Seligenstädter Einladung. Группа авторов

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Seligenstädter Einladung - Группа авторов

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      Das Vergangene überlasse ich derweil seiner eigenen Erinnerung.

      Der Weg nach Frankfurt

      Reinhard Franz

      Alle vier Jahre

      hat Seligenstadt Stress,

      zum Zug der Kaufleut’

      zur Frankfurter Mess’,

      gedacht an die Zeit,

      als Wege noch weit,

      gerechnet in Tagen,

      mit Pferden und Wagen.

      Gefährlich die Pfade,

      von Räubern bedroht,

      nur Schutz durch des Kaisers

      schriftlich’ Gebot.

      Bis Frankfurt war nur noch

      ein halber Tag Reise,

      heut’ gibt es Straßen

      und auch ein paar Gleise

      die führ’ n zwar nach Frankfurt

      doch aus einer Zeit

      als Furcht vor der Großstadt

      die Wege bereit’.

      Statt Brücke die Fähre

      auf Umweg der Zug

      für heutige Umständ’

      der Stunden genug.

      Der Weg der Geschichte

      lebt hier so noch fort

      Tradition und Moderne

      verbunden am Ort.

      Von Pleiten und Perlen am Untermain

      S. Katharina Eismann

      Ein Büschel Petersilie

      für die Einhardsuppe geklaut

      in der Manteltasche verstaut

      die Geranie noch triste

      der Klosterhof düster

      die Turmwächterin faucht

      vor strammstehenden Touristen

      une am Main hawe mediterrane Tatare

      das Perlekettche versaut

      sich einen Palazzo nach dem anere gebaut

      Eiskaiser streckt das Zünglein raus

      sie hawe sich was notiert

      was ihnen net gehört

      sie hawe textoriert über mei

      liebenswertes Städtchen

      die Poetas blicken rezensiert

      sie hausmeistert vor dem Brünnlein

      in der Hintergass

      unser Fruchtwasser is selig

      Troubletroubadouren

      rauf und runter

      zu den Huren ins gelbe Haus

      bardet ins heilige Kraut

      die dicke Emma

      hat sich den zarten Reimhard geschnappt

      ist mit ihm durch den Schnee gestapft

      stuck stuck stuck

      von vaginalen Ranken umgarnt

      wem gehört die schönste Decke

      im Fachwerkverband?

      helau die Stuckpolizei

      hat Grafitti und Pisse gewittert

      ist Heimat nicht öffentlich zugänglich?

      das Kopfsteinpflaster ist ausgerastet

      Heimatbesuch

      Rolf Silber

      »D

      e Maa«, sagt der Mann hinter mir in einer exzellenten Mischung aus Südhessisch und kleinen Einsprengseln des Mainfränkischen, »de Maa iss doch’ n scheene Fluß.« Was zweifelsohne wahr ist. Schließlich fahren wir gerade, sehr früh am Morgen, in einem flachen Fischernachen, unter freundlichem Brummen eines kleinen Außenbordmotors, eben jenen schönen Main hinunter.

      Wir, das sind der Sprechende, der das Boot steuert, Mitglied der örtlichen Fischerinnung, dazu mein Kameramann mit seinem Gerät, außerdem der Eigentümer des Nachens, der letzte professionelle Mainfischer, der vorne im Boot zwischen seinen Netzen sitzt. Wir sollen eine kleine Dokumentation drehen, über eine lokale Tour. Und ich habe leichtsinniger Weise das Thema »Von Seligenstadt nach Frankfurt« vorgeschlagen. Vielleicht, weil ich selbst schon lange in der Main-Metropole lebe und ausgerechnet in Seligenstadt geboren bin, deren apartes Häuserprofil gerade an uns vorbeigleitet. Fast als würden nicht wir uns auf dem Fluss bewegen, sondern mächtige Kulissenschieber die Stadt vor unseren Augen entlang ziehen.

      »Als Nostalgiker bin ich ja ungeeignet«, denke ich noch einige Minuten zuvor, aber nun, nun hat sie mich gekitzelt, die Nostalgie. Die ersten drei Jahre eines Lebens sind bekanntlich von Wundern, Schrecken und Missverständnissen geprägt, und hier ist es nicht anders. »Da bist Du geboren«, hat der Vater mal gesagt und zum großen, steinernen Wasserturm der Stadt, nahe des Bahnhofs, hochgedeutet. Und so in meinen kindlichen Kopf die Vorstellung eingepflanzt, als eine Art Kaulquappe in dem riesigen Tank im Inneren des Turms zur Welt gekommen zu sein. Natürlich war das darunter liegende Krankenhaus gemeint, aber trotzdem. Das Bild hat sich nie verloren und behielt immer etwas märchenhaft Berührendes: Ich, der Seligenstädter Aquamann. Aber der Turm repräsentiert eben auch Schrecken. Immer noch im Stande des frühkindlichen Verzaubertseins, hat man mich kleine Kaulquappe im dortigen Krankenhaus zweimal operiert. Was unter rabiater Chloroformbetäubung stattfand. Wer das noch kennt, weiß, man erinnert sich weniger gerne daran. Vielleicht deshalb ist die Erinnerung an Seligenstadt bisweilen zwiespältig, wofür die Stadt gar nichts kann.

      Wenig später, auf dem Fluss, wird dieser Gedanke vertrieben sein, als der Fischer sich über die Absurditäten des Naturschutzes beschwert und mit anklagendem Zeigefinger auf ein Spalier von - selbstverständlich extrem naturgeschützten - Graureihern am Ufer deuten wird, die dort seelenruhig sitzen. Um ihre Rolle als wesentliche und nervtötende Beutefeinde der Mainfischer zu erfüllen. Sehr elegante Vögel, ohne Frage, aber der Hauch dieses im Krankenhaus gezeugten Gefühls, selbst eine Kaulquappe zu sein, lässt mich die Tiere plötzlich sehr skeptisch beäugen. Fressen Graureiher auch Kleinstamphibien

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