Dombey und Sohn. Charles Dickens

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Dombey und Sohn - Charles Dickens

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      »O Floy!« rief ihr Bruder. »Wie liebe ich dich! wie liebe ich dich, Floy!«

      »Und ich dich, mein Teurer!«

      »O, dies weiß ich wohl, Floy!«

      Er sprach nicht weiter darüber, aber jenen ganzen Abend saß er in größter Ruhe bei ihr, und nachts rief er aus dem kleinen Alkoven, in dem er schlief, ihr drei- oder viermal zu, daß er sie liebe.

      Und fortan war Florence regelmäßig vorbereitet, an Sonnabenden mit Paul zu lernen und in größter Geduld für die Arbeit der nächsten Woche ihm einen möglichst großen Vorsprung zu gewinnen. Der ermunternde Gedanke, daß er an dem weiterspinne, was Florence kurz zuvor um seinetwillen getan hatte, war natürlich unserem Paul ein Sporn für die stetige Aufnahme seiner Studien; da aber hieraus noch eine wesentliche Erleichterung seiner Last erwuchs, so verdankte er diesem Beistand wahrscheinlich, daß er nicht unter der Bürde erlag, die die blonde Cornelia Blimber seinem Rücken im Übermaße auflud.

      Wir wollen damit nicht sagen, daß Miß Blimber ihn hart behandelte oder Doktor Blimber seine jungen Gentlemen allzu schwer anzuspannen beabsichtigte. Cornelia hielt sich allein an das Glaubensbekenntnis, in dem sie erzogen worden war, und der Doktor betrachtete in einer teilweisen Verwirrung seiner Ideen die jungen Gentlemen in einem Lichte, als wären sie lauter Doktoren und mit den Eigenschaften dieser akademischen Würde schon in die Welt getreten. Der Beifall, den ihm die nächsten Verwandten der jungen Gentlemen zollten, trug natürlich nur dazu bei, die blinde Eitelkeit und unüberlegte Hast der Familie zu steigern; es hätte daher allerdings wundernehmen müssen, wenn Doktor Blimber seinen Irrtum entdeckt oder seine schwellenden Segel in anderer Weise angeholt haben würde.

      Und so ging es nun auch mit Paul. Sobald Doktor Blimber die Meldung machte, der Knabe habe von Natur gute Anlagen und schreite rasch voran, war Mr. Dombey nur um so mehr darauf versessen, daß man seinen Sohn ansporne und alles mögliche in ihn hineinstopfe; aber ebenso unerbittlich ließ sich der alte Mr. Briggs in ähnlicher Art vernehmen, als ihm der Lehrer berichtete, daß Briggs junior nur geringe Anlagen habe und schlechte Fortschritte mache. Mit einem Worte, wie hoch und wie unzweckmäßig auch die Temperatur sein mochte, in der der Doktor sein Treibhaus erhielt – die Eigentümer der Pflanzen waren stets bereit, an die Blasbälge Hand zu legen und das Feuer zu schüren.

      Der Frohsinn, den Paul im Anfang mitgebracht hatte, ging natürlich bald verloren. Dagegen aber erhielt sich alles Seltsame, Alte und Gedankenvolle in seinem Charakter; ja es entwickelte sich sogar noch weit stärker, da die Umstände hierzu sogar förderlich waren.

      Der einzige Unterschied, der stattfand, bestand darin, daß er seinen Charakter für sich behielt. Er wurde zwar mit jedem Tage gedankenvoller und zurückhaltender, gewann aber nicht dieselbe Teilnahme an irgendeinem lebenden Wesen in dem Hause des Doktors, wie dies bei Mrs. Pipchin der Fall gewesen. Er blieb gern allein, und in den kurzen Zwischenräumen, in denen er nicht von seinen Büchern in Anspruch genommen war, beschäftigte er sich am liebsten damit, daß er einsam im Hause umherlief oder auf der Treppe saß, um der großen Uhr in der Halle zuzuhören. Die Tapeten der Zimmer hatte er durch und durch studiert; er sah in den Bildern Dinge, die niemand sonst bemerkte, fand kleine Tiger und Löwen, die an den Wänden der Schlafzimmer hinausliefen, und entdeckte sogar schielende Gesichter in den Vierecken der Bodenteppiche. Kurz, der Knabe lebte einsam fort, umgeben von der Arabeskenarbeit seiner sinnenden Phantasie, und niemand begriff ihn. Mrs. Blimber hielt ihn für »wunderlich«, und bisweilen sagten die Dienstboten unter sich, mit dem kleinen Dombey sei es nicht richtig; damit aber hatte es sein Bewenden.

      Vielleicht hatte nur der junge Toots in betreff der Sache den Schatten einer Idee, obschon er durchaus nicht imstande war, ihr einen Ausdruck zu verleihen. Wie mit Gespenstern muß man sich auch mit Ideen vorher ein wenig benehmen, ehe sie sich selbst aufklären, und Toots hatte längst aufgehört, an seinen Geist Fragen zu stellen. Mag sein, daß hin und wieder aus dem bleiernen Helm seines Schädels ein Nebel hervorging, der, wenn er Form und Gestalt hätte gewinnen können, den Mann zu einem Genie gemacht haben würde; da aber dies nicht der Fall war, so ahmte er nur das Beispiel des Rauchs in dem Märchen der Scheherezade nach, der in einer dicken Wolke herauswogte und in der Luft schweben blieb. Immerhin blieb übrigens auf einer einsamen Küste eine kleine Figur sichtbar, und Toots stierte unaufhörlich darnach hin.

      »Wie geht's dir?« konnte er wohl fünfzigmal des Tages unsern kleinen Paul fragen.

      »Ganz gut, Sir, danke«, pflegte Paul zu antworten.

      »Gib mir deine Hand«, ließ Toots darauf folgen.

      Natürlich tat Paul dies ohne Zögern, und Mr. Toots sagte dann in der Regel, nachdem er den Kleinen unter schwerem Atmen eine lange Weile angestiert hatte, »wie geht's dir?« Paul antwortete dann wieder, »ganz wohl, Sir, danke.«

      Eines Abends saß Mr. Toots, von seiner Korrespondenz gewaltig in Anspruch genommen, an seinem Pult, als ein großer Gedanke in ihm aufzublitzen schien. Er legte seine Feder nieder und machte sich auf, um Paul zu suchen, den er endlich nach langem Spähen in dem Schlafstübchen fand, wie er eben zum Fenster hinaussah.

      »He!« rief Toots in dem Moment, in dem er das Stübchen betrat, um seinen Zweck nicht zu vergessen; »an was denkst du?«

      »O, ich denke an sehr viele Dinge«, versetzte Paul.

      »Wirklich?« entgegnete Toots; und es hatte den Anschein, als ob er in dieser Tatsache etwas ungemein Überraschendes finde.

      »Wenn Ihr sterben müßtet –« sagte Paul zu seinem Gesicht aufblickend.

      Mr. Toots stutzte und war sichtlich sehr beunruhigt.

      »Glaubt Ihr nicht, Ihr würdet es lieber tun in einer mondhellen Nacht, wenn der Himmel vollkommen klar wäre und der Wind bliese wie in der letzten Nacht?«

      Mr. Toots sah Paul zweifelnd an, schüttelte den Kopf und versetzte, er wisse nicht, was er damit meine.

      »Es war wenigstens kein Stürmen«, fuhr Paul fort, »sondern die Luft tönte, wie das Rauschen des Meeres in den Muscheln. Eine schöne Nacht! Nachdem ich geraume Zeit dem Wasser zugehört hatte, stand ich auf und sah hinaus. Dort drüben schwamm ein Boot in vollem Licht des Mondes – ein Boot mit einem Segel.«

      Das Kind sah ihn fest an und sprach so eifrig, daß Mr. Toots wohl fühlte, er müsse etwas über dieses Boot sagen. Seine Erwiderung lautete daher »Schmuggler«; weil er sich aber unparteiisch erinnerte, daß jede Frage zwei Seiten habe, so fügte er hinzu: »oder Zollschutzwache«.

      »Ein Boot mit einem Segel im vollen Licht des Monds«, wiederholte Paul. »Das Segel sah aus wie ein Arm ganz von Silber. Es entfernte sich mehr und mehr, und was glaubt Ihr wohl, was es zu tun schien, als es sich mit den Wellen bewegte?«

      »Es schwankte«, sagte Mr. Toots.

      »Es schien zu winken«, sagte das Kind, »als wünsche es, daß ich komme! – Da ist sie! – Da ist sie!«

      Nach den Vorgängen entsetzte sich Toots höchlich ob diesem plötzlichen Ausruf und erwiderte:

      »Wer?«

      »Meine Schwester Florence!« rief Paul. »Sie sieht herauf und winkt mit ihrer Hand. Sie sieht mich! Sie sieht mich – gute Nacht, Liebe, gute Nacht, gute Nacht!«

      Der rasche Übergang in einen Zustand überschwenglicher Freude, während der Knabe unter Kußhändchen und Händeklatschen am Fenster stand, wie auch die Art, in der das Licht bei dem Verschwinden der Schwester sich in seinen Zügen verlor

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