Europa. Zygmunt Bauman

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Europa - Zygmunt Bauman

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im Schatten des Anspruchs auf staatliche territoriale Souveränität leben, sind sie gleichwohl die einzigen Instrumente, die wir uns vorstellen können und bei denen wir im Augenblick der Krise Zuflucht zu suchen geneigt sind, trotz ihrer krassen Unzulänglichkeit, territoriale Souveränität zu sichern, die Bedingung sine qua non der praktischen Lebensfähigkeit jenes Friedens. Das weithin beobachtete und voraussagbare Ergebnis ist die Frustration, die dadurch verursacht und durch die wechselseitige Unzulänglichkeit der Mittel für die Ziele zwangsläufig genährt wird.

      Kurz gesagt: Unsere gegenwärtige Krise ist zunächst und vor allem eine Krise des Handelns – obgleich sie in letzter Instanz eine Krise der territorialen Souveränität ist. Jede formal souveräne territoriale Einheit kann heutzutage als Müllkippe für Probleme dienen, deren Ursprung weit jenseits der Reichweite ihrer Instrumente politischer Kontrolle liegt – und es ist ziemlich wenig, was sie tun kann, um diese einzudämmen, geschweige denn ihnen zuvorzukommen, wenn man die Reichweite der Macht erwägt, die ihr zur Verfügung steht.

      Einige formell souveräne Einheiten, ja eine wachsende Anzahl von ihnen, sind in der Praxis auf den Rang von lokalen Polizeirevieren herabgesunken, die sich bemühen, ein Quäntchen an Recht und Ordnung zu sichern, das notwendig ist für den Verkehr, dessen Kommen und Gehen sie weder beabsichtigen noch kontrollieren können. Wie groß auch immer die Distanz zwischen ihrer Souveränität de jure und ihrer Souveränität de facto sein mag – gleichwohl sind sie alle gezwungen, lokale Lösungen für global erzeugte Problemen zu finden – eine Aufgabe, die weit über die Fähigkeit aller hinausgeht, vielleicht mit Ausnahme einer Handvoll der reichsten und erfinderischsten unter ihnen.

      Die Europäer, wie die meisten anderen Bewohner des Planeten, sehen sich gegenwärtig der Krise der „Politik, wie wir sie kennen“, gegenüber, während sie mit aller Kraft versuchen, lokale Lösungen für globale Herausforderungen zu finden oder zu suchen. Sie finden, dass die gegenwärtig entwickelten Methoden, Dinge zu tun, nicht wirklich funktionieren, während alternative und effektive Weisen, Dinge zu erledigen, noch nirgends in Sicht sind (eine Situation, die von dem großen italienischen Philosophen Antonio Gramsci als Zustand des „Interregnums“ bezeichnet worden ist – das heißt, einer Zeit, in der das Alte schon tot ist oder im Sterben liegt, das Neue aber noch nicht geboren ist). Ihre Regierungen, wie so viele andere außerhalb Europas, befinden sich in einer „Doppelbindung“. Freilich anders als im Fall der meisten anderen Bewohner des Planeten ist die Welt der Europäer ein drei-, nicht ein zweistöckiges Gebäude. Zwischen den globalen Mächten und der nationalen Politik gibt es die Europäische Union. Dieses Eindringen eines „vermittelnden Gliedes“ in die Kette der Abhängigkeiten trübt die ansonsten klare Trennung vom Typ „wir-und-sie“. Auf welcher Seite steht die Europäische Union? Ist sie Teil „unserer“ (autonomen) Politik oder „ihrer“ (heteronomen) Macht? Von einer Seite aus gesehen erscheint diese Union als Schutzschild, der das Aggregat individueller Staaten, von denen viele zu schwach und zu winzig sind, als dass sie davon träumen könnten, den strengen Anforderungen an eine souveräne Existenz zu genügen, vor den schlimmsten Exzessen der ungezügelten und skrupellosen globalen Mächte schützt. Von der anderen Seite aus gesehen erscheint die Union als eine Art Fünfter Kolonne ebenderselben globalen Mächte, als ein Satrap fremder Eindringlinge, „ein innerer Feind“ – und alles in allem als eine Vorhut von Kräften, die sich verschworen haben, die Chancen der Nation wie des Staates auf Souveränität zu untergraben und letztlich null und nichtig zu machen: eine Wahrnehmung, die von den Sirenenstimmen der Neonationalisten ebenso skrupellos wie doppelzüngig als Heilung für die Krankheiten ausgebeutet wird, zu deren Ursachen ihre Realität gehört.

      Vielleicht war die Idee Europa eine Utopie und bleibt es … Aber sie war und bleibt eine aktive Utopie, die darum kämpft, die andernfalls unverbundenen und in viele Richtungen weisenden Aktionen zu verschmelzen und zu konsolidieren. Als wie aktiv sich die Utopie letztlich herausstellen wird, wird schließlich von ihren Akteuren abhängen.

      Bei der Untersuchung der schicksalhaften Trennungen, die in Europa vor drei Jahrhunderten stattfanden, hat sich der herausragende deutsche Ideengeschichtler Reinhart Koselleck einer Metapher bedient, das Ersteigen eines bislang noch nicht auf Karten verzeichneten und unerreichten Bergpasses. Aber während man versucht, den Pass ganz oben zu erreichen, kann man nur raten, welche Aussicht sich einem eröffnen wird, sobald (wenn überhaupt) man schließlich dort ankommt. Alles, was man bis dahin mit Sicherheit weiß, ist, dass man, solange man braucht, um den Gipfel jenes steilen Hanges zu erreichen, weiterklettern muss; man kann nicht anhalten und sich niederlassen, Zelte aufbauen und ausruhen: Der erste Windstoß würde die Zelte wegwehen, der nächste Regenguss würde sie wegspülen. Selbst ohne Sturm oder Flut: Mitten auf einem solchen Hang unbeweglich stillzustehen fühlt sich äußerst unbehaglich an; ein Blick in den Abgrund unter einem, den man hinter sich gelassen hat, in den man aber zurückfallen kann, wenn man nur einen falschen Schritt tut, wird einen unerträglichen Schwindel verursachen … So klettert man weiter – bis zu jenem Unbekannten, von dem man sich die Rettung von den Schrecken erhofft, die man kennt …

      Dies ist eine passende Metapher dafür, wie wir uns fühlen – wir, die Europäer des 21. Jahrhunderts, eingespannt zwischen eine Vergangenheit voller Schrecken und eine ferne Höhe voller Risiken. Wir können nicht wissen, welche Erfahrungen wir, einmal dort angelangt, machen werden. Aber wir wissen, dass wir nicht die Option haben, jetzt anzuhalten und Stillschweigen zu bewahren. Obwohl wir auch nicht aufhören können zu spekulieren, was wir sehen und fühlen werden, sobald wir einmal den Pass erreichen …

      Gegenwärtig haben alle Lösungen, denen wir zustimmen, wenn wir ständig neuen Herausforderungen und Meinungsverschiedenheiten gegenüberstehen, einen Anschein von Vorläufigkeit. Sie scheinen nur „bis auf Weiteres“ zu gelten, und allzu oft erweist sich dies auch als richtig, mit einer eingebauten Ungültigkeitsklausel – genau wie unsere Trennungen und Koalitionen ad hoc, zerbrechlich und halbherzig sind. Noch ärger: Wir finden es schwierig, aus unseren vergangenen Unternehmungen eine vernünftige Geschichte zu machen – unsere Agenda wechselt ständig, und unsere Aufmerksamkeit ist allzu unstet, um eine solche Geschichte zu erzählen. So klang es etwas sorgenvoll, als die hoch angesehene Radio Times anlässlich der Ausstrahlung einer neuen ITV-Serie zu Gegenwartsproblemen äußerte: „Eine neue Monatszeitschrift, die versucht, internationale Nachrichten etwas gründlicher zu behandeln, muss eine gute Sache sein. Das Problem ist nur: Die Nachrichtenagenda verändert sich schnell, und wenn die Schlagzeilen von der Ukraine, Syrien und China beherrscht werden, sieht es wie eine verpasste Gelegenheit aus, wenn sich die erste Ausgabe mit Ruanda, Colorado und Norwegen befasst …“

      Gleichwohl:

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