Repression und Rebellion. Karim El-Gawhary

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Repression und Rebellion - Karim El-Gawhary страница 4

Repression und Rebellion - Karim El-Gawhary

Скачать книгу

Sie hätten die Möglichkeit gehabt, den anderen politischen Kräften die Hand zu reichen, um ein Bündnis gegen die Rückkehr des alten Systems zu schmieden. Man hätte sich darauf einigen können, zunächst den kleinsten gemeinsamen Nenner zu finden, etwa die Reform des Staatsapparates und seiner Institutionen, allen voran des Sicherheitsapparates. Möglich wäre auch gewesen, eine Regierung der Nationalen Einheit zusammenzuzimmern. Man hätte christliche Kopten an eine prominente Stelle setzen können, um der religiösen Minderheit die Angst vor einer Islamisierung des Landes zu nehmen.

      Stattdessen arbeiteten die Muslimbrüder an ihrem ihnen wichtigsten politisch-islamistischen Projekt: einer neuen Verfassung für das Land. Die wurde von einer verfassunggebenden Versammlung geschrieben, die noch vom alten, inzwischen aufgelösten Parlament eingesetzt worden war, in dem Muslimbrüder und Salafisten die Mehrheit hatten. Und obwohl Mursi bei Gesprächen mit der liberalen, linken und nasseristischen Opposition versprochen hatte, diese nur in einem nationalen Konsens zu erarbeiten, boxten die Islamisten am Ende ihre Verfassung durch, die dann in einem Volksreferendum, an dem nur ein Drittel der Wahlberechtigten teilnahm, mit 64 Prozent der Stimmen angenommen wurde.

      Die Muslimbrüder hatten tatsächlich geglaubt, dass sie mithilfe der Salafisten ihr politisches Projekt durchsetzen könnten und das Militär stillhalten würde. In ihrer politischen Unreife, einem Erbe von 30 Jahren Mubarak, in denen die Opposition keinerlei Spielraum hatte, Politik zu machen und zu lernen, machten alle Seiten in dieser entscheidenden Zeit des demokratischen Übergangs riesige Fehler.

      Um ihre demokratische Legitimität zu behalten, hätten die Muslimbrüder ihre konservativen Islamvorstellungen auflockern können und Liberale und Linke hätten zur Kenntnis nehmen müssen, dass sie Ägypten nicht über Nacht in ein säkulares Land verwandeln können, sondern die konservative ägyptische Gesellschaft dort abholen müssen, wo sie sich befand. Und alle Seiten hätten sich ernsthaft des Themas annehmen müssen, das der Mehrheit der Ägypter auf den Nägeln brannte und brennt: der sozialen Frage.

      Langer Rede kurzer Sinn: Alle Seiten hätten über ihren Schatten springen müssen. Getan hat das am Ende keine. Die Muslimbrüder wählten die zweite Option: Sie glaubten, ihren eigenen konservativen Kurs, auch mithilfe der erzkonservativen radikalislamischen Salafisten, weiterfahren und ihre Agenda durchsetzen zu können. Und die meisten Liberalen und Linken schossen sich auf die Muslimbruderschaft ein und vergaßen dabei, dass das alte System noch lange nicht aus dem Weg geräumt war. Das Land, das den Sturz des Diktators zuvor noch enthusiastisch gemeinsam gefeiert hatte, fand sich in einer tiefen Polarisierung wieder. Es war eine Zeit, in der die Ägypter praktisch zusahen, wie sich auf einer eingleisigen Strecke zwei Züge entgegenkommen. Wenn niemand die Bremsen zog, war es nur eine Frage der Zeit, bis es krachen würde.

       Das Gegenbeispiel Tunesien

      Auch aus den ersten Wahlen in Tunesien ging die islamistische Ennahda-Partei als der große Sieger hervor. In Europa und bei den Säkularen in der arabischen Welt ging die Angst um, dass nach Ägypten nun ein zweites arabisches Land infolge des Aufstandes in die Hände der Islamisten fällt. Demokratisch gewählt, war Ennahda jetzt zwar die größte, aber nicht die einzige Partei, die nun in der verfassunggebenden Versammlung am neuen Grundgesetz Tunesiens arbeiten konnte.

      Dabei ließen die Tunesier erst einmal die Moschee im Dorf. Denn wenn die erste tunesische Wahl irgendetwas gezeigt hatte, dann, dass beide, die Islamisten in Form einer Partei und die Liberalen in Form von mehreren Parteien, zwei wichtige Strömungen in diesem Land darstellten, die einander nicht ignorieren konnten. Vorgezeichnet war aber dennoch ein ausgiebiger Streit über die Rolle von Religion und Staat in der Verfassung. Schließlich war es das erste Mal, dass sich beide gesellschaftlich relevanten Seiten in einer Demokratie offen mit dieser Frage auseinandersetzen mussten – ohne einen Diktator, der die Richtung vorgibt. Dabei waren die Islamisten der Ennahda-Partei keine Taliban, sondern eine relativ moderate islamistische Bewegung, die die Gesellschaft nicht mit militanten Mitteln, sondern über den Weg durch die Institutionen nach ihren konservativen Vorstellungen verändern wollten, und sie schlugen auch nach den Wahlen keine polarisierenden Töne an. Ihr Spielraum war ohnehin begrenzt. Die tunesischen Frauen waren und sind selbstbewusst und präsent genug, um sich ihre Rechte nicht einfach wieder wegnehmen zu lassen. Ausländische Investitionen und der Fremdenverkehr, von dem so viele Arbeitsplätze im Land abhängen, gaben den Islamisten nicht die Möglichkeit, selbst wenn sie gewollt hätten, einen islamistisch geprägten Staat in Tunesien zu gründen. Etwas, das übrigens langfristig auch für die Muslimbrüder in Ägypten gegolten hätte. Ennahda bildete 2011 zunächst eine Regierungskoalition mit zwei kleineren säkularen Parteien. Das reichte vorerst, um das Land nicht, wie Ägypten, entgleisen zu lassen.

       Ägypten: Das Militär kehrt zurück an die Macht

      Ägypten wurde indes durch die Polarisierung zwischen Muslimbrüdern auf der einen und Liberalen und Säkularen auf der anderen Seite immer unregierbarer. Nach einem Jahr Herrschaft der Muslimbrüder wurde immer deutlicher, dass das Land nicht von diesen alleine regiert werden kann, diese Lektion hatten die Ägypter gelernt. Doch die tunesische Lektion, dass das Land auch nicht ohne Islamisten regiert werden kann, die wollten sie nicht lernen. Beide Seiten standen einander unversöhnlich gegenüber. Der Ton wurde immer schärfer. Viele derjenigen, die gegen Mursi auf die Straße gingen, riefen dazu auf, die Muslimbrüder „fertigzumachen“. Und hier ging es nicht um ein paar Tausend Menschen: Millionen Ägypter sollten fertiggemacht werden.

      Während sich auf den Straßen der Ärger über die Muslimbruderschaft in Massendemonstrationen entlud, in denen der Rücktritt von Präsident Mursi gefordert wurde, mobilisierten die Muslimbrüder wiederum ihre Anhänger unter dem Slogan der demokratischen Legitimität Mursis als ägyptisches Staatsoberhaupt. Und in all dieser Zeit plante das Militär im Hintergrund bereits die Machtübernahme. In ägyptischen Talkshows wurde bereits offen über ein Datum diskutiert, wann das der Fall sein könnte.

      Am 30. Juni 2013 wurde dann das Ende Mursis eingeläutet. Es kam zu Massenprotesten gegen die Muslimbrüder, mit dem Tahrir-Platz als deren Zentrum. Dort hatten sich alle Gegner der Muslimbrüder versammelt. Es herrschte ein regelrechter Anti-Mursi-Rausch. Doch auch bei dieser ganz großen Anti-Muslimbruder-Koalition, die da auf dem Platz stand, waren die politischen Widersprüche der Post-Mursi-Zeit schon angelegt. Die Demonstranten einte einzig ihr Protest gegen die Muslimbruderschaft – über die Zukunft Ägyptens hingegen gingen ihre Vorstellungen weit auseinander.

      Da standen zum einen jene auf dem Platz, die Mubarak Anfang 2011 gestürzt hatten, junge Tahrir-Aktivisten, Linke, Vertreter der Zivilgesellschaft. Sie hatten beim Sturz Mubaraks den Blutzoll gezahlt. Neben ihnen war die „Sofa-Partei“ zahlreich auf dem Platz vertreten: jene Ägypter, die sich den arabischen Wandel bisher nur im Fernsehen angeschaut, sich aber nicht an ihm beteiligt hatten, und von denen nach einem Jahr Amtszeit Mursis immer wieder der Satz zu hören war: „Unter Mubarak war es doch besser.“

      Und dann gab es da noch die alten Mubarak-Seilschaften zu sehen. Deren Vertreter hofften nun, durch die Hintertür wieder in das politische System zu kommen, nicht zu vergessen die Männer des Sicherheitsapparats, die sich nichts sehnlicher wünschten, als rehabilitiert zu werden, natürlich ohne ihren Unterdrückungsapparat reformieren zu müssen. Mit anderen Worten: Revolution und Konterrevolution feierten geeint in ihrer Ablehnung Muhammad Mursis und der Muslimbruderschaft. Und das eigentliche Zepter lag in den Händen des Militärs, das seine eigenen Interessen und Privilegien im Auge hatte.

      Am 3. Juli 2013 verkündete Ägyptens Militärchef Abdel Fattah El-Sisi dann die Verhaftung Mursis und die Machtübernahme durch das Militär. Über Nacht hatte sich auch der Fokus der nationalen Debatte verändert. Statt über die Frage zu debattieren, wie viel Religion die Politik verträgt, stritt man nun wieder darüber, wie viel Neues und wie viele Reformen in dem Land am Nil durchgesetzt werden können. Das erinnerte ein wenig

Скачать книгу