Traum aus Eis - Der Kalte Krieg 3. Dirk van den Boom
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Funksprüche der Beobachter klangen wie ein Abgesang. Es wurde gemeldet, mit fester Stimme, dann zitternd, es gab Schluchzen und Wut. Funkdisziplin auf den letzten, den aussichtslos dahintreibenden imperialen Einheiten war eine Angelegenheit der Vergangenheit. Die Reaktionen waren ein Abbild emotionaler Zustände, mühsam überdeckt durch die Reste militärischer Disziplin, vereint in der Erkenntnis, dass der Kalte Krieg in eine neue, endgültige und vernichtende Phase getreten war.
Auf der Brücke der Aume hatten sie sich alle versammelt. Alle schwiegen sie. Tani Vocis hielt die Hände ineinander verkrampft. Von ihnen allen war sie diejenige, die einem solchen Vorgang – anders, langsamer, aber vergleichbar – am nächsten gewesen war, auf vielen Welten. Sie hatte eine Ahnung davon, was dort geschah. Wenn ein Kollapsar kam, blieb allerdings tatsächlich oft noch Zeit für die Evakuierung. Eine Vereisung konnte sich über Wochen hinziehen, bei hartnäckigem Widerstand imperialer Truppen sogar über Monate. Es gab eine Chance für die Flucht. Nicht alle ergriffen sie, aus Dummheit oder Trotz, und nicht alle schafften es, aber die Chance bestand. Die Menschen da unten, von den wenigen einmal abgesehen, die man rechtzeitig hatte wegbringen können, hatten nicht einmal diese kleine Chance bekommen. Das war unfair. Krieg war unfair. Dieser hier besonders, denn es gab in ihm keine Gnade und kein Entkommen, egal für wen.
Sie spürte Hamid, wie er sich neben sie stellte, ihr seine Hand auf den Unterarm legte, eine Geste des Trostes, obgleich sie doch sicher hier oben stand, Aume jederzeit verschwinden konnte und ihr Leben nicht in unmittelbarer Gefahr war. Aber was bedeutete das noch, wenn man solch einer Katastrophe ausgesetzt war?
Der Kristallschirm breitete sich langsam aus, aber schnell genug, dass man Zeuge des absoluten Kataklysmus werden konnte. Und je weiter er die Welt, die Atmosphäre und alles Leben in Gefrierzustand versetzte, desto abgestumpfter fühlte sich Vocis, als sei dies ein Katastrophendrama eines überkandidelten Filmproduzenten, mit dem die Fantasie durchgegangen war und der seine Effekte mehr liebte als alles andere. Das Drehbuch war schlecht, dafür gewürzt mit einer unvorstellbaren Grausamkeit.
»Ich erhöhe den Sicherheitsabstand!«, brach die Stimme Aumes durch die erschrocken-andächtige Stille. »Es gibt ohnehin nicht mehr viel zu sehen, befürchte ich.«
Sie hatte recht, doch niemand wollte den Blick von dem Schauspiel abwenden, und auch als die optischen Instrumente bloß noch mit Mühe den Detailreichtum aufrechterhielten und die Übertragungen von der Planetenoberfläche allmählich erstarben, lösten sich die Augenpaare nur mit Widerwillen von den Schirmen. Nicht mehr hinzusehen, das war ein kollektives Eingeständnis von Hilflosigkeit und Scheitern, und sosehr sie sich auch voneinander unterschieden, das war nichts, was einer von ihnen sonderlich schätzte. Bedrückte Stille begrüßte die Entscheidung Aumes, Fahrt aufzunehmen, sich von den Resten der imperialen Flotte zu lösen und dem Rand des Systems zuzustreben.
»Wir müssen das Ding weiter beobachten«, sagte Darius, Prinz des Imperiums, die Stimme brüchig, die Haut erbleicht. »Wir müssen wissen, was es vorhat. Wird es hier bleiben? Was ist das nächste Ziel?«
»Es hebt zum alles entscheidenden Angriff an«, erwiderte Vocis tonlos. »Dem Imperium wird das Genick gebrochen und wir sehen aller einer kalten Zukunft entgegen. Es wird nicht hier bleiben. Es wird jetzt System um System abklappern. So wird es passieren.«
»Es muss doch etwas geben, was die Streitkräfte dagegen tun können«, murmelte Plastikk. Er sah wie betäubt drein, als wäre alle Kraft aus ihm gefahren.
»Gegen einen oder zwei Kollapsare? Ja.« Vocis zeigte auf das Gitternetz an Kollapsaren, das dieses System einfrostete. »Aber das da – das ist nach allem, was wir wissen, absolut unüberwindlich.«
Sie sagte es klar und deutlich und ohne Gejammer, Worte, die allein schon deswegen ihre Wirkung nicht verfehlten.
»Also?« Darius sah Aume auffordernd an. »Also?«
Alle Augenpaare folgten seinem Blick. Hoffnung, Aufforderung, vielleicht sogar etwas Anklage. War sie nicht einst Dienerin von Dendh gewesen? War sie nicht, irgendwie, mitverantwortlich? Vocis hielt das für absurd, aber das musste ja nichts bedeuten. Dennoch, als hätte Aume ihre Gedanken gelesen, ging sie sofort auf das Thema ein.
»Wir müssen Dendh stoppen, meinen alten Kapitän«, erklärte die Schiffsintelligenz, ohne mit ihrem Tonfall um Entschuldigung zu bitten. »Das war von Anfang an die einzige Möglichkeit. Wir müssen den Eiskern oder das Hauptquartier finden, von dem aus er agiert, wo er die Kollapsare und die Geher und alles herstellen lässt und damit diese Galaxis überflutet. Wir müssen in die Höhle des Löwen und wir müssen uns damit beeilen.«
»Wo ist das?«, wollte Vocis wissen.
»Wir haben die Daten ja, wenn das stimmt, was Horton Vigil auf dem Bruchstück gefunden hat«, gab Aume unumwunden zu. »Ich gehe davon aus, dass dies die Position von Dendhs Operationsbasis ist. Oder zumindest ein Ort, an dem wir nachsehen sollten. Und wenn nicht Dendhs Basis, dann könnte uns diese Spur immerhin näher an die wahren Koordinaten heranführen. Wir müssen uns bewegen. Wir dürfen nicht abwarten. Stehen bleiben wäre fatal, denn Dendh hat seinen Zug gemacht.«
»Also fliegen wir einfach in die Richtung?« Vocis machte eine ausholende Bewegung mit beiden Armen. »Mit diesem Schiff? Bist du mächtig genug dafür? Kann Dendh uns nicht aufhalten? Schmeißen wir Bomben auf ihn drauf?«
»Ich kann mich einem Kollapsar nähern, ohne gleich entdeckt zu werden. Ich weiß nicht, ob das auch für Dendhs Hauptquartier gilt. Natürlich: Wenn ich angreife oder gar ein Enterkommando absetze …« Aume ließ den Satz in Stille verklingen, alle wussten auch so, was sie sagen wollte.
»Es gibt jene, die vielleicht mehr wissen«, sagte Darius nach einem Moment der Stille. »Die über Insiderinformationen verfügen, die uns sehr nützlich sein können.«
»Wen?« Holoban Kerr sah den Prinzen an, immer noch mit jener verhaltenen Ehrfurcht vor kaiserlichem Geblüt, das aus ihm ebenso schwer herauszubekommen war wie bei Vocis und Hamid, die einst heilige Eide auf ihre Treue zum Kaiserhaus geschworen hatten. Nein, es war etwas anders. Kerr war naiver. Vocis und Hamid begannen, in Darius den Menschen zu sehen, der unter dem royalen Heiligenschein tatsächlich existierte.
»Erinnern wir uns noch einmal für einen Moment an die Beobachtungen, die der Agent Horton Vigil in dem auseinandergebrochenen Kollapsar gemacht hat«, sagte der Prinz langsam, so als müsse er seine Gedanken selbst noch daraufhin prüfen, ob sie tatsächlich in dieser Situation Sinn ergaben. »Eine Aufzeichnung eines Wissenschaftlerteams, das in den Anfangsjahren des Kalten Krieges verschwunden ist, als verschollen gilt, spurlos. Wie kann es sein, dass eine solche Nachricht in einem Kollapsar verewigt wurde – und kann dies nicht auch bedeuten, dass diese Menschen noch am Leben sind?«
»Das ist viele Jahre her. Sie müssen Greise sein, falls sie überhaupt