Der Hund der Baskervilles. Arthur Conan Doyle

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Der Hund der Baskervilles - Arthur Conan Doyle

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Sir, Mister – ein schlichtes Mitglied des Royal College of Surgeons. M.R.C.S.«

      »Und anscheinend ein Mann von exaktem Wissen.«

      »Ein Amateurwissenschaftler, Mr. Holmes, ein Mann, der Muscheln am Strand des weiten, unbekannten Ozeans aufhebt. Ich nehme doch an, daß ich mit Mr. Sherlock Holmes spreche und nicht mit ...?«

      »Nein – dies hier ist mein Freund Dr. Watson.«

      »Nett, Sie kennenzulernen, Sir. Ich habe Ihren Namen im Zusammenhang mit dem Ihres Freundes gehört. Sie interessieren mich sehr, Mr. Holmes. Ich hätte kaum eine so ausgesprochene Langschädelformation und so stark entwickelte Jochbogen bei Ihnen erwartet. Hätten Sie etwas dagegen, wenn ich mit dem Finger Ihre Scheitelnaht entlangfahre? Ein Abguß Ihres Schädels, Sir, wäre, solange nicht das Original zur Verfügung steht, die Zierde jedes anthropologischen Museums. Plumpe Schmeichelei ist nicht meine Absicht, aber ich gestehe, daß ich auf Ihren Schädel Lust bekomme.«

      Mit einer Handbewegung lud Sherlock Holmes unseren seltsamen Besucher zum Sitzen ein.

      »Sie sind offenbar in Ihrer Sparte ein ebensolcher Enthusiast wie ich in meiner«, sagte er. »Ich sehe an Ihrem Zeigefinger, daß Sie Ihre Zigaretten selbst drehen. Lassen Sie sich nicht davon abhalten, eine anzuzünden.«

      Der Mann zog Papier und Tabak hervor und drehte mit überraschender Fingerfertigkeit eine Zigarette. Seine langen, behenden Finger waren beweglich und rastlos wie die Fühler eines Insekts.

      Holmes schwieg, aber seine schnellen, forschenden Blicke zeigten mir sein Interesse an unserem sonderbaren Besucher.

      »Ich nehme an, Sir«, begann er endlich, »daß Sie mir nicht die Ehre erweisen, mich gestern abend und heute früh erneut aufzusuchen, nur um meinen Schädel zu betrachten?«

      »Nein, Sir, nein – obwohl ich mich auch freue, daß ich es bei dieser Gelegenheit tun konnte. Ich bin zu Ihnen gekommen, Mr. Holmes, weil ich mir bewußt bin, kein Mann der Praxis zu sein, und weil ich plötzlich vor einem sehr ernsten und außergewöhnlichen Problem stehe. Da ich davon überzeugt bin, daß Sie der zweitbeste Experte Europas sind ...«

      »So? Darf ich fragen, wer die Ehre hat, der beste zu sein?« erkundigte sich Holmes ziemlich gereizt.

      »Einen Mann mit pedantisch genauem wissenschaftlichem Geist wird wohl die Arbeit von Monsieur Bertillon3 immer sehr beeindrucken.«

      »Sollten Sie dann nicht besser ihn befragen?«

      »Ich habe von pedantisch genauem wissenschaftlichem Geist gesprochen, Sir. Aber als praktisch denkender Mann der Tatsachen stehen Sie nach allgemeiner Ansicht unerreicht da. Ich hoffe, Sir, daß ich Sie nicht, ohne es zu wollen ...«

      »Nur ein wenig«, sagte Holmes. »Ich glaube, Dr. Mortimer, es wäre gut, wenn Sie mir nun ohne weitere Umschweife erklärten, welcher Art das Problem ist, zu dessen Lösung Sie meine Hilfe wünschen.«

      2. Der Fluch der Baskervilles

      »Ich habe ein Manuskript in meiner Tasche«, sagte Dr. James Mortimer.

      »Das habe ich gesehen, als Sie ins Zimmer kamen«, bemerkte Holmes.

      »Es ist eine alte Handschrift.«

      »Beginn des 18. Jahrhunderts – wenn es keine Fälschung ist.«

      »Woher wissen Sie das?«

      »Während Sie sprachen, haben Sie mir ein oder zwei Zoll davon gezeigt. Es müßte schon ein unfähiger Experte sein, wer nicht imstande wäre, das Alter eines Dokuments auf zehn Jahre genau zu bestimmen. Vielleicht haben Sie meine kleine Monographie zu diesem Thema gelesen. Ich schätze es auf ungefähr 1730.«

      »Die genaue Jahreszahl ist 1742.« Dr. Mortimer zog das Papier aus seiner Brusttasche hervor. »Dieses Familiendokument wurde mir von Sir Charles Baskerville anvertraut, dessen plötzlicher und tragischer Tod vor etwa drei Monaten in ganz Devonshire so viel Aufregung verursacht hat. Ich darf wohl sagen, daß ich ebenso sein persönlicher Freund wie sein ärztlicher Berater war. Er war ein willensstarker Mann, Sir, scharfsinnig, praktisch und ebenso phantasielos wie ich selbst. Trotzdem hat er dieses Dokument sehr ernst genommen, und er war auf genau solch ein Ende vorbereitet, wie es ihm dann tatsächlich beschieden war.«

      Holmes streckte die Hand nach dem Manuskript aus, nahm es und strich es auf seinem Knie glatt.

      »Beachten Sie, Watson, daß abwechselnd das kurze und das lange s benutzt werden. Das ist eine von verschiedenen Indikationen, die es mir ermöglicht haben, die Jahreszahl zu bestimmen.«

      Ich blickte über seine Schulter hinweg auf das vergilbte Papier und die verblaßte Schrift. Oben stand Baskerville Hall geschrieben und darunter in großen, ungelenken Ziffern: »1742«.

      »Es scheint eine Art Bericht zu sein?«

      »Ja, es ist die Aufzeichnung einer bestimmten Legende, die die Familie Baskerville betrifft.«

      »Aber ich denke, es ist ein moderneres und praktischeres Problem, dessentwegen Sie mich konsultieren wollen?«

      »Sehr modern. Ein sehr praktisches, dringendes Problem, das binnen vierundzwanzig Stunden gelöst werden muß. Aber das Manuskript ist kurz und mit dieser Angelegenheit eng verbunden. Mit Ihrer Erlaubnis will ich es Ihnen vorlesen.«

      Holmes lehnte sich zurück, legte seine Fingerspitzen aneinander und schloß mit einem Ausdruck der Resignation die Augen. Dr. Mortimer hielt die Handschrift ins Licht und las mit hoher, brüchiger Stimme die folgende sonderbare alte Erzählung vor:

      »Über den Ursprung des Hundes der Baskervilles gibt es viele Schilderungen; da ich jedoch in gerader Linie von Hugo Baskerville abstamme, und da ich die Geschichte von meinem Vater erfahren, der wiederum sie von seinem Vater übernommen, habe ich sie so niedergeschrieben, in dem festen Glauben, daß alles so geschah, wie hier dargelegt. Und möchte ich, daß Ihr, meine Söhne, daran glauben sollet, daß dieselbe Gerechtigkeit, welche Sünden bestraft, sie ebenso gnädiglich vergeben mag, und daß kein Bann so schwer ist, daß nicht Gebet und Reue ihn aufhöben. Lernet also aus dieser Geschichte, nicht die Früchte der Vergangenheit zu fürchten, sondern in der Zukunft Umsicht walten zu lassen, daß nicht diese verderbten Leidenschaften, ob welcher unsere Familie so bitterlich gelitten, abermals zu unserem Unheil losbrechen.

      Wisset also, daß in der Zeit der Großen Rebellion4 (deren Geschichte, aufgezeichnet vom gelehrten Lord Clarendon, ich ernstlichst Eurer Aufmerksamkeit anempfehle) dieses Herrengut von Baskerville einem Hugo desselben Namens gehörte, welcher ein besonders wilder, lästerlicher und gottloser Mensch war. Dies wahrlich hätten seine Nachbarn verzeihen mögen, sintemalen in diesen Landen Heilige nimmer gediehen, doch waren ihm Wollust und Grausamkeit eigen, die seinen Namen im ganzen Westen zu einem Sprichwort machten. Nun begab es sich, daß besagter Hugo die Tochter eines Freisassen, welcher nahe den Liegenschaften der Baskervilles Land besaß, liebte (wenn man denn solch düstre Leidenschaft mit solch lichtem Worte nennen kann). Aber die junge Maid, die bescheiden und guten Rufes war, mied ihn, da sie seinen üblen Namen fürchtete. So trug es sich zu, daß an einem St.-Michaels-Tag dieser Hugo mit fünf oder sechs seiner nichtigen und verruchten Gefährten sich an den Bauernhof heranschlich und die Maid entführte, wohl wissend um die Abwesenheit ihres Vaters und ihrer Brüder. Nachdem sie die Maid ins Herrenhaus gebracht, sperrten sie sie in ein hochgelegenes

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