Entstehung und Geschichte der Weimarer Republik. Arthur Rosenberg

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Entstehung und Geschichte der Weimarer Republik - Arthur Rosenberg eva digital

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weitem Umfang den Arbeiterforderungen entgegenkam, einen Kampf gegen die Industrie, und Bismarck war unbedingt abgeneigt, einen solchen Kampf zu führen. Die Industriellen sollten ja Bismarcks Kerntruppe innerhalb des Bürgertums sein. Ihr Einfluß trug die Nationalliberale Partei. Die Industrie abstoßen, bedeutete für Bismarck das Bürgertum abstoßen. Darin sah er die Ersetzung seines bewährten Systems der Kräfte durch christlichsoziale stöckerische Experimente. Die Verstimmung der Arbeiterschaft war für Bismarck gegenüber der Verbitterung des besitzenden Bürgertums durchaus das kleinere Übel: Ohne das Bürgertum konnte man das Deutsche Reich nicht aufrechterhalten. Dagegen hielt Bismarck es absolut für möglich, die politische Arbeiterbewegung mit Gewalt niederzuwerfen.

      Bismarck hielt nur eine solche Staatsordnung für vernünftig und dauerhaft, in der die besitzenden Schichten, um die Monarchie geschart, die Macht besaßen. Dagegen müsse die Herrschaft der armen und besitzlosen Massen zum Chaos und zur Auflösung führen. Eine solche »reine Demokratie« habe als notwendige Folge die militärische Gewaltherrschaft eines einzelnen. Aufgabe einer vernünftigen Staatskunst sei es, der Gesellschaft Europas diesen Kreislauf zu ersparen16. Die staatspolitische Anschauung Bismarcks zeigt eine überraschende Ähnlichkeit mit den Theorien des Fürsten Metternich. Nur war Metternich viel mehr wissenschaftlicher Systematiker als Bismarck und deshalb in seinen Methoden viel starrer. Bismarck fürchtete, daß die Ereignisse der Pariser Kommune von 1871 sich in Deutschland wiederholen könnten. Er hatte 1871 mit der bürgerlichen republikanischen Regierung Frankreichs eine Einheitsfront gegen die Kommune gebildet und die Machthaber Frankreichs zur gewaltsamen Niederwerfung der Pariser Arbeiter mit allen Mitteln angetrieben und gefördert. Bismarck hielt genauso wie Metternich eine internationale Solidarität der europäischen Regierungen gegen die »rote Gefahr« für angebracht, wenn er sich auch durch diese Stimmung niemals zu Abenteuern verleiten ließ.

      Die beiden Attentate auf Wilhelm I. waren für Bismarck der Beweis, daß auch in Deutschland eine Kommune-Situation heranreifen könne. Er schlug deshalb gegen die Partei los, die sich mit der Pariser Kommune solidarisch erklärt hatte, gegen die Sozialdemokratie. Das Sozialistengesetz Bismarcks hat über Hunderte von Arbeitern und ihre Familien schwerstes Unglück gebracht. Die Vereine und die Presse der deutschen Sozialdemokraten wurden zerstört. Trotzdem erfüllte das Gesetz seinen Zweck nicht: Es annullierte nicht die Mandate der sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten, und es verhinderte nicht die Wahlagitation der Sozialdemokratie. So blieb die sozialdemokratische Partei, auch ohne formelle sozialistische Vereine und Zeitungen, durch den persönlichen Zusammenhalt der Arbeiter in den Betrieben bestehen, und alle drei Jahre bei den Reichstagswahlen trat die Partei wieder an die Öffentlichkeit. So hart das Sozialistengesetz auch viele einzelne traf, war es im ganzen gesehen viel mehr Schikane als Unterdrückung.

      Auch in der Verfolgungszeit von 1878 bis 1890 hat die Sozialdemokratie sich von Gewalttätigkeiten streng ferngehalten. Da außerdem ihr Wachstum in mäßigen Grenzen blieb, hielt Bismarck so lange eine Verschärfung des Kampfes gegen die Sozialdemokraten nicht für erforderlich. Erst die Reichstagswahlen von 1890 schufen eine neue Situation: Die sozialistische Stimmenzahl stieg mit einem Ruck von dreiviertel Millionen auf anderthalb Millionen. Damit war das System Bismarcks in seiner Grundlage erschüttert. Zu der Millionenbewegung des Zentrums, die Bismarck nach wie vor als seinem System feindlich betrachtete, kam nun noch das Millionenheer der Sozialdemokraten. Wenn man dazu die Oppositionsgruppen der Polen, Weifen, Elsässer und Dänen rechnete, so hatten sich mitten im Frieden, bei der ausgezeichneten außenpolitischen und wirtschaftlichen Lage des Reichs, vierzig Prozent der Bevölkerung gegen das Reich Bismarcks erklärt. Was sollte dann erst bei einer ernsten Krise werden? Damit war die Reichsschöpfung von 1871 in Frage gestellt, und es begann ein Kampf auf Leben und Tod17.

      Von Bismarcks Standpunkt aus war eine solche Beurteilung der Lage von 1890 durchaus logisch und konsequent: Das Kaiserreich von 1871 mußte entweder die politische Arbeiterbewegung zertreten, oder es mußte untergehen. Ein Drittes war nicht möglich. Denn bei jedem Versuch eines Kompromisses kam zunächst das Bürgertum ans Ruder, und damit war die Verfassung von 1871 aus den Angeln gehoben. Mit den christlich-sozialen Methoden Stöckers war selbstverständlich die Arbeiterfrage in Deutschland auch nicht zu lösen. Darin hatte Bismarck ganz recht: Das klassenbewußte sozialistische Proletariat ließ sich mit Bibelsprüchen und ein paar Sozialgesetzen nicht zu treuen Anhängern des preußischen Staatssystems umwandeln. Und die Zentrumsarbeiter standen im Grunde dem herrschenden System Preußen-Deutschlands genauso fremd gegenüber wie die Sozialdemokraten. Wer die Situation von 1890 in allen ihren Konsequenzen durchdenkt, hat damit die historische Notwendigkeit der Revolution von 1918 schon begriffen.

      Was Bismarck im einzelnen gegen die Sozialdemokraten getan hätte, wenn er nach 1890 im Amt geblieben wäre, läßt sich heute nicht mehr ausmalen. Er hätte vielleicht das Sozialistengesetz verschärft, um die sozialdemokratischen Wahlstimmen und Mandate zu annullieren18. Zu einer gewaltsamen Erhebung der Arbeiterschaft wäre es auch nach einem solchen Gewaltstreich der Regierung schwerlich gekommen. Für ein paar Jahre hätte Bismarck sich durchsetzen können. Er hätte die Sozialdemokratie von der öffentlichen politischen Tätigkeit verdrängt und dem Zentrum durch den Wegfall der sozialdemokratischen Fraktion die ausschlaggebende Stellung im Reichstag genommen. Auf die Dauer wäre aber damit in Deutschland die Atmosphäre des russischen Zarismus geschaffen und die Revolution nur beschleunigt worden.

      Bei der Unfertigkeit der innerpolitischen Zustände Deutschlands und bei den schweren Gefahren, die das Reich von innen bedrohten, war für Bismarck eine unbedingte Friedenspolitik nach 1871 geradezu ein Dogma. Irgendwelche Eroberungswünsche auf dem europäischen Festland hatte Bismarck nach 1871 nicht. Die Annexion weiterer fremdsprachiger Gebiete hielt er für ein Übel. Die Vereinigung Deutschösterreichs mit Deutschland hätte die katholische Minderheit im Reiche derartig gestärkt, daß dadurch das Gleichgewicht, das Bismarck wollte, erschüttert worden wäre. Kolonialen überseeischen Erwerbungen war Bismarck nicht abgeneigt. Koloniale Erwerbungen im weiten Umfang sind ihm ohne Krieg mit einer europäischen Großmacht gelungen. Deutschland fand auf diesem Wege den Widerstand Englands. Bismarck war aber der Ansicht, daß man England zurückdrängen und zu Konzessionen auf überseeischem Gebiet nötigen könne, wenn es sich einer Einheitsfront des europäischen Festlandes gegenübersieht.

      Für solche Auseinandersetzungen mit England brauchte Bismarck die Hilfe Frankreichs, ja sogar eines starken Frankreichs19. Bismarck hielt eine weitere Schwächung Frankreichs über das Maß von 1871 hinaus für eine Schädigung deutscher Interessen. Freilich mußte die Ausspielung Frankreichs gegen England mit Vorsicht erfolgen. Bismarck glaubte nicht, daß Frankreich sich in absehbarer Zeit mit dem Verlust Elsaß-Lothringens abfinden würde. Falls Deutschland mit einer anderen Großmacht in Krieg gerate, sei ohne weiteres damit zu rechnen, daß Frankreich den Krieg gegen Deutschland mitmache. Bismarck ließ deshalb die koloniale Auseinandersetzung mit England nie so weit gehen, daß daraus die Gefahr eines Bruchs entstand. Auch wenn Frankreich die diplomatische Aktion Deutschlands gegen England erst mitmachte, war beim Eintreten der Krise damit zu rechnen, daß Frankreich plötzlich auf die andere Seite schwenkte.

      So vorsichtig war Bismarck, selbst wenn er in kolonialen und überseeischen Fragen gemeinsam mit Frankreich und Rußland gegen England operierte! Eine koloniale Aktion Deutschlands gegen den Willen Englands und Frankreichs durchzufechten, hätte Bismarck für wahnsinnig gehalten. Ohne sich, über die Stimmung des französischen Bürgertums Illusionen hinzugeben, tat Bismarck alles, um die deutsch-französischen Beziehungen zu verbessern. Er unterstützte in keiner Weise die Pläne eines monarchischen Staatsstreichs in Frankreich. Denn er hielt die bürgerliche Republik in Paris immer noch für friedfertiger als eine klerikale Monarchie oder eine bonapartistische Diktatur. Bismarck förderte alle außenpolitischen Wünsche der französischen Regierung, soweit es nur irgend möglich war, und ganz besonders auf kolonialem Gebiet. Je mehr sich Frankreich in Marokko20 und in China engagierte, um so mehr wurde es von Elsaß-Lothringen und von der Revanche abgelenkt.

      Neben Frankreich waren mögliche Gegner Deutschlands zu Lande Rußland und Österreich-Ungarn. Die Hauptaufgabe deutscher Politik bestand nach Bismarck darin, zu verhindern,

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