Denkwürdigkeiten des Pickwick-Klubs. Charles Dickens

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Denkwürdigkeiten des Pickwick-Klubs - Charles Dickens

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      »Was geht uns Georg Barnwell an«, fiel Sam ein, der diesem kurzen Zwiegespräch verwundert zugehört hatte. »Jedermann weiß, was das für ein Fall war, und es ist immer meine Ansicht gewesen, daß das junge Weibsbild den Strick eher verdiente als er. Doch das gehört nicht hierher. Sie wollen mich für einen halben Goldfuchs ausfragen. Gut, ich habe nichts dagegen – kann ich mehr tun, Sir? (Herr Pickwick lächelte.) Nun ist aber die zweite Frage, was zum Teufel Sie von mir wollen, wie der Mann sagte, als er den Geist sah.21

      »Wir wünschen zu wissen –« sagte Herr Wardle.

      »Ei, mein lieber Herr – mein lieber Herr«, fiel der geschäftige kleine Mann ein.

      Herr Wardle zuckte die Achseln und schwieg.

      »Wir wünschen zu wissen«, sagte der kleine Mann feierlich, »und wir fragen deshalb gerade Euch, um im Hause keine Besorgnisse zu erregen – wir wünschen zu wissen, sage ich, wer gegenwärtig im Wirtshause logiert.«

      »Wer im Hause logiert?« versetzte Sam, in dessen Geist sich die Bewohner stets in der Form des Artikels vergegenwärtigten, der seiner unmittelbaren Besorgung anheimgegeben war. »Da ist ein Stelzfuß in Nummer Sechs«, ein Paar hessische Stiefel in Nummer Dreizehn, zwei Paar Halbstiefel in dem Krämerstübchen, diese gelben Stulpen in dem Kämmerchen neben dem Schenktisch, und fünf weitere Stulpenstiefel in dem Gastzimmer.«

      »Weiter nichts?« fragte der kleine Mann.

      »Halt, einen Moment«, versetzte Sam, sich plötzlich entsinnend. »Ein Paar ziemlich abgetragene Wellingtonstiefel und ein Paar Damenschuhe in Nummer Fünf.«

      »Was sind das für Schuhe?« fragte Wardle hastig, den Sams wunderliche Aufzählung der Wirtshausgäste ebensosehr, wie Herrn Pickwick verwirrt hatte.

      »Machwerk aus der Provinz«, entgegnete Sam.

      »Und der Name des Meisters?«

      »Brown.«

      »Woher?«

      »Von Muggleton.«

      »Sie sind's!« rief Herr Wardle. »Beim Himmel, wir haben sie gefunden.«

      »Pst!« sagte Sam. »Die Wellingtonstiefel sind zu Doktors Commons gegangen.«

      »Unerhört«, sagte der kleine Mann.

      »Ja, er holt eine Lizenz.«

      »Wir kommen gerade noch zur rechten Zeit«, rief Herr Wardle. »Zeigt uns das Zimmer: wir dürfen keinen Augenblick verlieren.«

      »Bitte, lieber Herr – bitte«, sagte der kleine Mann: »nur vorsichtig – vorsichtig.«

      Er zog aus seiner Tasche eine rotseidene Börse, sah Sam fest an und zog ein Goldstück heraus.

      Sam verzog sein Gesicht zu einem ausdrucksvollen Grinsen.

      »Führt uns rasch nach dem Zimmer, aber ohne uns anzumelden, und das Goldstück ist Euer«, sagte der kleine Mann.

      Sam warf die gelben Stulpen in eine Ecke und ging durch einen dunklen Gang und ein weites Treppenhaus voran. Am Ende des zweiten Ganges hielt er inne und streckte seine Hand aus.

      »Hier«, flüsterte der Sachwalter, als er das Geld in die Hand ihres Führers legte.

      Sam trat noch einige Schritte weiter vor, wobei ihm die beiden Freunde und ihr rechtskundiger Ratgeber folgten: dann blieb er an einer Tür stehen.

      »Ist dies das Zimmer?« fragte der kleine Herr leise.

      Sam nickte bejahend.

      Der alte Wardle öffnete die Tür, und alle drei traten in demselben Augenblick ins Zimmer, als Herr Jingle, der eben zurückgekehrt war, der Jungfer Tante die Lizenz vorlegte.

      Die Jungfer Tante stieß einen lauten Schrei aus, warf sich in einen Sessel und bedeckte das Gesicht mit ihren Händen. Herr Jingle knüllte die Lizenz zusammen und steckte sie in seine Rocktasche. Die unwillkommenen Gäste traten in die Mitte des Zimmers.

      »Ha – Sie elender – heilloser Schurke!« rief Herr Wardle, fast atemlos vor Zorn.

      »Lieber Herr – lieber Herr«, sagte der kleine Mann, seinen Hut auf den Tisch legend. »Bitte, bedenken Sie doch – bitte. Großer Skandal, Ehrenkränkung, Entschädigungsklage. Beruhigen Sie sich, lieber Herr, bitte –«

      »Wie konnten Sie sich unterstehen, meine Schwester aus meinem Hause zu entführen?« fragte der alte Mann.

      »Ja – ja – sehr gut«, sagte der kleine Gentleman. »Das können Sie fragen. Wie konnten Sie sich unterstehen, Sir? – Antwort, Sir.«

      »Wer zum Teufel sind denn Sie?« fragte Herr Jingle mit einer Heftigkeit, daß der kleine Herr unwillkürlich um einige Schritte zurücktrat.

      »Wer er ist. Sie Halunke«, rief Herr Wardle dazwischen. »Mein Rechtsbeistand ist er – Herr Perker von Grans Inn. Perker, ich will, daß dieser Kerl gerichtlich verfolgt – zur Strafe gezogen wird – ja, ich will – ich will – Gott verdamme mich – ich will den Elenden zugrunde richten. Und du«, fuhr Herr Wardle, sich plötzlich an seine Schwester wendend, fort, du, Rachel, was soll das heißen, daß du in einem Alter, wo du doch einmal hättest klug werden sollen, mit einem Landstreicher davonläufst, Schande über deine Familie bringst und dich selber unglücklich machst? Setze deinen Hut auf und komm mit. Geschwind eine Mietkutsche, und bringt die Rechnung dieser Dame, hört Ihr – hört Ihr?«

      »Sofort Sir«, versetzte Sam, der Herrn Wardles ungestümem Klingeln voll Eile Folge geleistet hatte. Jedem mußte das als ein Wunder erscheinen, der nicht gerade wußte, daß Ehren-Sam während des ganzen Vorgangs vor der Tür gestanden und durch das Schlüsselloch zugesehen hatte.

      »Nimm deinen Hut«, wiederholte Wardle.

      »Wird nichts gereicht«, sagte Jingle. »Das Zimmer verlassen, Sir – nichts zu schaffen hier – Dame ist frei – kann nach Gutdünken handeln – über einundzwanzig Jahre.«

      »Über einundzwanzig?« rief Herr Wardle verächtlich. »Jawohl – über einundvierzig.«

      »Das bin ich nicht«, sagte die Jungfer Tante, deren Entrüstung über den Entschluß, in Ohnmacht zu fallen, die Oberhand gewann.

      »Allerdings«, versetzte Herr Wardle. »Es fehlt keine Stunde zu den Fünfzig.«

      Hier stieß Jungfer Tante einen lauten Schrei des Entsetzens aus und sank besinnungslos zusammen.

      »Ein Glas Wasser!« rief der menschenfreundliche Pickwick der Wirtin zu.

      »Ein Glas Wasser?« sagte der leidenschaftliche Wardle. »Bringt einen Zuber und gießt ihn über sie. Es wird ihr gut bekommen, sie hat eine solche Abkühlung reichlich verdient.«

      »Pfui – Sie Unmensch!« rief die empfindsame Wirtin, »Die arme Dame.«

      Und mit noch einigen andern Ausrufen, als da waren: »Kommen Sie, meine Liebe – trinken Sie ein wenig – es wird Ihnen gut tun – nehmen Sie sich's nicht so zu Gemüt – das ist die Liebe« und dergleichen, benetzte die Wirtin, von ihrem

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