Peter Schlemihls wundersame Geschichte von Adelbert von Chamisso: Reclam Lektüreschlüssel XL. Wolfgang Pütz

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Peter Schlemihls wundersame Geschichte von Adelbert von Chamisso: Reclam Lektüreschlüssel XL - Wolfgang Pütz Reclam Lektüreschlüssel XL

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      Adelbert von Chamisso

      Peter Schlemihls wundersame Geschichte

      Lektüreschlüssel XL

      für Schülerinnen und Schüler

      Von Wolfgang Pütz

      Reclam

      Dieser Lektüreschlüssel bezieht sich auf folgende Textausgabe:

      Adelbert von Chamisso: Peter Schlemihls wundersame Geschichte. Hrsg. von Florian Gräfe. 2., durchges. und erw. Ausg. Stuttgart: Reclam, 2020. (Reclam XL. Text und Kontext, Nr. 19439.)

      Diese Ausgabe des Werktextes ist seiten- und zeilengleich mit der in Reclams Universal-Bibliothek Nr. 93.

      E-Book-Ausgaben finden Sie auf unserer Website

      unter www.reclam.de/e-book

      Lektüreschlüssel XL | Nr. 15522

      2020 Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

      Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

      Made in Germany 2020

      RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart

      ISBN 978-3-15-961720-6

      ISBN der Buchausgabe 978-3-15-015522-6

       www.reclam.de

      Abb. 1: Titelblatt aus Ernst Ludwig Kirchners Holzschnittfolge zum Peter Schlemihl (1915)

      1. Schnelleinstieg

      Im Zeitraum der Veröffentlichung von Chamissos Märchennovelle erschien auch Ludwig van Beethovens einzige Oper Fidelio in drei verschiedenen Fassungen (1805, 1806, 1814). Aus dem Libretto der 3. Fassung stammt der folgende Monolog des Kerkermeisters Rocco, in dem finanzieller Reichtum, materieller Besitz und grenzenloserVergötzung des Geldes Konsum glorifiziert werden:

      Hat man nicht auch Gold beineben,

      Kann man nicht ganz glücklich sein.

      Traurig schleppt sich fort das Leben,

      Mancher Kummer stellt sich ein.

      Doch wenn’s in der Tasche fein klingelt und rollt,

      Da hält man das Schicksal gefangen,

      Und Macht und Liebe verschafft dir das Gold,

      Und stillet das kühnste Verlangen.

      Das Glück dient wie ein Knecht für Sold,

      Es ist ein schönes Ding, das Gold.

      Wenn sich nichts mit nichts verbindet,

      Ist und bleibt die Summe klein.

      Wer bei Tisch nur Liebe findet,

      Wird nach Tische hungrig sein.

      Drum lächle der Zufall euch gnädig und hold

      Und segne und lenk euer Streben,

      Das Liebchen im Arme, im Beutel das Gold,

      So mögt ihr viel Jahre durchleben.

      Das Glück dient wie ein Knecht für Sold,

      es ist ein mächtig Ding, das Gold.1

      Ebenso wie dieser Text markiert auch Peter Schlemihls wundersame Geschichte von der bezwingenden Macht einer unerschöpflichen Goldquelle den »Anbruch einer neuen, von bürgerlichen Normen bestimmten Zeit zu Beginn des 19. Jahrhunderts, einer Zeit im Zeichen von Geld und Geldeswert auf der Schwelle zur Industrialisierung […] Immer mehr beginnt der Mensch in einer kapitalbeherrschten Umwelt das zu sein, was er hat […].«2

      Für die anfangs Anti-Heldsozial deklassierte Hauptperson in Adelbert von Chamissos Kunstmärchen wird die uneingeschränkte Verfügbarkeit von Gold zum Angelpunkt seiner Hoffnung auf direkte Teilhabe am Leben des Besitzbürgertums, ohne dass er durch Arbeit und Leistungen für den eigenen gesellschaftlichen Aufstieg mittel- oder langfristige Anstrengungen unternehmen muss.

      Die Erfüllung des triebhaften Wunsches nach steter und grenzenloser Bedürfnisbefriedigung geschieht allerdings um den Preis des Verlustes der seelischen und geistigen Autonomie und Authentizität des Individuums, deren Gütesiegel der immaterielle Schattenwurf ist. Je mehr der Mensch sich durch die Unersättlichkeit seines Verlangens nach WarenfetischismusWaren und Dingen zum Sklaven von Konsum und Besitz macht, desto mehr, so lautet auch die Botschaft von Chamissos Werk, erliegt der Einzelne der IdentitätsverlustFremdbestimmung durch die Hörigkeit gegenüber den bloß materiellen Glücksverheißungen der kapitalistischen Ökonomie.

      Während es Peter Schlemihl am Höhepunkt der Auseinandersetzung mit dem diabolischen Händler durch Willenskraft und Verzicht auf einen Teufelspakt wenigstens noch gelingt, seine Seele und damit sein Ich zu bewahren, bleibt Deformation des MenschenThomas John, eine Nebenfigur der Novelle, seinem eigenen fürchterlichen Eingeständnis zufolge am Ende auf immer verflucht und verdammt. Indem seine »entstellte Gestalt« (S. 59) von seinem satanischen Gebieter einem Gegenstand gleich aus der Tasche gezogen wird, »erscheint [er] nach dem Verlust seiner Freiheit selbst zur Ware verdinglicht. Er ist die Personifikation der im Kapitalismus latenten Gefahr menschlicher Selbstentfremdung.«3

      Jenseits seiner Vorwegnahme der marxistischen Kritik am Warenfetischismus eröffnet Chamissos Märchennovelle einen verstörenden Einblick in die Instinktnatur des Menschen, die etwa 100 Jahre später der Tiefenpsychologe Sigmund Freud (1856–1935) in den auf unmittelbare Bedürfnisbefriedigung drängenden Macht der TriebnaturTrieben des Es festmacht. Demnach ist Schlemihls Gier nach Gold vordergründig als irrationales Geschehen, jedoch aus psychoanalytischer Sicht als naturhaftes, unbewusst und unwillentlich gesteuertes Triebverhalten zu verstehen. Wie vergleichbare literarische Texte aus dem Bereich der Schwarzen Romantik oder auch Schauerromantik, so etwa E. T. A. Hoffmanns Die Elixiere des Teufels (1815/16) und Der Sandmann (1816), zeigt Peter Schlemihls wundersame Geschichte die Abgründe der menschlichen Seele. Begegnungen mit dem Dämonie des EsDämonischen und Bösen, negative Gefühle von Verzweiflung, Angst, Wut, Schuld und Scham sowie alptraumhafte Szenen der öffentlichen Bloßstellung oder der erlebten Gewalt gehören zum Motivrepertoire einer fiktiven Welt, in welcher es nur den Teufel, aber keinen Gott gibt. Der Einzelne bleibt den eigenen schuldhaften Verstrickungen und unerfüllten Sehnsüchten ausgeliefert und damit auf sich selbst zurückgeworfen. So berichtet der Erzähler etwa von seiner tiefen EinsamkeitEinsamkeit angesichts der Tragik eines Schicksals, welches er selbst zu verantworten hat und aus dem es trotz aller Fluchtversuche kein Entkommen gibt:

      »Allein zurückgeblieben auf der öden Heide, ließ ich Tränenströmeunendlichen

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