Kafir. Amed Sherwan

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Kafir - Amed Sherwan страница 14

Автор:
Серия:
Издательство:
Kafir - Amed Sherwan

Скачать книгу

      »Nein. Es ist ziemlich strittig. Aber meine Mutter hatte von einem Imam gehört, der große Erfolge mit Geisteraustreibung hatte. Sie war verzweifelt und dachte, dass es mir helfen würde«, erkläre ich. »Meine Mutter ist sehr gläubig. In ihrer Welt gibt es für psychische Probleme keine anderen Erklärungen als die, von einem Djinn oder im schlimmsten Fall vom Satan besessen zu sein.«

      »Sie scheinen ja sehr abgeklärt.«

      »Inzwischen schon. Meine Eltern tun mir leid. Ihr Respekt vor religiösen Autoritäten ist so groß, dass sie zu grausamsten Handlungen fähig sind, wenn sie glauben, damit das Richtige zu tun.«

      »Fast alle Eltern sind bereit, ihren Kindern Schmerzen zuzufügen, wenn sie glauben, dass es notwendig ist. Nur bei uns orientieren sich die meisten glücklicherweise an wissenschaftlich begründeten Empfehlungen. Und auch das bewahrt sie nicht vor Fehlentscheidungen.«

      »Meine Mutter hat mir damit sicher helfen wollen. Sie hat den Djinn damit aber eher stärker gemacht.«

      »Wir müssen sehen, ob wir Ihnen mit Medikamenten helfen können«, sagt die Psychiaterin.

      »Ja, mal sehen, wie der Djinn darauf reagiert. Er hat schon viele Tabletten gefuttert.«

       DIE FRATZE

      Meine Mutter sprach nie wieder über den Tag. Sie tat so, als sei nichts geschehen, und das ängstigte mich. Meine Mutter war keine Beschützerin mehr. Ich fürchtete mich nun mehr vor ihrem Lächeln als vor der Wut meines Vaters. Und ich vertraute keinem von beiden.

      Wenn es tatsächlich ein Djinn war, der in meinem Körper steckte, hatte der Imam ihn nicht erwischt. Der Djinn hatte sich vor Angst tief in mich rein verkrochen, steckte tagsüber in meinen Knochen und bewohnte des Nachts meinen Kopf und quälte mich mit Albträumen.

      Nach den Schulferien wurden meine schulischen Leistungen nicht besser. Im Gegenteil. Wo ich früher nur unkonzentriert gewesen war, war ich jetzt auch noch nervös. Ich hatte oft das Gefühl, keine Luft zu bekommen und musste dann immerzu lautstark schlucken.

      »Hör auf damit«, beschwerte sich mein Nebenmann. Und ich versuchte dann, das Schlucken zu unterdrücken, aber es kam umso heftiger.

      Manchmal suchten mich die Bilder aus den Albträumen auch tagsüber auf, wenn ich etwas roch, was mich an die Moschee in Kerkûk erinnerte, oder meine Mutter mich auf eine bestimmte Art anguckte. Ich konnte mir kaum noch etwas merken und hatte ständig Kopfschmerzen. Kein Thema konnte mich noch begeistern und am Lesen hatte ich keinen Spaß mehr.

      Die Tage, an denen ich mich zu unwohl für die Schule fühlte, wurden immer mehr. Ich fiel noch mehr aus der Reihe als sonst, und ein Nachbar sprach meine Eltern darauf an, dass es für so was Psychiater gäbe.

      Meine Eltern packten mich wieder in ein Auto, und diesmal ging es wirklich zu einem Arzt. Er verschrieb mir Tabletten, die mich müde und schläfrig machten. Wenn ich nicht in der Schule war, schlief ich. Und obwohl ich wenig aß, wurde ich plötzlich dick. Ich war mein Leben lang beweglich, klein und dünn gewesen. Wenn ich nun in den Spiegel sah, starrte mich ein fremdes Gesicht an, eine aufgedunsene, steife und ernste Fratze.

      Ich ging weiter in die Moschee und betete wie bisher. Ich glaubte fest an Gott, aber ich verlor den Glauben daran, dass sich hier auf Erden etwas für mich ändern könnte. Ich war ein Versager und die Welt machte mir Angst.

      Nach einem Jahr in psychiatrischer Behandlung riet der Arzt meinen Eltern, mit mir in ein Beratungszentrum für Folteropfer zu gehen. Meine Eltern vergewisserten sich erst, ob es ein seriöser und gottesfürchtiger Ort sei, und ließen mich dann tatsächlich meine freie Zeit dort verbringen.

      Es war wie eine Oase. Die jungen und freundlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter näherten sich mir behutsam in Gesprächen. Ich konnte den Spieleraum nutzen, nahm an Kunstkursen teil, lernte Entspannungsübungen und fing ganz langsam wieder an, mich für die Welt zu öffnen.

       DIE INTEGRATION

      »Kannst du mir erklären, was in diesem Brief steht«, fragt der Pädagoge mich im Videochat.

      Ich übersetze ihm das Schreiben.

      »Unglaublich, dass ich dir jetzt helfen kann«, sage ich. »Du hast mir damals das Leben gerettet.«

      Er ist immer noch genauso freundlich wie damals im Beratungszentrum. Ein belesener, weltoffener Mensch mit viel Humor und Wärme. Er ist seit wenigen Wochen in Deutschland und wohnt mit seiner Frau in einer Flüchtlingsunterkunft. Er ist engagiert und hilft, so viel er kann.

      Er hat schon damals im Irak eine Fluchtgeschichte gehabt, als politisch Verfolgter aus dem Iran. Erzählt hat er mir das aber erst jetzt, viele Jahre später. Auch dass er nicht sonderlich gläubig ist, erfahre ich erst jetzt.

      »Sonst hätte ich sicher nicht als Pädagoge arbeiten dürfen«, erklärt er mir. »Ich habe das für mich behalten. Mir war wichtiger, dass ich helfen kann. Ich erzähle es auch hier im Camp nicht, sonst werde ich fachlich nicht ernst genommen. Und es spielt für mich keine Rolle. Die Menschen sollen sich bei mir geborgen fühlen.«

      Wir verabschieden uns herzlich. »Tschüss, bis zum nächsten Mal«, bringe ich ihm bei. »Grüß deine Frau von mir.«

      Ich lege auf und setze mich zu meiner Freundin auf den Balkon. »Das war mein alter Pädagoge aus dem Beratungszentrum. Es ist komisch für mich, dass ich ihm jetzt helfen kann. Er wird mich sicher schnell überholen, aber im Moment bin ich plötzlich besser integriert als er.«

      »Ja, mangelnde Integration kann man dir nicht vorwerfen«, nickt meine Freundin und zeigt auf das Bier vor mir.

      »Mit der Flucht verlierst du deinen Status, deine Identität und Individualität. Egal, ob du früher Bürgermeister, Politikerin oder Tagelöhner warst, egal ob du Ex-Muslim oder Islamist bist, in Deutschland bist du erst mal nur Flüchtling. Und dann lässt sich alles, was du tust, offensichtlich anhand einer Integrationsskala bewerten. Wie ich das Wort Integration hasse.« Ich nehme einen Schluck aus der Flasche. »Du bist nicht einfach erfolgreich oder sympathisch, sondern gut integriert. Sprachtalent, Fleiß, Erfolg und Nettigkeit werden als kulturelle Integration betrachtet. So als wenn man alles Gute nur in Deutschland gelernt hat. Schwierigkeiten haben auf keinen Fall etwas mit der Flucht zu tun, sondern gelten als von ›Zuhause‹ mitgebracht.«

      »Ja, Geflüchtete haben keine sozialen Probleme, sondern Integrationsprobleme«, sagt sie.

      »Als ob der Spieler, der kleine Gangster und ihre Kumpels so leben wie im Mittleren Osten! Es ist weder in Syrien, Afghanistan noch Irak geachtet, Drogenverkäufer, Taschendieb, Glücksspieler oder Stricher zu sein. Wenn ihre Eltern davon wüssten, wären sie entsetzt. Aber wenn du so jung allein in ein fremdes Land geschickt wirst, weil du deine Familie retten sollst und die geplante Familienzusammenführung nie klappt, dann ist deine Ausgangslage hoffnungslos. Wenn du die Sprache nicht gut genug lernst für Erfolg in der Schule, du aber auch keine Berufsausbildung mitbringst, dann integrierst du dich eben nicht in die Mittelschicht, sondern in ganz andere Zusammenhänge.«

      »Wie geht es dem Spieler eigentlich?«

      »Der ist jetzt tatsächlich zurück zu seinen Eltern ins Zeltlager gegangen«, sage ich.

      »Und

Скачать книгу