Das Paradies der Damen. Emile Zola
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»Sehen Sie nur, wie das ›Paradies der Damen‹ sich Ihnen gegenüber benommen hat! Da gibt es keine Rücksicht auf geleistete Dienste. Seit langem war Ihnen die Stelle des Ersten in Ihrer Abteilung zugesagt; da kam dieser Bouthemont an, niemand weiß, woher, und nahm Ihnen den Posten vor der Nase weg.«
Die Wunde, die man Robineau durch diese Ungerechtigkeit geschlagen hatte, war noch frisch. Allein er zögerte, sich selbständig zu machen. Das Geld gehöre nicht ihm, erklärte er; seine Frau habe sechzigtausend Franken geerbt, und er wollte sich lieber beide Hände abhacken lassen, als dieses Geld in zweifelhafte Geschäfte zu stecken.
»Nein, ich kann mich nicht entschließen«, sagte er endlich. »Lassen Sie mir Bedenkzeit; wir werden noch darüber reden.«
»Wie Sie wollen«, erwiderte Vinçard und suchte seinen Verdruß zu verbergen. »Es liegt ja nicht in meinem Interesse, das Geschäft zu verkaufen. Hätte ich nicht solche Schmerzen ...«
Dann wandte er sich an Baudu und fragte:
»Womit kann ich Ihnen dienen?«
Der Tuchhändler, der mit einem Ohr gelauscht hatte, stellte Denise vor; sie habe zwei Jahre in der Provinz gearbeitet, und da Vinçard eben eine Verkäuferin suche ...
Vinçard tat ganz verzweifelt.
»Ach, jetzt ist's zu spät! Acht Tage lang habe ich mich umgesehen, und vor zwei Stunden habe ich eine eingestellt!«
Alles schwieg. Denise schien so bestürzt, daß Robineau sie teilnahmsvoll betrachtete und sich eine Bemerkung erlaubte.
»Ich weiß, daß bei uns in der Konfektionsabteilung jemand gesucht wird.«
Baudu konnte einen Ausruf nicht unterdrücken.
»Bei Ihnen? Nein, danke bestens!«
Dann stand er ganz verlegen da. Denise war tief errötet. Sie würde es niemals wagen, dachte sie, in dieses große Warenhaus einzutreten, aber der Gedanke erfüllte sie doch mit Stolz.
»Warum denn nicht?« fragte Robineau überrascht. »Das wäre doch für das junge Fräulein recht günstig? Ich rate ihr, sich morgen bei der Direktrice, Frau Aurélie, vorzustellen. Es kann ihr ja nichts Schlimmeres passieren, als daß sie nicht angenommen wird.«
Um seinen Ärger zu vertuschen, verlor sich der Tuchhändler in allerlei verworrenes Gerede. Er kenne Frau Aurélie, meinte er, oder vielmehr ihren Mann, den Kassierer Lhomme, dem doch ein Omnibus den rechten Arm abgefahren habe. Dann kam er ganz unvermittelt wieder auf Denise zu sprechen.
»Es ist übrigens ihre Sache«, sagte er; »sie kann tun, was sie will.«
Mit einem Gruß verließ er den Laden. Vinçard begleitete ihn bis zur Tür und drückte ihm nochmals sein Bedauern aus. Denise war schüchtern mitten im Laden stehengeblieben und wartete begierig auf nähere Auskünfte von Robineau. Allein sie wagte kein Wort hervorzubringen, grüßte endlich und sagte:
»Vielen Dank, mein Herr.«
Auf der Straße eilte Baudu, wie von seinen Gedanken getrieben, rasch fort und zwang seine Nichte, fast zu laufen. In der Rue de la Michodière wollte er eben in seinen Laden treten, als ein benachbarter Kaufmann, der auf der Schwelle seines Geschäftes stand, ihn durch einen Wink herbeirief. Denise blieb stehen, um auf ihn zu warten.
»Was gibt's, Vater Bourras?« fragte der Tuchhändler.
Bourras war ein hochgewachsener Greis mit einem Prophetenkopf, langem Haar und Bart und durchdringenden Augen unter den dichten, buschigen Brauen. Er betrieb einen Handel in Spazierstöcken und Regenschirmen, übernahm auch Ausbesserungen und drechselte sogar Regenschirmgriffe, was ihm im Stadtviertel den Ruf eines Künstlers eingetragen hatte. Denise betrachtete erstaunt sein Haus. Es war ein altes Gebäude, eingekeilt zwischen dem »Paradies der Damen« und einem großen Haus im Stil Ludwigs XIV. Man konnte sich gar nicht erklären, wie es in diesen schmalen Spalt hineingeraten war, in dem seine beiden niedrigen Stockwerke schier erdrückt wurden.
»Denken Sie sich: er hat dem Besitzer meines Hauses geschrieben und ihm angeboten, es zu kaufen!« sagte Bourras empört zu dem Tuchhändler.
Baudu erbleichte noch mehr und zuckte zusammen. Da ließ Bourras seinem Zorn freien Lauf.
»Solange ich lebe, soll er keinen Stein davon besitzen! Mein Vertrag läuft noch zwölf Jahre ... Wir werden schon sehen!«
Das war eine offene Kriegserklärung. Keiner von beiden hatte das »Paradies der Damen« beim Namen genannt. Baudu schüttelte den Kopf, dann ging er mit hängenden Schultern nach Hause und murmelte still vor sich hin:
»Mein Gott! Mein Gott!...«
Denise, die dieses Gespräch mit angehört hatte, folgte ihrem Onkel. Auch Frau Baudu kehrte eben mit Pépé heim. Sie erzählte, Frau Gras sei jederzeit bereit, den Kleinen zu übernehmen.
»Nun, wie war's bei Vinçard?« fragte sie.
Der Tuchhändler berichtete von seinem erfolglosen Weg, dann fügte er hinzu, jemand anderer habe seiner Nichte eine Stelle angeboten. Den Arm nach dem »Paradies der Damen« ausgestreckt, sagte er verächtlich:
»Die da drüben!«
Die ganze Familie fühlte sich dadurch verletzt. Beim Abendessen endlich brach der seit dem Morgen zurückgedrängte Strom der Empörung unaufhaltsam los.
»Es ist natürlich deine Sache, du bist ja frei in deiner Entscheidung«, wiederholte zunächst Baudu. »Wir wollen dich nicht beeinflussen ... Aber wenn du wüßtest, was das für ein Haus ist!« In abgebrochenen Sätzen erzählte er die Geschichte dieses Octave Mouret. Ein Glückspilz sondergleichen! Da kam dieser Bursche aus dem Süden nach Paris mit der liebenswürdigen Keckheit eines Abenteurers, und schon am nächsten Tag hatte er Weibergeschichten. Schließlich war er auf frischer Tat ertappt worden. Es hatte einen Skandal gegeben, von dem noch heute im ganzen Stadtviertel gesprochen wurde. Und dann hatte er plötzlich und auf unerklärliche Weise Frau Hedouin erobert, die ihm das »Paradies der Damen« in die Ehe einbrachte.
»Die arme Caroline!« unterbrach ihn Frau Baudu. »Sie war eine entfernte Verwandte von mir. Wenn sie noch am Leben wäre, hätten sich die Dinge anders entwickelt. Sie würde nie zugeben, daß wir zugrunde gerichtet werden... Er hat auch sie umgebracht! Ja, mit seiner Bauerei! Als sie eines Morgens die Arbeiten besichtigte, stürzte sie in ein Loch, und drei Tage später war sie tot. Sie, die niemals krank gewesen