Letzter Weckruf für Europa. Helmut Brandstätter
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Auch die politische Union war im Sinn von Kohl und Genscher. Aber wie diese weiter ausgebaut werden würde, verbunden mit Verfassungsänderungen in allen Mitgliedstaaten, war in Maastricht nicht klar. Der Vertrag definiert es auch nicht konkret. Die logische Konsequenz, ein föderales Europa mit einer Zentralregierung und Kompetenzen in den Ländern, traute sich niemand zu formulieren. Der britische Historiker Ian Kershaw spielt in seinem bereits zitierten Buch Achterbahn auf die Geschichte an: „Wie hochherzig die Vision (einer politischen Union) auch war – die zu einem guten Teil eine Reaktion auf die dunkle Vergangenheit Deutschlands darstellte und Kohls starkes persönliches Streben widerspiegelte, die nationalistischen Dämonen, die das Land einst in den Abgrund geführt hatten, für immer auszutreiben – sie hatte nie die geringste Chance, Wirklichkeit zu werden.“ Aus vielen persönlichen Gesprächen mit Helmut Kohl weiß ich, wie wichtig ihm die Einbindung Deutschlands in Europa war. Manchmal konnte man den Eindruck gewinnen, dass er sogar ein gewisses Misstrauen gegen seine Landsleute hegte, dass er eine Rückkehr der „nationalistischen Dämonen“, wie Kershaw sie nennt, nicht ausschloss.
Der Vertrag von Maastricht kam in einer Phase, in der die westeuropäischen Staaten nach dem Ende des Ostblocks ihr politisches System bestätigt sahen: Rechtsstaat und soziale Marktwirtschaft gehören untrennbar zusammen und sind Garant für den Wohlstand. Es war auch klar, dass die ehemaligen kommunistischen Staaten das machen würden, was sie schon nach 1945 gerne gemacht hätten, nämlich dieses System zu übernehmen, weil es mehr Wohlstand versprach. Da ist es nur verständlich, dass Zeitdauer und Kosten dieser grundlegenden Veränderungen unterschätzt wurden. Am Abend des 2. Dezember 1990, nach der ersten gesamtdeutschen Bundestagswahl, die Helmut Kohl einen großen Sieg brachte, führte ich ein Interview mit dem Intellektuellen der SPD, Peter Glotz. Er meinte damals, dass Kohls Wahlversprechen von den „blühenden Landschaften im Osten“ nicht so leicht zu erfüllen sein wird. Aber, so Glotz: „Wir werden das insgesamt schaffen, auch wenn es sechs oder sieben Jahre dauern wird.“ Da war der Skeptiker Glotz viel zu optimistisch, wie wir heute wissen.
Der lange Weg zum Brexit
Der Vertrag von Maastricht hat in einigen Ländern zu einer heftigen Debatte darüber geführt, wie viel Souveränität die nationalen Regierungen und Parlamente in die Union übertragen wollen, vor allem in Großbritannien. Dass die Briten weder das Pfund gegen den Euro noch ihre Bank of England gegen die Europäische Zentralbank austauschen würden, war klar. Aber die Briten waren nie so stark, wie sie gerne wären. Am „Schwarzen Mittwoch“, dem 16. September 1992, mussten sie aus dem Europäischen Wechselkursmechanismus aussteigen. Sie konnten das Pfund nicht mehr ausreichend stützen. Weder Tony Blair, ab 1997 sozialdemokratischer Premierminister des „Dritten Weges“, noch seine Nachfolger Gordon Brown und der konservative David Cameron schafften es, die Stimmungsmache gegen Europa in ihren Parteien und vor allem in den Boulevardmedien einzufangen. Cameron wollte sein Heil in einem Referendum am 23. Juni 2016 suchen, da die Umfragen seit Jahren eine knappe Mehrheit für einen Verbleib in der EU signalisierten. Aber nicht einmal alle seine Minister argumentierten gegen den Austritt: Justizminister Michael Gove warb für den Austritt, Innenministerin Theresa May verdiente sich den Spitznamen „U-Boot“, niemand wusste, wofür die spätere Premierministerin stand. Cameron verlor und trat zurück.
Der Brexit hat viel mit den Lügen von Nigel Farage mit seiner Partei UKIP und Boris Johnson zu tun, wobei der heutige Premierminister noch primitiver als Farage argumentierte und die Ziele der EU mit denen Napoleons und Hitlers verglich. Die 350 Millionen Pfund pro Woche, die Johnson für das nicht sehr moderne britische Gesundheitssystem versprach und auf Autobussen plakatierte, hätte dieses in der Corona-Krise dringend gebraucht, aber natürlich auch nach dem Brexit nicht bekommen. Neben den Lügen der Brexiteers waren wohl zwei Punkte ausschlaggebend für den Abschied der Briten aus der Union: die Angst vor mehr Zuwanderung und die Überhöhung des Begriffes der Souveränität. „Wir wollen wieder selbst entscheiden, was für unser Land gut ist.“ Diesen Satz hörte man in so gut wie allen Straßenumfragen von der Insel. Was Souveränität in Zeiten der internationalen Arbeitsteilung und der Globalisierung bedeutet, wurde nicht hinterfragt, Boris Johnson hat es aber als Premierminister erlebt. Als er – noch nicht vom Corona-Virus befallen – keine strenge Ausgangsbeschränkung einführen wollte, richteten ihm die Franzosen aus, dass sie die Grenzen auch für den Warenverkehr schließen würden. Die Bewohner der britischen Inseln brauchen aber neben vielen anderen Produkten auch Lebensmittel und Medikamente vom Kontinent. So un-souverän sind sie also.
Ihre Souveränität hätten die Briten in ihrer (knappen) Mehrheit gerne zurückgehabt, was immer sich die einzelnen Bürger darunter vorgestellt haben. Solidarität wollten die Erben Churchills aber nicht mehr üben. Sie hatten zwar nach 1990 dringend benötigte Arbeiter aus den ehemaligen Ostblockstaaten geholt, aber nun fürchteten sie die Zuwanderung durch Flüchtlinge. Das Wort Solidarität, das im Vertrag von Maastricht steht, wollte man aber auch in anderen Staaten nicht mehr hören.
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