Political Scholar. Alfons Söllner

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geworden sind. Und vielleicht kann man sein Geheimnis ebenso wie das von ihm ausgehende Faszinosum durch eine seltsame Gleichzeitigkeit, durch die Koexistenz von Engagement und Enttäuschung erfassen. Es war kein Geringerer als Theodor W. Adorno, der in einem seiner letzten Radiovorträge darlegte (und sich dabei der Heidegger’schen Sprechweise auffällig annäherte), dass „Resignation“ weniger der Gegenpol des Engagements sei als vielmehr in einer besonderen Beziehung zum Denken überhaupt stehe. Freilich darf man diese Reflexion nicht vom zeitgeschichtlichen Kontext ablösen. Sie zielte auf die Abwehr des studentenbewegten „Aktionismus“ und war kein Widerruf des politischen Intellektuellen überhaupt. Es dürfte für die Zeit um „1968“ nicht schwer sein, ganz ähnliche Formulierungen bei Hannah Arendt zu finden, die Heidegger bekanntlich die Treue hielt und trotzdem zur Inkarnation des „political scholar“ wurde.

      Damit sind zwei Köpfe genannt, die man ohne Umschweife als die Ikonen der politischen Intellektuellengeschichte im 20. Jahrhundert bezeichnen kann: Sie sind es von der evidenten Wirkungsgeschichte her, aber auch wegen der vorgängig philosophischen – durchaus verschieden konditionierten – Imprägnierung ihres Schreib- und Argumentationsstils. In der vorliegenden Sammlung spielen sie gleichwohl nur eine prominente Nebenrolle. Das thematische Hauptkapitel rückt nämlich mit Franz L. Neumann einen dritten Kopf ins Zentrum, der wirkungsgeschichtlich im Schatten der beiden anderen verblieb und der trotzdem noch besser geeignet ist, den kairos (Karl Jaspers) zu verdeutlichen, aus dem der „political scholar“ entsprungen ist. Neumann, der nicht die Chance hatte, die Nachkriegsentwicklung längerfristig mitzugestalten, ist nach der Überzeugung des Verfassers der „Archetypus“ des politischen Intellektuellen im 20. Jahrhundert, und er hat diese Sonderstellung in einem exponierten, aber wenig rezipierten Vortrag aus dem Jahr 1952 eindringlich, sowohl lebens- wie theoriegeschichtlich begründet. Der Leser sollte daher mit dem Neumann-Kapitel beginnen, weil es das Spannungsverhältnis zwischen Theorie und Praxis denkbar konkret entfaltet und dennoch in eine gewisse Resignation mündet.

      Damit ist sicherlich ein zum Widerspruch reizendes Szenario eröffnet, weil das auch behaupten heißt, dass alle anderen Figuren, die in diesem Essayband auftreten, in dieser oder jener Form Variationen dieses Typus sind. Das bedeutet zunächst, so begrenzt die hier behandelten Beispiele auch sein mögen, dass den intellektuellen Flüchtlingen aus Hitler-Deutschland – etwa im Vergleich zu Frankreich und England – eine Schlüsselstellung in der Intellektuellengeschichte des 20. Jahrhunderts zukommt. Aber auch für die nachfolgenden Generationen macht der Gedanke Sinn, dass sie in einer bestimmten Relation zu ihm verbleiben. Sie mögen ihm nacheifern oder widersprechen, und selbst wenn sie ihn verachten, stehen sie zumindest moralisch in seinem Schatten. Und vielleicht kann man intern noch einmal ein Spannungsverhältnis subtilerer Art aufmachen: Während z. B. Franz Neumann sich die existentielle Vertiefung des „political scholar“ ohne konkretes, d. h. praktisches Engagement nicht vorstellen wollte, beschränkte Hannah Arendt ihre Definition des politischen Handelns auf seine „Sichtbarkeit“ im öffentlichen Raum – und doch führten beide etwas anderes im Schilde als der heutige Politikwissenschaftler, wenn er von der „Implementation einer politischen Idee“ spricht.

      Das Eingangskapitel skizziert eine Problemlage, die der eigentlichen, der formativen Phase des „political scholar“ um ein Jahrzehnt vorausgeht. So wenig sie in einem Sammelband ausformuliert werden kann, besteht die zweite „starke Behauptung“ des Verfassers darin, dass man die Entstehung sowohl der Kritischen Theorie als auch anderer Kanonbildungen – etwa der „political theory proper“, wie sie Leo Strauss später polemisch gegen die amerikanische „political science“ gestellt hat – nur verstehen kann, wenn man ihr theologisches Wurzelgeflecht zu entwirren versucht. So verschieden sich diese Ursprünge bei Leo Strauss und dem älteren Walter Benjamin auch darstellen und so sperrige Denkwege daraus auch abgeleitet wurden – es könnte Leo Löwenthals intellektuelle Jugendgeschichte sein, an der sich der Übergang von einem orthodox-jüdischen Ausgangspunkt zu den geschichtsphilosophischen Grundlagen der kritischen Gesellschaftstheorie mit besonderer Prägnanz studieren lassen, eine delikate ideengeschichtliche Konstellation, die beim späten Horkheimer in veränderter Form wieder in Erscheinung tritt. Und dies rechtfertigt es auch, im Überblick über das Gesamtwerk von Löwenthal den „Literatursoziologen der Frankfurter Schule“ auszumachen und ihm somit einen Platz in der Geschichte des „political scholar“ zuzuweisen. Hier mag man die Anekdote anführen, dass diese beiden, Neumann und Löwenthal, Anfang der 1920er Jahre in Frankfurt am Main einen „sozialistischen Studentenbund“ gegründet haben.

      Das andere Ende dieser Konstellation, sozusagen die „Auflassung“ der klassischen Phase des „political scholar“, ist nicht weniger vieldeutig, aber weitaus folgenreicher. So eindeutig das Ende des Dritten Reiches politisch auch war – von „Übergängen“ ist deswegen zu reden, weil der Eintritt in die Epoche des „Kalten Krieges“ zwar einer radikalen Umkonstellierung des politischen Globus gleichkam, aber die ideengeschichtlichen Schlussfolgerungen dennoch in viele und verschiedene Richtungen wiesen. Hier können nur zwei Stränge aufgenommen werden, an denen der „political scholar“ mehr oder weniger erfolgreich mitgewirkt hat, nämlich die Gründung der westdeutschen Politikwissenschaft auf der einen Seite und die Ausdifferenzierung der Kritischen Theorie auf der anderen Seite, die bei den Remigranten eine andere Richtung nahm als bei den in den USA Verbliebenen. Während für den ersten Strang das Spannungsfeld zwischen Re-education und amerikanischer political science maßgeblich wurde, ging die „Frankfurter Schule“, die erst jetzt so genannt wurde, eigene Wege. Für beide Entwicklungsstränge aber wurde die Orientierung am Modell der westlichen Demokratie – und spiegelbildlich gesehen: die kritische Distanz gegenüber den östlichen „Volksdemokratien“ – zum gemeinsamen Bezugspunkt, weil es zur westlichen Kulturhegemonie keine Alternative gab. Für die Remigranten, die in einer von der NS-Vergangenheit überschatteten Kultur zu operieren hatten, bedeutete das eine Steigerung ihrer Einflussmöglichkeiten, die sie für die „Verwestlichung“ der Bundesrepublik Deutschland nutzten. Eine kreative Balance zwischen Demokratiepraxis und politischer Theorie stellte sich gleichwohl nicht sofort ein.

      Ein Theorie-Praxis-Problem gab es also auch noch in der zweiten Generation der westdeutschen Politik- und Sozialwissenschaft, und sei es nur in der Form, dass es sehr verschiedene Rezeptionsweisen und damit auch verschiedene Chancen für die bundesrepublikanische Anverwandlung des „political scholar“ gab. Das Letztere könnte man gut daran festmachen, dass Hannah Arendts Totalitarismus-Buch schon 1955 auf Deutsch herauskam, während die Übersetzung von Franz Neumanns „Behemoth“ bis 1977 warten musste, ein Buch, das Adorno 1967 als „das tiefste und wahrste Werk über den Nationalsozialismus“ pries. Dazu passt als eigenwilliger, aber auch erhellender Kommentar, dass die gegenseitige Abneigung zwischen Adorno und Hannah Arendt bekanntlich lebenslang anhielt, obwohl sich zeigen lässt, dass ihre Schreibweise, d. h. ihr eigentliches intellektuelles Handwerkszeug schon Ende der 1940er Jahre auffällige Ähnlichkeiten aufwies: Der Essay wurde zum wichtigsten Instrument, um der politischen Kritik eine eingängige Form zu verschaffen. Taxiert man von hier aus die gegenwärtige Ausstattung der politischen Philosophie, so erhält man den Eindruck, als ob das Bild von Adorno sich in der Rezeption wieder mehr dem des reinen Kulturkritikers angenähert hat, während Hannah Arendt allenthalben als die Grande Dame des politischen Denkens gefeiert wird. Verglichen mit der Brillanz und dem philosophischen Freistil dieser beiden konnte ein tatsachenfixierter, ein so nüchterner und uneitler Denker wie Franz Neumann nur verlieren.

      Das abschließende Kapitel, in dem einige typische, aber auch markante Vertreter der bundesrepublikanischen Politik- und Sozialwissenschaft portraitiert werden, mag „angehängt“ wirken. Da es sich um die Lehrergeneration des Verfassers handelt – bei Kurt Sontheimer habe ich 1977 in München promoviert, und zwar ausgerechnet mit einer Arbeit über die frühe Kritische Theorie –, ist eine subjektive Tönung der Darstellung wohl unvermeidlich. Dennoch wird hoffentlich deutlich, dass das Format des „political scholar“, besonders seine normative Ausstattung einerseits immer noch präsent war, andererseits aber das Insistieren auf Theorie sehr verschieden verteilt war. Dass der historische Übergang aus den „Mühen des Gebirges“ in die „Ebenen“ der demokratischen Praxis (Bertolt Brecht) nicht nur zu einer Nivellierung, sondern geradezu zur Theoriefeindschaft führen konnte –

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