Die Stadtverwaltung Mülheim an der Ruhr im Nationalsozialismus. Kyra Sontacki

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Die Stadtverwaltung Mülheim an der Ruhr im Nationalsozialismus - Kyra Sontacki Wissenschaftliche Beiträge aus dem Tectum Verlag: Geschichtswissenschaft

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Zukunft hat Vergangenheit

      Politisches Handeln ist keines, das sich lediglich in großen Schriften oder Reden mehr oder weniger einflussreicher Politiker zeigt. Politisches Handeln ist ein solches des Alltags, der vielfach beiläufigen Entscheidungen, denen nicht immer große Bedeutung zugemessen wird, die aber nicht selten erhebliche Wirkung zeigen für eine große Zahl von Menschen.

      Vergangenheitsbewältigung bleibt an der Oberfläche, wenn sie eine solche der Oberflächenphänomene ist, wenn sie sich vornehmlich auf das Wirken und die Persönlichkeit maßgeblicher Politiker bezieht. Das gesellschaftliche Leben wird nicht in erster Linie von politischen Akteuren bestimmt, sondern nicht unwesentlich von Handelnden auf der Ebene der Verwaltung. Hier findet sich der Sachverstand (oder auch nicht). Hier lassen sich politische Vorgaben konsequent ohne Rücksicht auf Verluste umsetzen oder mit Augenmaß und Kenntnis um soziale und ökonomische Realitäten bewirken und begleiten.

      Die Geschichte eines politischen Systems, ob des Kaiserreiches, der Weimarer Republik, der NS-Zeit oder der neuen Nachkriegsrealitäten in Ost- und Westdeutschland, ist keine Geschichte nur der Gesetze oder Runderlasse und administrativer Gliederungen. Sie ist eine Geschichte der Begünstigten und Benachteiligten, der Kompetenten und Mitläufer, der streitbaren Geister und der servilen Claqueure. Jenen, entweder zugewandt den Mächtigen oder den Bürgerinnen und Bürgern, bisweilen changierend zwischen den Extremen, verleiht dieses Buch Gesicht und Stimme.

      Sie sind daher diejenigen, die sich nach politischen und gesellschaftlichen Umbrüchen vor allem auf neue Verhältnisse einstellen müssen, die sie teilweise auch persönlich betreffen.

      Nachfolgend werden auszugsweise Einzelschicksale und -persönlichkeiten portraitiert, die ab 1933 verhindert, ausgeschlossen, gefördert oder auch wiederberufen wurden. Es sind Beispiele der Alltagswirkung eines politischen Systems. Menschen, die nicht aufgrund von Ausbildung oder Kompetenz eine Position erringen sondern bspw. aufgrund ihrer Parteizugehörigkeit oder jener zu einer Massenorganisation, die nicht rückgebunden sind durch Qualifikation oder soziale Verbundenheit nach unten, sondern sich verpflichtet sehen dem ‚Oben‘ als Protagonisten und Exekutierer realitätsfremder Politik und Beförderer von Zielen, die wenig mit dem Interesse von Bürgerinnen und Bürgern gemein haben.

      Diese Lebensläufe unter Rückgriff auf Originalakten und im Gespräch mit einem Zeitzeugen und ehemaligen Personalleiter der Stadt sichtbar gemacht zu haben, ist der große Verdienst dieser Schrift.

      Vergessen werden darf nicht, dass die geschilderten Entscheidungen und ihre Auswirkungen nicht auf ein politisches System oder eine Ära beschränkt sind. Ähnliche Entwicklungen gab es in der DDR und gibt es selbstverständlich auch heute. Menschen qualifikationsfern auf Positionen zu berufen richtet nicht selten erheblichen Schaden an und führt trotzdem nicht immer zu dem notwendigen entschiedenen Widerstand der Öffentlichkeit, der kürzlich immerhin verhindern konnte, dass die Position des Leiters der Berliner Bauakademie mit einem vornehmlich parteipolitisch ausgewiesenen Kandidaten besetzt wurde. Viel zu oft werden die vorher sorgsam eingefädelten Strukturen nicht bekannt, bleiben unentdeckt oder werden nicht beachtet.

      Eine wachsame Zivilgesellschaft ist notwendig, um entsprechende Entwicklungen argwöhnisch zu begleiten und, wenn notwendig, zu verhindern. Ebenso eine bürgernahe und kritische Presse, die sich als solche versteht – was mittlerweile auch nicht mehr als selbstverständlich angenommen werden darf.

      Dieses Buch ist demnach nicht nur für historisch Interessierte spannend und wichtig, sondern grundsätzlich für alle, die sich der Gestaltung einer sozialen und zivilen Gesellschaft verpflichtet sehen. Die geschilderten Beispiele machen Strukturen und Beziehungen sichtbar, wie es sie auch heute gibt. Sie sensibilisieren dafür, sich auch als Verwaltung den Bürgerinnen und Bürgern verpflichtet zu sehen und sie machen deutlich, dass hinter den zu wählenden und den nicht zu wählenden administrativen Gestaltern einer Stadtgesellschaft Kräfte wirken, die man kennen und erkennen wollen muss, um die Auswirkungen ihres Handelns verstehen und antizipieren zu können.

      Prof. Dr. Stefan Piasecki

      BDM Bund Deutscher Mädel

      Gestapo Geheime Staatspolizei

      HJ Hitlerjugend

      KPD Kommunistische Partei Deutschlands

      NS Nationalsozialismus

      NSDAP Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei

      OVG NRW Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen

      SA Sturmabteilung

      SS Schutzstaffel

      SPD Sozialdemokratische Partei Deutschlands

      StAMH Stadtarchiv Mülheim an der Ruhr

      Auch noch 75 Jahre nach dem Untergang des Dritten Reiches gerät das nationalsozialistische Regime immer wieder in den Blick diverser Forschungen. Es verwundert daher nicht, dass es zum Nationalsozialismus bereits eine Fülle von Informationen und geschichtlicher Aufbereitung gibt.

      Zu diesem Zweck wurden hauptsächlich archivierte Personalakten ausgewertet, aber auch alte Ratsangelegenheiten, Zeitungsartikel, Akten aus der allgemeinen Sachbearbeitung sowie damalige Niederschriften und Verfügungen herangezogen, die im Stadtarchiv Mülheim an der Ruhr öffentlich zugänglich sind. Zur Ergänzung der gesammelten Informationen wurde außerdem ein Zeitzeuge interviewt, der seit 1940 bei der Stadtverwaltung

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