Die Märkte Alt-Wiens. Helga Maria Wolf

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Die Märkte Alt-Wiens - Helga Maria Wolf

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Heanzen (Heinzen, Hienzen, Hinzen) nannte man die – im 11. und 12. Jahrhundert eingewanderten – deutschsprachigen Bewohner des südlichen und mittleren Burgenlandes und der Randgebiete des ungarischen Komitates Ödenburg (Sopron). »Heanzenland ist Bauernland« lautete eine bekannte Gleichung.11

      Die Marktfahrt erfolgte häufig zu Fuß. Körbe, Krüge, Butten, Simperln, Amper, Krächsen, Säcke, Fässer, Kisten und Rucksäcke dienten beim Transport als Behälter. Frauen trugen die Ware oft auf dem Kopf.12 »Wenn es in den Straßen leer und still geworden ist – das Wiener Nachtleben ist gering – dann beginnen Karawanen geheimnisvoll zwischen den Häuserreihen zu ziehen. An jedem der vollbeladenen Wagen hängt eine Laterne. Nebenbei huschen, ohne zu sprechen, im Dauerlaufe, Frauen, hochbeladen, Butten auf dem Rücken, die überdies durch Körbe gekrönt werden, nach den einzelnen Plätzen. Sie sind, nachdem die Eisenbahnen sie abgesetzt, bei den Linien hereingekommen oder haben meilenweit über das flache Land den Weg bis Wien zu Fuß gemacht.«13 Den Herausgebern des 1895 erschienenen Werkes »Wienerstadt. Lebensbilder der Gegenwart« schienen diese Bauern und Bäuerinnen so typisch, dass sie diese gleich in der Einleitung beschrieben.

      In Bockfließ (Weinviertel, Niederösterreich) begann der Fußweg um 16 Uhr des Vortages, in Floridsdorf (Wien 21) wurde genächtigt, um bereits um 2 Uhr früh auf dem Markt zu sein. Um 13 Uhr trat man den Heimweg an. Zum Vergleich: Mit dem Auto braucht man für die 30 Kilometer lange Strecke eine halbe Stunde. Die Stammersdorfer (Wien 21) brachten bis in die 1920er Jahre zu Fuß »Wiener Kram« in Butten auf den Markt Am Hof. Das waren Eier, Fisolen, Erbsen, Erdäpfel und Paradeiser. Die Butten dienten neben dem Transport zum Auslegen der Früchte, wobei man sich lange Zeit mit auf den Boden gebreiteten Tüchern begnügte. Gemüse verkaufte man stückweise oder bundweise, oder man schätzte das Gewicht. Der Gewichtsverkauf – meist mit von der Stadt geliehenen Waagen – setzte sich erst seit den 1870er Jahren durch.

      »Wer den Mund nicht aufbringt, hat auf dem Markt keine Chance«, wussten die Weinviertler Bauern. Für manche soll die Redegewandtheit ein entscheidendes Kriterium bei der Brautwahl gewesen sein, denn der Verkauf erfolgte meist durch Frauen. Das galt besonders für den Eier- und Geflügelhandel, den Bäuerinnen und Inleute aus Jedlesee und Kagran (Wien 21), Breitenlee und Süßenbrunn (Wien 22) betrieben. Im Marchfeld entwickelte sich die Geflügelhaltung im 19. Jahrhundert durch vermehrten Maisanbau.14

      Der Begriff »Körberlgeld« geht einer Ansicht zufolge auf den Gewinn zurück, den die Frauen beim Eier- und Hühnerverkauf erwirtschafteten und der ihnen zustand. Nach einer anderen Meinung handelt es sich um den Betrag, den sich Dienstmädchen durch günstige Einkäufe erwirtschafteten, aber nicht bei der Dienstgeberin ablieferten. Jedenfalls hat das Körberlgeld mit dem Markt zu tun.15

      Lebensmittel waren nicht die einzige Ware, die Bauern auf die Wiener Märkte brachten. Gutensteiner Waldbauern verkauften Schindeln und Holzwaren, Kohlenbauern aus der Schneeberggegend kamen bis ins 19. Jahrhundert mit Holzkohle. Wer einen Ochsenoder Pferdewagen besaß, organisierte sich eine »Gegenfuhr«. So hatten die Bauern aus dem Weinviertler Ort Auersthal Ende des 19. Jahrhunderts einen Mistkontrakt mit der Stadt Wien. Der zur Stadtplage gewordene Pferdemist war auf dem Land als Dünger willkommen.16

      Fratschlerinnen, »Polletenweiber«, Höckerleute

      Ein Thema zieht sich durch sieben Jahrhunderte Marktleben: Die Ablehnung des verteuernden Zwischenhandels, und das nicht nur in Wien sondern beispielsweise auch in Nürnberg.17 Johann Joachim Becher (1635–1682), der im 17. Jahrhundert Wirtschaftsberater des Kaisers Leopold I. war, unterschied zwischen Vorkauf (zeitlich und örtlich vom Marktverkauf verschieden) und Fürkauf (spekulativer Aufkauf eines Warenvorrats). Doch schon 1340 war in einer Verordnung von Herzog Albrecht II. (1298–1358) im Zusammenhang mit dem Fischhandel vom Vorkauf die Rede.18 1504 setzte Wien einen Marktrichter ein, »der den fürkauf weere«. Menschen aus den unteren sozialen Schichten versuchten ebenso vom Zwischenhandel zu profitieren wie bürgerliche Gewerbetreibende, die Dienerschaft des Kaiserhofes, Soldaten und ihre Frauen. Das Thema blieb bis ins 19. Jahrhundert aktuell.

      Die Autoren des 1844 von Adalbert Stifter herausgegebenen Sammelbandes »Wien und die Wiener« schildern beredt das Vorgehen der Greißler, die in Gruppen auftraten und Landmädchen und Bauernburschen einschüchterten, um billig an die Ware zu kommen: »Auf diese Weise fährt das Triumvirat fort, die Waare zu schimpfen, und die Bauerndirne zu beängstigen, bis sie sich nach und nach bewogen fühlt, den schlauen Händlern ihr Obst zu einem Spottpreis zu überlassen, fürchtend, dass sie späterhin gezwungen sein würde, es noch wohlfeiler zu verkaufen, oder dasselbe unverkauft wieder nach Hause tragen zu müssen.«19

      Weder mit Strafen noch mit Bürokratie ließ sich der Zwischenhandel verhindern. 1569 war von Bescheinigungen (»schriftliche Kundtschafften«) die Rede, mit denen Obrigkeiten auf dem Lande bestätigen sollten, was wann und von wem erworben und in der Folge auf dem Markt verkauft wurde. Ablöser in und vor der Stadt sollten »abgeschafft unnd nimmer gestatt werden.« In diese diskriminierte Gruppe fielen »die Manns- vnd Weibspersonen, so nit aygen oder Bestandgärten haben, sondern das Grien, Kraut, Salat, Rättich, Kren, auch Obst und dergleichen, von andern die es selbs erbawen und allher bringen, fürkauffen, und wieder hingeben.«

      Die Marktordnung von 1571 sprach von verbotener »fürkhauffung oder Fretschlerei«.

      1744 wurde den Geflügelhändlern verboten, übrig gebliebene Ware »an Frätschler und derley hausirende Leut weiter abzugeben«. Der Archivar Alexander Gigl folgerte daraus: »Die ›Frätschler‹ wären Leute, die sich vagierend auf den Märkten einfinden und die Waaren im Verkaufe zu erhaschen suchen, um sie dann meist hausirend im Kleinverkaufe mit gewissen Zinsen absetzen zu können.«20 Lexers mittelhochdeutsches Taschenwörterbuch vermerkte unter dem Stichwort »vreten, vraten« so viel wie »herumziehen, quälen, plagen«.21 Das Wörterbuch der Brüder Grimm nannte Fratschlerin »eine Handelsfrau, Trödelfrau, Höckerin, die mit geläufiger Zunge zum Kauf antreibt«.22 Hier ist jedoch die weibliche Gruppe der Ablöserleute gemeint, die »stets und entschieden als die unbefugtesten angesehen wurde«.

      In der Barockzeit waren die Fratschlerinnen das erklärte Feindbild der Behörden und der (bürgerlichen männlichen) Konkurrenten. Was in vielen Schilderungen auffällt, ist die abwertende Einstellung gegenüber Frauen, für die der bescheidene Handel eine Existenzfrage war. Glaubt man zeitgenössischen Klagen, so waren sie mit einer Mischung aus Bauernschläue und krimineller Intelligenz begabt. Die Ablöserinnen, hieß es in einem Bericht der niederösterreichischen Regierung, würden den Bauern bis vor die Linien entgegengehen, ihnen die Waren en gros abnehmen und dann als Verkäuferinnen aus erster Hand auf dem Markt erscheinen. Die Marktwache, so Alexander Gigl, bemerkte die Täuschung oft nicht oder »sie war wohl oft zu ohnmächtig gegenüber dem leidenschaftlichen Auftreten der Ablöserinen, deren eigenthümlichen Waffen von den öffentlichen Organen nicht erwiedert werden konnten […], daß die Wache selbst oft gezwungen ist, diese Weiber, welche durch ihr Heulen das Volk zum Mitleide bewegen, loszulassen, um keinen Auflauf zu erregen.«

      Ab 1772 waren die Fratschlerinnen von den Behörden zumindest geduldet. Von 1775 bis 1792 gab es Polleten (Bolleten) – nummerierte Berechtigungen zum Verkauf aller Gattungen von Esswaren in und vor der Stadt. 1776 besaßen 1049 von 1386 Fratschlerinnen eine solche Erlaubnis. Die Marktbefugnisgebühr betrug 3 Gulden und keine weiteren Steuern. Damit verbunden waren Warnungen, wie davor, »den ursprünglichen Händlern und Eigenthümern bey oder vor oder inner den Linien abzupassen, denenselben entgegen zu gehen, ihnen die Waare abzulösen oder denenselben vorzukaufen, oder auch auf dem Markte durch unnöthiges Zudringen oder muthwillige selbsteigene Steigerung anderen schon im Kaufe begriffenen Personen die Waaren auszukaufen oder zu vertheuern«. Hielt man sich nicht daran, drohten Verhaftung, der Verlust von Ware und Erlaubnis sowie Marktverbot.

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