Lockdown 2020. Rolf Gössner

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Lockdown 2020 - Rolf Gössner

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die gesamte Diskussion bleibt auf der Ebene der Darstellung – oder befasst sich bestenfalls mit der Eindämmungspolitik und den wirtschaftlichen Folgen der Epidemie – ohne jegliche Auseinandersetzung mit den Fragen, wie solche Krankheiten überhaupt produziert, und noch seltener, wie sie verbreitet werden. Doch nicht einmal dies wäre genug. Überflüssig ist der »Eins-Zwei-Drei«-Marxismus, der dem Schurken die Maske abreißt, um festzustellen: Ja, es war wirklich der Kapitalismus, der das Coronavirus hervorgebracht hat. Das wäre auch nicht scharfsinniger als die Auslandskommentatoren, die einem Regimewechsel auf der Spur sind. Selbstverständlich ist der Kapitalismus schuld, aber wie genau findet die Verzahnung der sozioökonomischen Sphäre mit der biologischen statt, und welche Lehren sind aus der Gesamterfahrung zu ziehen?

      In diesem Sinne eröffnet uns der Ausbruch der Epidemie zwei günstige Möglichkeiten zur Reflexion: Zunächst bietet sich ein lehrreicher Durchblick, in dem wir substanzielle Fragen hinsichtlich der kapitalistischen Produktion in ihrem Verhältnis zur nicht-menschlichen Welt auf einer grundlegenderen Ebene neu bewerten können, weil nämlich, kurz gesagt, die »natürliche Welt« unter Einschluss ihrer mikrobiologischen Unterlage ohne Bezug zur gesellschaftlichen Organisation der Produktion unverständlich bleibt (da die beiden eben nicht getrennt voneinander existieren). Zugleich werden wir daran erinnert, dass der einzige Kommunismus, der den Namen wert ist, das Potenzial für einen voll politisierten Naturalismus inkludiert. Zum Zweiten können wir diesen Augenblick der Isolation für unsere eigenen Überlegungen zum gegenwärtigen Zustand der chinesischen Gesellschaft nutzen. Manche Dinge werden erst deutlich, wenn alles zu einem unvorhergesehenen Stillstand kommt und eine Verlangsamung dieser Art kann nicht anders, als vorher verborgene Spannungen sichtbar zu machen. Weiter unten werden wir diesen beiden Fragen nachgehen und nicht nur zeigen, wie die kapitalistische Akkumulation solche Plagen hervorruft, sondern auch, wie der Augenblick der Pandemie selbst ein widersprüchlicher Umstand der politischen Krise ist, die den Menschen die vorher ungesehenen Potenziale und Abhängigkeiten in der sie umgebenden Welt erkennbar macht, während sie zugleich einen weiteren Vorwand für die Ausdehnung der Kontrollsysteme in die Alltagsabläufe bietet.

      Seuchenproduktion

      Wie sein Vorläufer Sars-CoV, aber auch wie bei der Vogelgrippe und der Schweinegrippe davor, ist das Virus, welches die gegenwärtige Epidemie bestimmt (Sars-CoV-2), an einem Verknüpfungspunkt zwischen Ökonomie und Epidemiologie verortet. Es ist kein Zufall, dass so viele dieser Viren Tiernamen in ihren Bezeichnungen führen: Die Ausbreitung neuer Krankheiten auf die Humanbevölkerung ist fast immer das Ergebnis sogenannter »zoonotischer Übertragung«, eine fachsprachliche Ausdrucksweise für das »Springen« solcher Infektionen von Tieren auf Menschen. Das Über-Springen von einer Spezies auf die nächste ereignet sich unter bestimmten Bedingungen wie etwa Nähe und regelmäßiger Kontakt. Diese Faktoren bilden die Umgebung, in der die Krankheit entsteht. Ändert sich diese Schnittstelle zwischen humaner und animalischer Welt, so ändern sich auch die Bedingungen, unter denen die Krankheit sich fortentwickelt. Nun erhitzt sich ein viel grundlegender Ofen unter den vier Hochöfen (am Yang-Tse), der die industriellen Zentren der Welt unterfüttert: der evolutionäre Dampfkochtopf der kapitalistischen Agrikultur und Urbanisierung. Er stellt das ideale Medium dar, in dem immer verheerendere Seuchen erzeugt, verändert und zu zoonotischen Sprüngen veranlasst werden, die sich dann auf aggressive Weise unter den Menschen verbreiten. Hinzu kommen ähnlich tief greifende Prozesse in den Randzonen der Ökonomie, wo »Wildgebiete« mit Menschen in Berührung kommen, die gezwungenermaßen immer umfangreichere agroökonomische Eingriffe in lokale Ökosysteme vornehmen. Mit seinen »wilden« Ursprüngen und seiner blitzschnellen Verbreitung inmitten eines hoch industrialisierten, verstädterten Kernbereichs der Weltwirtschaft verdeutlicht das jüngste Coronavirus beide Dimensionen unserer neuen Ära politisch-ökonomischer Seuchen.

      Solche Verbreitung folgt selbstverständlich den weltweiten Warenkreisläufen und der üblichen Arbeitsmigration, welche die Geographie der kapitalistischen Ökonomie bestimmen. Als Ergebnis erscheint »ein Typus von eskalierender breiteninfektiöser Selektion«, über welche das Virus sich auf einer größeren Anzahl evolutionärer Pfade in kürzerer Zeit positioniert. Das befähigt die erfolgreichsten Varianten, die anderen aus dem Feld zu schlagen.

      Dies jedoch lässt sich leicht beweisen und ist bereits Alltagsweisheit in der Berichterstattung: der Umstand, dass die »Globalisierung« die Ausbreitung solcher Krankheiten beschleunigt, wenn auch hier mit dem bedeutenden Zusatz, dass diese Verbreitung selbst das Virus zu schnellerer Mutation anregt. Der entscheidende Punkt lässt sich allerdings schon früher erkennen: Vor der Ausbreitung, welche die Vitalität solcher Krankheit(skeime) erhöht, intensiviert die kapitalistische Grundlogik die Tendenz, vorher abgeschottete oder harmlose Virenstämme in extrem selektionsfördernde Umfelder zu versetzen. Hier finden diese Stämme Bedingungen, die für epidemische Formen günstig sind: schnelle virale Lebenszyklen, die Kapazität für zoonotische Sprünge zwischen Träger-Spezies und die Fähigkeit, neue Übertragungshilfen zu generieren. Diese Virenstämme treten gerade wegen ihrer Virulenz hervor. Rein rechnerisch scheint es, als müsste die Entwicklung virulenterer Stämme die entgegengesetzte Wirkung haben, weil der schnelle Tod des Wirtes dem Virus weniger Zeit für die Verbreitung lässt. Die Alltagserkältung bietet ein gutes Beispiel für dieses Prinzip: Ihre niedrige Intensität erleichtert die Verbreitung in der Bevölkerung. Doch in bestimmten Umfeldern gewinnt die entgegengesetzte Logik an Wahrscheinlichkeit: Findet ein Virus zahlreiche Wirte in naher Umgebung vor, und besonders, falls solche Wirte bereits unter verkürzter Lebenserwartung stehen, so verwandelt sich die höhere Virulenz in einen Evolutionsvorteil.

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