Das Paradies der Damen. Emile Zola
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»Warum dann also?« fragte Mouret.
»Mein Gott, irgendwann muß es doch sein«, sagte Vallagnosc in müdem Ton. »Außerdem bestehen einige Hoffnungen, wir rechnen mit dem baldigen Tod einer alten Tante.«
Mouret hatte mittlerweile Herrn von Boves nicht aus den Augen gelassen, der sich sehr angelegentlich mit Frau Guibal zu beschäftigen schien. Jetzt wandte sich der junge Mann seinem Freund zu und blinzelte bedeutungsvoll zu den beiden hinüber, so daß Vallagnosc sich veranlaßt fühlte zu sagen:
»Nein, die nicht ... wenigstens jetzt noch nicht ... Das Schlimme ist, daß er fortwährend dienstlich im ganzen Land herumreist und folglich stets Vorwände hat zu verschwinden. Vorigen Monat, während seine Frau ihn in Perpignan glaubte, saß er mit einer Klavierlehrerin in einem kleinen Vorstadthotel.«
Sie schwiegen eine Weile; dann setzte Paul, der die Liebenswürdigkeiten des Grafen nun gleichfalls beobachtet hatte, hinzu:
»Du kannst recht haben, um so mehr als man sich erzählt, daß die liebe Dame gar nicht so unzugänglich ist. Man spricht von einem sehr drolligen Abenteuer, das sie mit einem Offizier gehabt haben soll ... Aber schau ihn nur an! Ist es nicht komisch, wie er sie aus den Augenwinkeln heraus zu bezaubern sucht! Das ist Altfrankreich, mein Lieber! Ich verehre diesen Mann, und wenn ich seine Tochter heirate, geschieht es vielleicht nur seinethalben!«
Mouret lachte, und als er hörte, daß der erste Gedanke einer Heirat zwischen Vallagnosc und Blanche von Frau Desforges stamme, fand er die Geschichte noch besser. Die gute Henriette schwelgte so sehr in dem Vergnügen, andere Leute zusammenzubringen, daß sie, wenn die Töchter versorgt waren, die Väter unter den Damen ihrer Bekanntschaft sich eine Freundin suchen ließ – alles natürlich im festen Rahmen des Anstandes, ohne daß die Welt jemals Stoff zu einem Skandal bekommen hätte.
Jetzt erschien sie in der Tür des kleinen Salons, gefolgt von einem ungefähr sechzigjährigen Herrn, dessen Eintritt die beiden Freunde nicht bemerkt hatten.
»Hier, lieber Baron«, sagte Frau Desforges. »Ich stelle Ihnen Herrn Octave Mouret vor, der das lebhafte Verlangen hat, Ihnen seine Hochachtung zu bezeigen.«
Dann wandte sie sich zu Octave und fügte hinzu:
»Herr Baron Hartmann.«
Auf den Lippen des alten Herrn erschien ein feines Lächeln. Er war ein kleiner, lebhafter Mann mit einem dicken Elsässerkopf, dessen breites Gesicht beim geringsten Zucken der Mundwinkel, beim leichtesten Blinzeln der Augen seine Klugheit verriet. Zwei Wochen schon widerstand er den Wünschen Henriettes, die diese Zusammenkunft von ihm erbat. Nicht als ob er allzu eifersüchtig gewesen wäre – er hatte sich in die Rolle des Beschützers längst hineingefunden; aber dies war schon der dritte Freund, mit dem Henriette ihn bekannt machte, und er fürchtete, auf die Dauer lächerlich zu werden. Darum war, als er auf Octave zutrat, jenes feine Lächeln auf seinen Lippen erschienen, das besagen wollte, daß er, der reiche Gönner, sich wohl liebenswürdig zeigen, aber keineswegs überrumpeln lassen wolle.
»Oh, Herr Baron«, sagte Mouret mit seiner provenzalischen Begeisterungsfähigkeit, »das letzte Unternehmen der Immobilienbank war ja wirklich erstaunlich! Sie glauben nicht, wie glücklich und stolz ich bin, Ihnen die Hand drücken zu dürfen.«
»Zu liebenswürdig, Herr Mouret, zu liebenswürdig«, wiederholte der Baron lächelnd.
Henriette betrachtete die beiden und schien entzückt, als sie sie in so gutem Einvernehmen sah.
»Meine Herren«, sagte sie schließlich, »ich darf Sie jetzt Ihrem Gespräch überlassen?«
Dann wandte sie sich zu Paul, der sich erhoben hatte, und fragte:
»Eine Tasse Tee gefällig, Herr von Vallagnosc?«
»Mit Vergnügen, gnädige Frau.«
Und die beiden kehrten in den Salon zurück.
Mouret setzte sich wieder auf das Sofa, wo Baron Hartmann schon Platz genommen hatte. Der junge Mann erging sich in neuen Lobsprüchen über die Unternehmungen der Immobilienbank. Dann kam er auf das zu sprechen, was er auf dem Herzen hatte. Er sprach von der neuen Straße, von der Verlängerung der Rue Réaumur, von der ein Teil unter dem Namen Rue du Dix-Décembre zwischen der Börse und dem Opernplatz demnächst in Angriff genommen werden sollte. Er, Mouret, wartete schon seit drei Jahren auf diese Arbeiten, zunächst weil er einen Aufschwung des Geschäftsbetriebs voraussah, vor allem aber, weil er sein Haus noch vergrößern wollte, und dies in einem Maße, wie er es kaum zu gestehen wagte. Da die Rue du Dix-Décembre die Rue de Choiseul und die Rue de la Michodière schneiden sollte, sah er im Geiste das »Paradies der Damen« schon den ganzen Block einnehmen, der von diesen Straßen und von der Rue Neuve-Saint-Augustin begrenzt war; er stellte es sich bereits mit einer palastartigen Front nach der neuen Straße vor, das ganze neu erstehende Stadtviertel beherrschend. Der lebhafte Wunsch, Baron Hartmann kennenzulernen, aber war in ihm aufgestiegen, als er erfahren hatte, die Immobilienbank habe in einem Vertrag mit der Bauverwaltung die Abbrucharbeiten und den Aufbau der Rue du Dix-Décembre übernommen unter der Bedingung, daß man ihr die angrenzenden Grundstücke überlasse.
»Ist es wahr«, wiederholte er und gab sich den Anschein kindlichen Erstaunens, »ist es wahr, daß Sie ihnen die Straße fix und fertig mit sämtlichen Abflußkanälen, Bürgersteigen und Laternen übergeben wollen und daß die Randgrundstücke genügen, um Sie zu entschädigen? Das ist seltsam, sehr seltsam!«
Endlich kam er zu dem heiklen Punkt. Er hatte erfahren, daß die Immobilienbank im geheimen die Häuser um das »Paradies der Damen« aufkaufte, nicht nur die, welche der Spitzhacke zum Opfer fallen sollten, sondern auch die übrigen, die stehenbleiben würden. Er witterte hinter diesem Vorgehen irgendein künftiges Projekt und geriet in Sorge um seine eigenen Vergrößerungspläne; er fürchtete, eines Tages auf eine mächtige Gesellschaft zu stoßen, die die Grundstücke sicherlich nicht mehr aus der Hand geben würde. Diese Sorge war es vor allem, die ihn bewogen hatte, so rasch wie möglich eine Verbindung zu Baron Hartmann zu suchen, und zwar die liebenswürdige Verbindung über eine Frau, die galante Männer so fest aneinanderschließt. Er hätte den Baron in seinem Büro aufsuchen können, um das große Geschäft, das er ihm vorschlagen wollte, mit ihm zu besprechen. Aber bei Henriette fühlte er sich stärker, er wußte zu gut, wie sehr der gemeinsame Besitz einer Geliebten zwei Männer einander nahebringt und füreinander einnimmt. »Haben Sie nicht das einstige Haus Duvillard,