Lucinde. Ein Roman. Studienausgabe. Friedrich Schlegel

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Lucinde. Ein Roman. Studienausgabe - Friedrich Schlegel Reclams Universal-Bibliothek

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den lauen Abendwind überflügeln und seiner Langsamkeit spotten. Auf dem Hügel zeigte sich ein Ritter in voller Rüstung, groß und hehr von Gestalt, beynah ein Riese: aber die genaue Richtigkeit seines Wuchses und seiner Bildung nebst der treuherzigen Freundlichkeit in seinen bedeutenden Blicken und umständlichen Gebehrden gab ihm dennoch eine gewisse altväterische Zierlichkeit. Er neigte sich gegen die untergehende Sonne, ließ sich langsam auf ein Knie nieder und schien mit großer Inbrunst zu beten, die rechte Hand aufs Herz, die linke an der Stirn. Der Jüngling, der zuvor so schnell war, lag nun ganz ruhig am Abhange und sonnte sich in den letzten Strahlen; dann sprang er auf, entkleidete [26]sich, stürzte in den Strom und spielte mit den Wellen, tauchte unter, kam wieder hervor und warf sich von neuem in die Fluth. Fernab im Dunkel des Hains schwebte etwas in Griechischem Gewande wie eine Gestalt: aber wenn es eine ist, dachte ich, so kann sie kaum der Erde angehören; so matt waren die Farben, so eingehüllt das Ganze in heiligen Nebel. Da ich länger und genauer hinsah, zeigte sich’s, daß es auch ein Jüngling sey, aber von ganz entgegengesetzter Art. Haupt und Arme lehnte die hohe Gestalt an eine Urne; seine ernsten Blicke schienen bald ein verlohrnes Gut auf dem Boden zu suchen, bald die blassen Sterne, die schon zu schimmern begannen, etwas zu fragen; ein Seufzer öffnete die Lippen, um die ein sanftes Lächeln schwebte. –

      Jener erste sinnliche Jüngling war unterdessen der einsamen Leibesübungen überdrüssig geworden und eilte mit leichten Schritten gerade auf uns zu. Er war nun ganz bekleidet, fast wie ein Schäfer, aber sehr bunt und sonderbar. Er hätte so auf einer Maskerade erscheinen können, auch spielten die Finger seiner Linken mit den Fäden, an denen eine Maske hing. Man hätte den fantastischen Knaben eben so gut für ein muthwilliges Mädchen halten mögen, das sich aus Laune verkleidet. Bisher ging er in gerader Richtung, aber plötzlich wurde er unsicher; er ging erst auf die eine Seite, dann eilte er zurück nach der andern und lachte dabey über sich selbst. »Der junge Mensch weiß nicht, ob er sich zur Frechheit oder zur Delikatesse halten soll«, sagte mein Begleiter. Ich sah zur Linken eine Gesellschaft schöner Frauen und Mädchen; zur Rechten stand eine große allein, und da ich hinsehen wollte nach der gewaltigen Form, begegnete ihr Blick dem meinen so scharf und kühn, daß [27]ich die Augen niederschlug. Mitten unter den Damen war ein junger Mann, den ich sogleich für einen Bruder der andern Romane erkannte. Einer von denen wie man sie gegenwärtig sieht, aber viel gebildeter; seine Gestalt und sein Gesicht war nicht schön, aber fein, sehr verständig und äußerst anziehend. Man hätte ihn eben so gut für einen Franzosen wie für einen Deutschen halten können; seine Kleidung und seine ganze Art war einfach, aber sorgfältig und völlig modern. Er unterhielt die Gesellschaft und schien sich für alle lebhaft zu interessiren. Die Mädchen waren sehr beweglich um die vornehmste Dame und schwatzten viel unter einander. »Ich habe doch noch mehr Gemüth wie du, liebe Sittlichkeit! sagte die eine; aber ich heiße auch Seele und zwar die schöne.« Die Sittlichkeit wurde etwas blaß und die Thränen schienen ihr nahe zu seyn. »Ich war doch gestern so tugendhaft, sagte sie, und mache immer größere Fortschritte in der Anstrengung. Ich habe genug an meinen eignen Vorwürfen, warum muß ich noch welche von dir hören?« – Eine andre, die Bescheidenheit, war neidisch auf die welche sich die schöne Seele nannte und sprach: »Ich bin böse mit dir, du willst mich nur als Mittel brauchen.« – Die Decenz, da sie die arme öffentliche Meinung so hülflos auf dem Rücken liegen sah, vergoß drittehalb Thränen und gebehrdete sich dann auf eine interessante Weise, das Auge zu trocknen, welches aber gar nicht mehr naß war. – »Wundre dich nicht über diese Offenheit, sagte der Witz; sie ist weder gewöhnlich noch willkührlich. Die allmächtige Fantasie hat diese wesenlosen Schatten mit ihrem Zauberstabe berührt, damit sie ihr Inneres offenbaren. Du wirst gleich noch mehr hören. Aber die Frechheit redet von freyen Stücken so.«

      [28]»Der junge Schwärmer da, sagte die Delikatesse, soll mich recht amüsiren; der wird immer schöne Verse auf mich machen. Ich werde ihn in der Ferne halten wie den Ritter. Der Ritter ist freylich schön, wenn er nur nicht so ernsthaft und feyerlich aussähe. Der klügste von allen ist wohl der Elegant, der jetzt mit der Bescheidenheit spricht; ich glaube, er persifflirt sie. Wenigstens hat er über die Sittlichkeit und ihr fades Gesicht viel hübsches gesagt. Er hat doch mit mir am meisten gesprochen, und könnte mich wohl einmal verführen, wenn ich mich nicht anders besinne, oder wenn keiner erscheint, der noch mehr nach der Mode ist.« – Der Ritter hatte sich der Gesellschaft nun auch genähert; die linke Hand stützte sich auf den Griff des großen Schwerdtes, und mit der rechten bot er den Anwesenden höflichen Gruß. – »Ihr seyd doch alle gewöhnlich und ich habe Langeweile,« sagte der moderne Mann, gähnte und ging fort. Ich sah nunmehr, daß die Frauen, die ich beym ersten Blick für schön gehalten hatte, eigentlich nur blühend und artig übrigens aber unbedeutend waren. Sah man genau zu, so fanden sich sogar gemeine Züge und Spuren von Verderbtheit. Die Frechheit schien mir nun weniger hart, ich konnte sie dreist ansehen und mußte es mir mit Verwunderung gestehn, daß ihre Bildung groß und edel sey. Sie ging hastig auf die schöne Seele zu und griff ihr gerade ins Gesicht. »Das ist nur eine Maske, sagte sie; du bist nicht die schöne Seele, sondern höchstens die Zierlichkeit, oft auch die Coquetterie.« – Dann wandte sie sich zum Witz mit den Worten: »Wenn du die gemacht hast, die man jetzt Romane nennt, so hättest du deine Zeit auch besser anwenden können. Kaum hie und da finde ich in den besten etwas von der leichten Poesie des flüchtigen Lebens: [29]aber wohin ist sie entflohen, die kühne Musik des lieberasenden Herzens, sie die alles mit sich fortreißt, so daß der Wildeste zärtliche Thränen vergießt und die ewigen Felsen selber tanzen? Keiner ist so albern und keiner so nüchtern, der nicht von Liebe schwatzt: aber wer sie noch kennt, hat kein Herz und keinen Glauben, sie auszusprechen.« Der Witz lachte, der himmlische Jüngling winkte Beyfall aus der Ferne, und sie fuhr fort: »Wenn die, welche unvermögend am Geist sind, Kinder mit ihm zeugen wollen; wenn die, welche es gar nicht verstehn, zu leben wagen: das ist höchst unanständig, denn es ist höchst unnatürlich und höchst unschicklich. Aber daß der Weine schäumt und der Blitz zündet, ist ganz richtig und ganz schicklich.« – Der leichtfertige Roman hatte nun gewählt; er war bey diesen Worten schon um die Frechheit und schien ihr ganz ergeben. Sie eilte Arm in Arm mit ihm davon und sagte nur im Vorbeygehn zu dem Ritter: »Wir sehn uns wieder.« – »Das waren nur äußerliche Erscheinungen, sprach mein Beschützer, und du wirst gleich das Innere in dir schauen. Übrigens bin ich eine wahre Person und der wahre Witz; das schwöre ich dir bey mir selber, ohne den Arm in die Unendlichkeit auszustrecken.« Alles verschwand nun, und auch der Witz wuchs und dehnte sich, bis er nicht mehr war. Nicht mehr vor und außer mir, wohl aber in mir glaubte ich ihn wieder zu finden; ein Stück meines Selbst und doch verschieden von mir, in sich lebendig und selbstständig. Ein neuer Sinn schien mir aufgethan; ich entdeckte in mir eine reine Masse von mildem Licht. Ich kehrte in mich selbst zurück und in den neuen Sinn, dessen Wunder ich schaute. Er sah so klar und bestimmt, wie ein geistiges nach Innen gerichtetes Auge: dabey waren aber seine Wahrneh[30]mungen innig und leise wie die des Gehörs, und so unmittelbar wie die des Gefühls. Ich erkannte bald die Scene der äußern Welt wieder, aber reiner und verklärt, oben den blauen Mantel des Himmels, unten den grünen Teppich der reichen Erde, die bald von fröhlichen Gestalten wimmelte. Denn was ich nur im Innersten wünschte, lebte und drängte sich gleich hier, ehe ich selbst den Wunsch noch deutlich gedacht hatte. Und so sah ich denn bald bekannte und unbekannte liebe Gestalten in wunderlichen Masken, wie ein großes Carneval der Lust und Liebe. Innre Saturnalien, an seltsamer Mannichfaltigkeit und Zügellosigkeit der großen Vorwelt nicht unwürdig. Aber nicht lange schwärmte das geistige Bacchanal durch einander, so zerriß diese ganze innre Welt wie durch einen elektrischen Schlag und ich vernahm ich weiß nicht wie und woher die geflügelten Worte: »Vernichten und Schaffen, Eins und Alles; und so schwebe der ewige Geist ewig auf dem ewigen Weltstrome der Zeit und des Lebens und nehme jede kühnere Welle wahr, ehe sie zerfließt.« – Furchtbar schön und sehr fremd tönte diese Stimme der Fantasie, aber milder und mehr wie an mich gerichtet die folgenden Worte: »Die Zeit ist da, das innre Wesen der Gottheit kann offenbart und dargestellt werden, alle Mysterien dürfen sich enthüllen und die Furcht soll aufhören. Weihe dich selbst ein und verkündige es, daß die Natur allein ehrwürdig und die Gesundheit allein liebenswürdig ist.« – Bey den geheimnißvollen Worten, die Zeit ist da, fiel wie eine Flocke von himmlischem Feuer in meine Seele. Es brannte und zehrte in meinem Mark; es drängte und stürmte sich zu äußern. Ich griff nach Waffen, um mich in das Kriegsgetümmel der Leidenschaften, die mit Vorurtheilen

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