Es gibt einen Berg für jedes Alter. Группа авторов

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Es gibt einen Berg für jedes Alter - Группа авторов

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verstauen und los. Es ist nicht ganz ohne, bis in die Scharte liegt tiefer Neuschnee – und eine ebenso tiefe Spur, die Thomas gezogen hat. In Gedanken bin ich bereits ganz oben am Berg, während wir uns langsam mit den schweren Lasten diese endlosen, bis zu 50 Grad steilen Schnee- und Eisfelder hinaufschinden. Noch ist das Wetter ganz passabel. Da hat Gabl Charly wohl wieder mal recht gehabt! Irgendwo auf halber Strecke kommt uns Thomas auf dem Weg nach unten schon wieder entgegen. Am frühen Nachmittag sind wir am Fuß der Felsen angelangt, exakt dort, wo Thomas das Lager aufbauen wird. Der ganze Neuschnee klebt, fast wie in Patagonien, an der annähernd senkrechten Wand. »Schaut ned guad aus«, denke ich und versuche mein Glück zuerst mal über den markanten, frei stehenden Pfeiler, der die Nordwand von der Westwand trennt. Alles ist voller Schnee und Eis, jeder einzelne Griff und Tritt muss freigeräumt werden, zudem ist es saukalt. Nach 30 Metern stehe ich auf dem Pfeilerkopf und sondiere die Lage. Links von mir ragt die atemberaubend steile Nordwand empor, die eigentlich die bessere Variante wäre, weil sie zumindest ein wenig Sonne abbekommt und vor allem im Windschatten liegt. Da geht aber nichts – zu glatt, zu steil.

      Also geht es rechts vom Turm wieder runter. Ein kurzer Abseiler und schon stehe ich vor dem nächsten Hindernis: monolithischer Granit, steil, kompakt, plattig und, so wie es aussieht, nicht absicherbar. In den ersten Metern finde ich noch kleine Strukturen zum Steigen, dann stehe ich mitten in der verschneiten Platte und weiß: »Da muass i rauf!« Mit meinen schweren Bergschuhen steige ich auf kleine Noppen, kralle kleine Leisten. Dass auf dem Pfeilerkopf zehn Meter unter mir die letzte Sicherung ist, macht mir klar: »Wenn’s mich da runterhaut, dann Krankenhaus – wenn es denn hier eines geben würde.« Mit Bohrhaken als Zwischensicherung wäre es kein Problem, aber genau das wollen wir bei dieser Route um alles in der Welt vermeiden. Also lieber sauber bleiben und durchziehen! Alpines Klettern auf höchstem Niveau, und ja: Dieser Berg ist sogar noch einmal schwieriger als Torre Egger, Cerro Torre, Fitz Roy oder all die anderen schwierigen Gipfel Patagoniens.

      Zwei Stunden später erreichen Steph und ich dann einen großen Absatz direkt an der Kante zwischen Nord- und Westwand, jetzt gibt es die Möglichkeit, nach links hinaus in die Nordwand zu queren. Endlich raus aus dem Wind, leider auch in den Schatten hinein, denn die Sonne ist jetzt am späten Nachmittag schon ums Eck verschwunden. Kurz darauf beginnt es zu schneien. Nach einer weiteren Länge erreiche ich einen riesigen ebenen Platz – zehn Quadratmeter mindestens – mitten in der massiven Nordwand des Ulvetanna. »Da ist ein Fußballplatz!«, schreie ich Steph zu! Direkt über uns setzt jetzt die Headwall an, eine stark überhängende Mauer. Schon bei der Umrundung der Orvinfjella hatten wir gesehen, dass genau durch die Mitte der Wand ein verdächtiger, feiner Schatten zieht. Ein überhängender Wahnsinnsriss, rund Hundert Meter lang, der bis hinauf zur Gratkante verläuft. Ein Riss wie in der Salathé-Headwall am El Capitan!

      Es windet, es schneit. Max wirft das Handtuch und seilt ab, weil seine Kamera unter diesen Bedingungen immer wieder den Geist aufgibt. Ich klettere noch weiter, rein in den Riss. Das wäre der Hammer zum Freiklettern, bester Fels, zehnter Grad, aber einfach zu kalt! Nun müssen die Leitern herhalten. Eine Seillänge noch, dann übernimmt Steph die Führung und kämpft sich noch eine weitere Seillänge hinauf, bevor es dann endgültig zu kalt wird. Es schneit immer stärker. Wir fixieren die Seile und kehren dann in das von Thomas perfekt aufgebaute Lager zurück. Wir seilen direkt in die Portaledges hinein, wo uns bereits eine heiß dampfende Suppe erwartet. Luxus! Prompt hört es auf zu schneien und reißt auf. Endlich Wärme, Essen, Trinken, um 21 Uhr liegen wir in den Kojen. Laut Wetterbericht soll es bis zum nächsten Nachmittag nun so bleiben. Darauf hoffen wir, denn morgen ist der Gipfel dran. Wir schlafen alle gut. Thomas und ich im unteren Ledge, Steph und Max im oberen.

      Um sieben Uhr früh, es ist der 10. Dezember 2008, blicke ich aus dem Ledge und bin von den Socken: Die Sonne steht bereits voll in der Nordwand. Blitzschnell werde ich wach. Genau genommen haben wir schon eine Stunde verschenkt. Wir müssen los. Eigentlich wollten Thomas und Steph heute vorausgehen. Thomas und ich sind aber schneller startklar. Wir wollen keine wertvolle Zeit verlieren, und so gehe ich gleich mit Thomas mit. Wir steigen den Seilen entlang hinauf, zuerst noch im Schatten der Westwand, dann endlich in der Sonne, die die Nordwand wärmt. Überhängend fährt der feine Riss in den antarktischen Himmel hinein. Ich hänge im Schlingenstand, Thomas in den Leitern, alles ist safe, super Keile, kein Problem. Nach 20 Metern noch ein Kamin. Endlich freiklettern, es geht schneller! Zehn Meter schieben und quetschen, dann ist Thomas auch schon oben. Die Headwall liegt hinter uns und auch der weitere Weg, der darauf folgt, sieht gut zu bewältigen aus.

      Wir stehen jetzt genau an der Gratkante, bekommen einen atemberaubenden Tiefblick in die verschneite Westwand. Wir sind begeistert. Leicht und undramatisch geht es vorerst weiter. Wir rauschen die nächsten Seillängen nur so hinauf, sodass Steph und Max ordentlich zu schaffen haben, mit den Jumars an den fixierten Seilen hinterherzukommen, sie dann aufzunehmen und wieder nach oben zu bringen. Mit diesem Durchlauf unserer drei Seile schaffen wir es, uns als Viererseilschaft mit nur einem Vorsteiger regelrecht hinaufzuschrauben. Zum Glück hält das Wetter so einigermaßen. Mal fällt ein kleiner Schneeschauer, meist sind wir in Wolken gehüllt, dann weht wieder ein wenig Wind, aber es ist nicht exorbitant kalt und damit erträglich. Es folgt ein Kamin – schweres Pflaster, aber Thomas beißt sich durch. Es folgen neue Barrieren, die scheinbar nicht weniger und nicht leichter werden. Der Weg zum Gipfel ist noch verdammt weit, und von hier aus sieht der obere Teil mehr als schwer aus. Erst mal folgen Hundert Meter Gehgelände bis zum nächsten Bollwerk. Wir müssen entscheiden, wie es weitergeht. Links raus und die steilen Türme hinauf Richtung Gipfel? Das sieht nach hakentechnischem Klettern und mindestens vier Seillängen aus. Oder rechts an die Kante raus? Vom Standplatz aus wären das gut 30 Meter. »Kante besser!«, tippe ich auf rechts, und Thomas versucht es.

      An der Kante angekommen, schätzt Thomas die Lage ein: Die Wand über ihm sieht machbar aus, wenn auch nicht leicht. Der Fels scheint ziemlich morsch und nicht absicherbar zu sein – eine heikle Mission. Thomas klopft noch einmal seine Finger warm, dann kommen trotz der Kälte erst einmal die Handschuhe weg – es wird also verschärft! Irgendwo mitten in der Wand wickelt Thomas eine Schlinge um einen kleinen Felszacken, was nicht viel bringt, weil die Schlinge schon kurz darauf wieder am Seil entlang hinuntersegelt. Es bleibt spannend. Mittlerweile sind auch Steph und Max am Standplatz angekommen. Keiner spricht, alle schauen gespannt auf das, was da oben passiert. Irgendwann, ganz unverhofft, dann der Freudenschrei. Thomas hat eine Stelle im Felsen entdeckt, in der er einen Camalot als bombenfeste Sicherung unterbringt. »Der Wahnsinn!«, gibt er von sich. 15 Meter direkt an der senkrechten Kante zwischen Nord- und Westwand klettern, er hat die Klimax der gesamten Route überwunden. »Stand!«, und ich gleich hinterher.

      Thomas erwartet mich schon mit einem: »Des glaabst ned!« Es ist vorbei! Vor uns ist alles flach. Gehgelände bis zum Gipfel, es ist 14.30 Uhr. Wir geben uns alle vier die Hand. Es fängt wieder zu schneien an. Es war nicht umsonst, dass wir so aufs Gas gedrückt haben, und dass Max bei diesem Tempo durchgehalten hat, ist sensationell! Lange bleiben wir nicht, denn wir sind vorgewarnt. Mit jeder Stunde soll der Wind stärker werden. Langsam und sicher kommen wir nach unten. Ich seile voraus, richte die Standplätze ein, dann Max, dann Steph und Thomas als letzter. Überhängend schwebe ich die Headwall hinunter. »Sakrisch« steil und gerade bei diesem Wetter – es schneit und stürmt – abartig beeindruckend! Wir erreichen wieder unsere Portaledges. Endlich! Es ist 18.30 Uhr, erleichtert schlüpfen wir in unsere Schlafsäcke.

      Während der gesamten Nacht bleibt das Wetter grauenhaft. Im Schlafsack lässt es sich noch aushalten, aber am Morgen müssen wir raus und mit dem ganzen Krempel wieder vom Berg hinunter. Der Schnee kommt gleichermaßen von oben und unten und der Wind sowieso von überall. Und gerade, weil das Packen eine lästige Arbeit ist, lassen wir Sorgfalt walten. Am Ende der Expedition ist ein Fehler schneller passiert, als man glauben würde. Nach einer Stunde geht es talwärts, und wenigstens das geht nun leichter, denn das Tragen der schweren Haulbags übernehmen hier die Eisfelder für uns. Thomas und Max steigen voraus, und Steph und ich kündigen unsere Paketsendungen per Funk an. Auf Kommando lassen wir die Teile nacheinander runterrauschen. Und die Säcke sind gerauscht, aber wie! Eine wahre Freude, wie die da runter sind. Ohne Anstrengung,

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