Der kleine Bibelcoach. Anselm Grün

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Der kleine Bibelcoach - Anselm Grün

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der Welt beschreibt. Allein schon der erste Satz: »Gott sprach: Es werde Licht« (Genesis 1,3). Josef Haydn war von diesem Wort so fasziniert, dass er in seinem Oratorium »Die Schöpfung« dieses Licht musikalisch erstrahlen lässt. Der Musiker hat genau verstanden, was die Bibel mit dem Schöpfungsbericht meint.

      Dass wir diese Erzählung nicht naturwissenschaftlich deuten dürfen, zeigt schon die Tatsache, dass uns die Bibel zwei Schöpfungsgeschichten bietet:

      Die erste (Genesis 1,1–2,4a) erzählt uns, wie Gott in sechs Tagen die Welt erschafft: Zunächst scheidet er das Licht von der Finsternis, den Tag von der Nacht, dann den Himmel von der Erde und die Erde vom Wasser. Dann schafft er die Pflanzen, die Tiere und schließlich den Menschen. Und er sieht, dass alles sehr gut und sehr schön ist. Am siebten Tag ruht er und gewährte auch den Menschen den siebten Tag als Ruhetag.

      Die zweite Schöpfungsgeschichte (Genesis 2,4b–25) erzählt dagegen, dass Gott zuerst Himmel und Erde macht. Dann schafft er den Menschen aus dem Ackerboden und bläst ihm seinen Lebensatem ein. Er gibt ihm einen Namen: Adam, was so viel wie »Erde« heißt. Gott legt anschließend einen Garten in Eden an. Den sollte der Mensch bebauen und hegen und pflegen. Dann sieht Gott, dass es für den Menschen nicht gut ist, allein zu sein. Er gibt ihm Tiere und Vögel am Himmel, zeigt sie dem Menschen und will, dass er ihnen einen Namen gibt. Doch die Tiere sind nicht die Hilfe, die der Mensch sich wünscht. So lässt Gott ihn in einen Schlaf fallen und formt aus seiner Rippe eine Frau. Da sagt Adam: »Das endlich ist Bein von meinem Bein und Fleisch von meinem Fleisch« (Genesis 2,23).

      Man kann nicht sagen, welcher Schöpfungsbericht nun der Wahrheit entspricht. Beide sind wahr. Beide sagen etwas Wesentliches über Gott und die Schöpfung und über den Menschen aus. Aber der Mensch ist ein solches Geheimnis, dass man es von verschiedenen Seiten beleuchten kann und muss.

      In der Bibel gibt es noch andere Textformen wie Gleichnisse, Heilungsgeschichten, Berufungsgeschichten, Märchen, Erzählungen, Novellen, Legenden und Wortüberlieferungen. Jede muss in ihrer Eigenart gesehen werden. Dann werden wir der Bibel gerecht. Die formgeschichtliche Methode befreit uns von einem Wahrheitsbegriff, der nur auf den Buchstaben sieht, alles buchstäblich – wörtlich – verstehen will. Jede Form hat ihre eigene Wahrheit. Fundamentalisten sagen oft: »Das steht so da. Das muss man wörtlich nehmen.« Natürlich muss ich die Bibel wörtlich nehmen, das heißt, Wort für Wort bedenken. Aber ich muss immer sehen, welche Form dieses Wort oder diese Erzählung hat. Nur dann werde ich der Bibel gerecht.

      Fundamentalisten meinen, sie nähmen die Bibel beim Wort. Aber sie verfälschen ihren Sinn, indem sie sie einseitig auf eine geschichtliche oder naturwissenschaftliche Aussage reduzieren. Die Bibel spricht jedoch in Bildern zu uns. Und diese haben ihre eigene Wahrheit. Sie drücken das Geheimnis des Menschen viel klarer aus als die Reduzierung der Worte auf reine Fakten. Wir müssen den Geist in den Worten erkennen. Jesus selbst sagt zu den Jüngern, die seine Worte nicht verstehen und daher anzweifeln: »Der Geist ist es, der lebendig macht; das Fleisch nützt nichts. Die Worte, die ich zu euch gesprochen habe, sind Geist und sind Leben« (Johannes 6,63). Damit zeigt uns Jesus selbst eine Methode, wie wir die Bibel lesen können. Wir sollen in den Worten den Geist und das Leben erkennen, die Jesus und Gott in sie hineingelegt haben. Daher braucht es immer auch die Bereitschaft, sie zu meditieren und in das eigene Herz fallen zu lassen. Nur dann verstehen wir die Worte, nicht, indem wir rechthaberisch über sie diskutieren.

      Eine weitere Methode ist die religionsgeschichtliche Herangehensweise. Sie zeigt uns unter anderem Parallelen biblischer Motive mit Motiven anderer Religionen. Es gibt zum Beispiel auch in den babylonischen und griechischen Mythen Erzählungen von einer Art Sintflut, von der Vernichtung der »bösen Welt«. Ziel der religionsgeschichtlichen Methode ist nicht, herauszustellen, dass hier einer beim anderen »abgeschrieben« hat oder immer die gleichen Motive in derselben Absicht verwendet werden. Es geht nur darum, Parallelen aufzuzeigen, aber auch die Besonderheit der Bibel in den Fokus zu rücken. Sie weist uns Wege, wie wir im Dialog mit den Ergebnissen der Religionswissenschaft die eigentliche Aussageabsicht der Bibel erkennen können.

      Eine dritte Herangehensweise ist die redaktionsgeschichtliche Methode. Sie untersucht, welcher Autor möglicherweise hinter den Texten der Bibel auszumachen ist und welche Theologie, welches Bild des Glaubens, welche Ansichten über den Glauben er mit seinem Schreiben vermitteln wollte. Die Bibel ist kein einheitliches Werk, also nicht von nur einem Menschen geschrieben. Es gibt schon im Alten Testament verschiedene Autoren. Und jeder hat seine eigene Aussageabsicht mit dem, was und wie er schreibt. Das wurde oben schon in den beiden Schöpfungserzählungen deutlich. Den ersten Schöpfungsbericht rechnet man der sogenannten Priesterschrift zu, den zweiten dem sogenannten Jahwisten. Damit bezeichnet die Exegese die beiden Autoren der Texte, wobei es sich dabei vielleicht sogar um mehrere Autoren handelt. Die Priesterschrift ist von einer etwas anderen Theologie gekennzeichnet als die Texte des Jahwisten. Doch beide Theologien sagen etwas über Gott und den Menschen aus, was uns heute noch angeht, wodurch Gott auch heute noch zu uns spricht.

      Die redaktionsgeschichtliche Methode hat vor allem in der Erforschung der Evangelien eine wichtige Funktion und macht deutlich, dass jeder Evangelist eine eigene Theologie entfaltet. Alle vier Evangelien erzählen uns die Geschichte Jesu, seine Taten, seine Worte, seine Passion und seine Auferstehung. Aber jedes hat andere Leser und Leserinnen im Blick. Und so deutet der jeweilige Evangelist das Jesusgeschehen immer auf diese hin, versteht das Geheimnis Jesu jeweils auf seine Art und Weise. Das ist kein Gegensatz. Die Frage darf auch nicht lauten: Wer von den Evangelisten hat nun Recht? Jeder hat Recht. Aber jeder versteht Jesus anders. Genau das befreit uns auch von dem Zwang, eine einheitliche Dogmatik zu entwickeln. Wir können Jesus von verschiedenen Seiten aus anschauen und ihn verschieden deuten. Diese Methode werde ich noch einmal gesondert behandeln, wenn es um die theologische Auslegung der Bibel geht.

      Wie uns die historisch-kritische Methode helfen kann, einen Text zu verstehen, möchte ich am Beispiel des Gleichnisses vom klugen Verwalter aufzeigen. Es geht mir jedoch nicht darum, das Gleichnis auszulegen, sondern nur den letzten Satz: »Der Herr lobte die Klugheit des unehrlichen Verwalters und sagte: Die Kinder dieser Welt sind im Umgang mit ihresgleichen klüger als die Kinder des Lichtes« (Lukas 16,8). Die Klugheit des unehrlichen Verwalters bestand darin, dass er einsah: Ich kann meine Schuld weder durch Leistung noch durch Betteln abtragen. Das würde mich entweder überfordern oder mir alle Selbstachtung rauben. Die einzige Möglichkeit, mit meiner Schuld umzugehen, ist, vom Thron meiner Selbstgerechtigkeit herabzusteigen und Mensch unter Menschen zu werden. Ich kann meine Schuld dazu nutzen, mich mit den Menschen auf die gleiche Ebene zu stellen. Der Verwalter denkt sich in seiner Beziehung zu den anderen: »Du bist schuldig, ich bin schuldig, teilen wir uns die Schuld. Klagen wir uns gegenseitig nicht an, sondern gehen wir menschlich miteinander um.« Der kluge Verwalter rechnet damit, dass er auf diese Weise in die Häuser der Leute aufgenommen wird.

      Im Schlusssatz – so sagt uns die historisch-kritische Exegese – bezieht sich Jesus mit dem Bild von den »Kindern des Lichtes« auf eine jüdische Gruppierung, die Essener. Das waren sehr fromme Juden, die in kleinen Gruppen miteinander in einem liebevollen Umgang lebten. Aber zugleich waren sie sehr streng, wenn jemand die Normen der Gruppe übertrat. Dann wurde er unbarmherzig aus der Gruppe ausgestoßen. Im Vergleich zwischen den »Kindern der Welt« und den »Kindern des Lichtes« grenzt sich Jesus also vom Verhalten der Essener ab. Die Jünger Jesu sollen niemanden ausschließen, selbst wenn er die Norm übertreten hat, sondern sie sollen einander in ihre Häuser aufnehmen. Kurz vor dieser Stelle steht im Lukasevangelium das Gleichnis vom verlorenen Schaf und vom verlorenen Sohn. Beide zeigen in die gleiche Richtung: Die Christen sollen die, die sich selbst verloren haben, die die Norm übertreten und sich selbst isoliert haben, nicht ausschließen, sondern aufnehmen in ihre Gemeinschaft. Die Gemeinschaft der Christen soll von Barmherzigkeit geprägt sein und nicht von Rigorosität. Hier wird deutlich, dass die historisch-kritische Exegese uns helfen kann, biblische Aussagen besser zu verstehen. Denn sie klärt uns auf, wie manche Begriffe auf dem Hintergrund der damaligen Situation zu verstehen sind. Daher ist es für

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