Dante. 100 Seiten. Stefana Sabin
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Die Guelfen waren die Papsttreuen und rekrutierten ihre Anhängerschaft vor allem unter den Kaufleuten, die Ghibellinen waren die Kaisertreuen, zu denen vor allem der Adel gehörte. Die Guelfen waren bürgerlich ja, paradoxerweise demokratisch und kämpften für kommunale und städtische Freiheiten und gegen die Reichsherrschaft; die Ghibellinen waren aristokratisch und Anhänger des deutschen Kaisers. Der Streit spaltete die oligarchischen Geschlechter, die Mittelschicht der Handwerker und Händler beteiligte sich nur bedingt daran, die untersten Schichten der Tagelöhner waren politisch unbedeutend.
Die Toskana gehörte zum Hoheitsgebiet des Kaisers, aber die Städte lehnten sich dennoch immer wieder an den Papst an, um die europaweiten Verbindungen des Vatikans für ihren Handel zu nutzen. Auf Kaiser oder Papst setzten sie jeweils auch, um sich gegenseitig in ihrem Expansionsdrang zu bremsen. Von den toskanischen Städten galten Florenz, Lucca und San Gimignano als papstfreundlich, Arezzo, Pisa und Siena dagegen als kaisertreu, weil sie sich vom Kaiser Unterstützung gegen den Expansionsdrang der Republik Florenz erhofften. So unterstützten florentinische Ghibellinen die Sieneser in ihrem Kampf gegen guelfische Sienesen, obwohl Siena zu den Gegnern von Florenz gehörte. Zumindest zeitweise überragten die Interessen die Zugehörigkeit zum kaisertreuen oder papsttreuen Lager.
»Es war«, schrieb der Florentiner Schriftsteller und Dante-Biograph Giovanni Boccaccio (1313–1375), »die Florentiner Bürgerschaft auf verkehrteste Art in zwei Parteien geschieden, und dank der Anstalten eifriger und umsichtiger Führer war davon eine jede recht machtvoll, so dass einmal die eine, ein andermal die andere zum Missvergnügen der unterlegenen regierte.« In wechselnden Formationen kämpften die beiden Lager fast ununterbrochen gegeneinander, wobei die chronische Gewaltbereitschaft in krassem Gegensatz zur Vorstellung vom Gemeinwohl stand. Dieser Gegensatz spiegelte auch, wie der Schweizer Historiker Volker Reinhardt beschrieben hat, einen Konflikt zwischen der christlichen Ethik, die Gnade, Güte und Vergebung verlangte, und einem Ehrenkodex, nach dem jede Art von Schmach mit Blut abzuwaschen sei, wider. Es war eine Welt, in der Geistigkeit gepflegt wurde, aber Intrige und Brutalität herrschten. »Es ist bekannt«, notierte der Stadthistoriker Giovanni Villani (1280–1348) in seiner kanonischen Chronik um 1308, »dass die Florentiner immer im Krieg und untereinander zerstritten sind.«
Aber hinter allen politischen Auseinandersetzungen steckten immer wieder auch Familienfehden und dahinter pragmatische Interessen. In dieses Muster von Gewalt und Gegengewalt passte die Feindschaft zwischen Guelfen und Ghibellinen und bot eine Projektionsfläche für Streit aller Art. Überspitzt formuliert: Für jedwede Auseinandersetzung standen zwei Lager und deren beide Namen zur Verfügung. Die politisch-ideellen Verbindungen zu dem einen oder anderen Lager, stellte der Rechtsgelehrte Bartolo da Sassoferrato um 1350 fest, hatten sich gelöst und waren zu bloßen lokalen Parteinamen herabgesunken.
Wie in Florenz eine Familienfehde zum politischen Streit ausgeartet ist, erzählt Giovanni Villani. Es fing damit an, dass auf einem Bankett im Hause der vornehmen Familie Amidei um 1215 einer der Gäste, der junge Buondelmonte de’ Buondelmonti, einen der Gastgeber am Arm verletzte. Als Entschädigung für die Aufregung und die Entehrung beschlossen die beiden Familienräte, dass Buondelmonte eine Amidei heiraten und den Treueschwur öffentlich vortragen solle, und setzten ein dementsprechendes schriftliches Heiratsversprechen auf. Aber Buondelmonte ignorierte alle Vereinbarungen und bekundete, eine Frau aus der Familie Donati heiraten zu wollen. Die Amidei schworen Rache, und nach langen Debatten beschlossen sie, Buondelmonte umzubringen, lauerten ihm an seinem festgelegten Hochzeitstag auf und ermordeten ihn. Damit waren die Donati, deren Tochter sozusagen schon vor der Hochzeit verwitwet war, in den Konflikt hineingezogen, und der Buondelmonte-Mord begründete die Fehde zwischen den Amidei und den Donati. Die Amidei waren Ghibellinen, die Donati waren Guelfen – ihre private Familienfehde wurde auf den politischen Konflikt projiziert.
Die Zugehörigkeit der einzelnen Geschlechter zu einer der beiden Fraktionen – Guelfen oder Ghibellinen – war langlebig, denn Traditionsbewusstsein und Familienstolz geboten die Treue zur Position der Ahnen. Zwar gab es immer wieder Überläufer und auch Versuche, sich aus der Fehde herauszuhalten, aber die Gegner sorgten stets dafür, dass das familiäre Zugehörigkeitsgefühl sich durchsetzte.
»Aus diesen Parteiungen entstand so viel Mord, so viel Verbannung und so viel Ausrottung von Geschlechtern wie je in einer Stadt«, kommentierte Niccolò Machiavelli, ebenfalls Florentiner, zwei Jahrhunderte später die Lage in der Stadt. Und tatsächlich kam Florenz im 13. Jahrhundert nie zur Ruhe, denn jede Auseinandersetzung zwischen Familien, Nachbarn, Geschäftspartnern wurde mit Gewalt ausgetragen. Auch deshalb richteten sich die Stadtpatrizier in regelrechten kleinen Festungen ein, sogenannten Geschlechtertürmen, die innerhalb der Stadtmauern in Gruppen angeordnet waren. Etwa 150 solcher Geschlechtertürme gab es in Florenz, und einige davon waren 70 Meter hoch – gewissermaßen die ersten Wolkenkratzer der Architekturgeschichte! Die Höhe der Geschlechtertürme war für ihre Eigentümer nicht nur eine Sicherheits-, sondern auch eine Prestigefrage. Aber die Wohnräume darin waren eng und dunkel und ungemütlich. Noch ungemütlicher wohnten allerdings die kleinen Leute, deren Häuser sich in den engen Gassen zwischen den Geschlechtertürmen drängten.
Und da die Zerstörung der gegnerischen Häuser zum Kampf gehörte, prägten ständige Baustellen das Stadtbild von Florenz. Als 1260 die florentinischen Guelfen gegen die sienesischen Ghibellinen zogen, zerstörten die Guelfen schon vor der Schlacht die Türme der Ghibellinen; und als die Ghibellinen die Schlacht gewannen und die Macht in Florenz übernahmen, schafften sie nicht nur die bürgerlichen Freiheiten ab, sondern zerstörten ihrerseits die Häuser und Türme der Guelfen in der Stadt und auf dem Land.
Aber es dauerte nicht lange, da wurden die Ghibellinen wieder aus Florenz vertrieben, und ab etwa 1267 setzten die Guelfen sich durch. Ghibellinisches Eigentum wurde größtenteils konfisziert und eine Kommission zu seiner Verwaltung eingesetzt; zwei verschieden große Verwaltungsgremien wurden geschaffen und dem Vertreter des Kaisers beigesellt. Und in der Hoffnung, neuen Auseinandersetzungen vorzubeugen, wurde die frühere Praxis wieder eingeführt, sowohl den obersten Statthalter als auch den Befehlshaber der Bürgermiliz von außerhalb der Stadt zu holen. Diese getrennten Ämter stellten eine frühe Form der Gewaltenteilung dar, die auf die innerstädtischen Auseinandersetzungen deeskalierend wirken sollte. Um 1282 wurde darüber hinaus eine Art Stadtrat geschaffen, das Priorat, in dem die Zünfte, also das wohlhabende Bürgertum, vertreten waren und dessen Mitgliederzahl in den folgenden Jahren von zuerst zwei auf zuletzt zwölf erhöht wurde, um der wachsenden Bedeutung von Handel und Handwerk Rechnung zu tragen.
Diese Zünfte waren Handelsorganisationen mit eigenen Statuten und Räten und mit einer Miliz. Sie trugen entscheidend dazu bei, dass sich Florenz trotz der bürgerkriegsähnlichen Instabilität zu einem Zentrum der Textil- und Finanzwirtschaft entwickeln konnte. Woll- und Tuchverarbeitung, aber auch Metall- und Goldschmiedekunst erfuhren einen enormen Aufschwung, und der Handel trieb seinerseits die Geldwirtschaft an. 1252 setzte sich die Stadt über das kaiserliche Privileg der Münzprägung hinweg und gab den Florin, eine Goldmünze mit der Florentiner Lilie auf der einen und dem Bild des Stadtpatrons Johannes des Täufers auf der anderen Seite, heraus, der bald zur gefragtesten Währung in ganz Europa wurde – und der die Grundlage für die Monetarisierung der europäischen Gesellschaft schuf. Die Florentiner Banken waren in ganz Europa vernetzt und hatten Kapitalreserven, mit