrielle Perspektive verkündet, ist bezeichnend dafür, wie man sich darüber täuscht, was das Leben ist.
In seiner perfekten Demenz hat sich der Mensch sogar zur »geologischen Kraft« erklärt; er ist so weit gegangen, eine Phase des Lebens dieses Planeten nach seiner Spezies zu benennen: Er hat begonnen, von »Anthropozän« zu sprechen. Ein letztes Mal weist er sich die Hauptrolle zu, auch wenn er sich beschuldigt, alles verwüstet zu haben – die Meere, die Lüfte, die Gründe und Untergründe –, auch wenn er sich für die beispiellose Ausrottung von Pflanzen- und Tierarten an die Brust schlägt. Bemerkenswert ist allerdings, dass er sich gegenüber der Katastrophe, die er durch sein katastrophales Verhältnis zur Welt verursacht, immer in derselben katastrophalen Weise verhält. Er berechnet die Geschwindigkeit, mit der das Packeis verschwindet. Er misst die Auslöschung nichtmenschlicher Lebensweisen. Über den Klimawandel spricht er nicht anhand seiner eigenen Sinneserfahrung – jener Vogel, der nicht mehr zur selben Jahreszeit kommt, jenes Insekt, dessen Zirpen man nicht mehr hört, jene Pflanze, die nicht mehr zur gleichen Zeit blüht wie eine andere. Er spricht darüber in Zahlen, Durchschnittswerten, wissenschaftlich. Er glaubt, etwas gesagt zu haben, wenn er feststellt, dass die Temperatur um soundso viel Grad ansteigen und die Niederschläge um soundso viel Millimeter abnehmen werden. Er spricht sogar von »Biodiversität«. Er beobachtet die Verminderung des Lebens auf Erden aus dem All. Als Gipfel seines Stolzes behauptet er jetzt sogar paternalistisch, »die Umwelt zu schützen«, die ihn darum nicht gebeten hat. Alles deutet darauf hin, dass dies seine letzte Flucht nach vorne ist.
Die objektive Katastrophe dient uns vorrangig dazu, eine andere, noch offensichtlichere und massivere Zerstörung zu kaschieren. Die Aufzehrung der Rohstoffe ist vermutlich deutlich weniger fortgeschritten als die Aufzehrung der subjektiven Ressourcen, der vitalen Ressourcen, die unsere Zeitgenossen erfasst hat. Wenn man sich so sehr darin gefällt, ausführlich die Verwüstung der Umwelt zu beschreiben, dann auch, um den ungeheuren Verfall der Innerlichkeiten zu verschleiern. Jede Ölpest, jede verödete Steppe, jedes Aussterben einer Art ist ein Bild unserer zerschlissenen Seelen, unserer Absenz von der Welt, unserer intimen Unfähigkeit, sie zu bewohnen. Fukushima bietet das Spektakel dieses perfekten Scheiterns des Menschen und seiner Kontrolle, die nur Vernichtung hervorbringt – und diese scheinbar intakten japanischen Landschaften, in denen jahrzehntelang niemand mehr leben können wird. Eine unendliche Zersetzung, die die