Der ewige Spießer. Ödön von Horváth
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»Das mit dem Hochhalten der Ehre sind Redensarten!« unterbrach ihn der Hotelier unwirsch. »Wir Deutsche sind eben einfach nicht fähig, kommerzielle Beziehungen zum Ausland ehrenvoll anzuknüpfen!«
»Aber die Völker!« meinte der dritte und lächelte plötzlich nicht mehr. »Die Völker sind doch aufeinander angewiesen, genau wie Preußen auf Bayern und Bayern auf Preußen.«
»Sie, wanns mir Bayern schlechtmachen!« brüllte der Thimoteus. »Wer is angwiesen? Was is angwiesen? Die Schnapspreißn solln halt nach der Schweiz fahren! Zu was brauchn denn mir an Fremdenverkehr, bei mir kauft ka Fremder was, i hab a Ziegelei und war früher Metzger!«
»Oho!« fuhr der Hotelier auf. »Oho, Herr! Ohne Fremdenverkehr dürfte die bayerische Eigenstaatlichkeit beim Teufel sein! Wir brauchen die norddeutschen Kurgäste, wir bräuchten auch die ausländischen Kurgäste, besonders die angelsächsischen Kurgäste, aber bei uns fehlt es leider noch häufig an der entgegenkommenden Behandlung des ausländischen Fremdenstromes, wir müßten uns noch viel stärker der ausländischen Psyche anpassen. Jedoch natürlich, wenn der Herr Reichsfinanzminister erklärt ...«
Nun aber tobte der Thimoteus.
»Des san do kane Minister, des san do lauter Preißen!« tobte er. »Lauter Lumpn sans! Wer geht denn z'grund? Der Mittelstand! Und wer kriegt des ganz Geld vom Mittelstand? Der Arbater! Der Arbater raucht schon Sechspfennigzigaretten ... Meine Herren! I sag bloß allweil: Berlin!«
»Bravo!« sagte der Hotelier und memorierte den Satz vom Asphaltdeutschen.
Der Herr in der Ecke erhob sich und verließ rasch das Abteil. Er stellte sich an das Fenster und sah traurig hinauf auf das schöne bayerische Land. Es tat ihm aufrichtig leid um dieses Land.
»Der is draußn, den hab i nausbissn«, stellte der Thimoteus befriedigt fest. »Ich verfolge mit Aufmerksamkeit die Heimstättenbewegung«, antwortete der Hotelier. Ihr Quadratidioten! dachte Kobler und wandte sich seinem Fenster zu.
Auf den Feldern wurde gearbeitet, auf den Weiden stand das Vieh, am Waldrand das Reh, und nur die apostolischen Doppelkreuze der Überlandleitungen erinnerten an das zwanzigste Jahrhundert. Der Himmel war blau, die Wolken weiß und bayerisch barock.
So näherte sich der D-Zug der südlichen Grenze der deutschen Republik. Zuerst ist er an großen Seen vorbeigerollt, da sind die Berge am Horizont noch klein gewesen. Aber jetzt wurden die Berge immer größer, die Seen immer kleiner und der Horizont immer enger. Und dann hörten die Seen ganz auf, und ringsherum gab's nur mehr Berge. Das war das Werdenfelser Land.
In Partenkirchen stieg der Hotelier aus und würdigte Kobler keines Blickes. Auch der Herr Bschorr stieg aus und stolperte dabei über ein vierjähriges Kind. »Eha!« meinte er, und das Kind brüllte fürchterlich, denn der Herr Bschorr hätt es fast zertreten.
Dann fuhr der D-Zug wieder weiter.
Richtung Mittenwald.
Der Herr, der in der Ecke gesessen hatte, betrat nun wieder das Abteil, weil Kobler allein war. Er setzte sich ihm gegenüber und sagte: »Dort sehen Sie die Zugspitze!«
Bekanntlich ist die Zugspitze Deutschlands höchster Berg, aber ein Drittel der Zugspitze gehört halt leider zu Österreich. Also bauten die Österreicher vor einigen Jahren eine Schwebebahn auf die Zugspitze, obwohl dies die Bayern schon seit zwanzig Jahren tun wollten. Natürlich ärgerte das die Bayern sehr, und infolgedessen brachten sie es endlich fertig, eine zweite Zugspitzbahn zu bauen, und zwar eine rein bayerische, keine luftige Schwebebahn, sondern eine solide Zahnradbahn. Beide Zugspitzbahnen sind unstreitbar grandiose Spitzenleistungen moderner Bergbahnbautechnik, und es sind dabei bis Mitte September 1929 schon rund vier Dutzend Arbeiter tödlich verunglückt. Jedoch bis zur Inbetriebnahme der bayerischen Zugspitzbahn werden natürlich leider noch zahlreiche Arbeiter daran glauben müssen, versicherte die Betriebsleitung.
»Ich hab dies mal einer Dame erzählt«, sagte der Herr zu Kobler, »aber die Dame sagte, das wären bloß Erfindungen der Herren Arbeiter, um einen höheren Tarif zu erpressen.« Dabei lächelte der Herr so sonderbar, daß sich der Kobler schon gar nicht mit ihm auskannte.
»Diese Dame«, fuhr der Herr fort, »ist die Tochter eines Düsseldorfer Aufsichtsrates und hat schon 1913 nach Kuba geheiratet, sie hat also den Weltkrieg in Kuba mitgemacht.« Und wieder lächelte der Herr so sonderbar, und Kobler verwirrte dies fast. »In Kuba wird der Krieg angenehmer gewesen sein«, sagte er, und das gefiel dem Herrn. »Sie werden jetzt ein schönes Stückchen Welt sehen«, nickte er ihm freundlich zu. Stückchen ist gut, dachte Kobler gekränkt und fragte: »Sind Sie auch Kaufmann?« »Nein!« sagte der Herr sehr knapp, als wollte er kein Wort mehr mit ihm sprechen. Was kann der nur sein? überlegte Kobler.
»Ich war früher Lehrer«, sagte der Herr plötzlich. »Ich weiß nicht, ob Sie die Weimarer Verfassung kennen, aber wenn Sie Ihre politische Überzeugung mit dem Einsatz Ihrer ganzen Persönlichkeit, mit jeder Faser Ihres Seins vertreten, dann nützen Ihnen auch Ihre verfassungsmäßig verankerten Freiheitsrechte einen großen Dreck. Ich zum Beispiel hab eine Protestantin geheiratet und hab nun meine Stelle verloren, das verdanke ich dem bayerischen Konkordat. Jetzt vertrete ich eine Zahnpasta, die niemand kauft, weil sie miserabel ist. Meine Familie muß bei meinen Schwiegereltern in Mittenwald wohnen, und die Alte wirft den Kindern jeden Bissen vor. – Dort sehen Sie Mittenwald! Es liegt lieblich, nicht?«
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