e-tot. Uwe Post

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e-tot - Uwe Post heise online: Welten

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Kalthor presst die Lippen aufeinander. Er wird sich wertvollere Gegner suchen müssen. Oder einfach mehr.

      Als zwei ältere Herren lachend und tuschelnd im Ausgang der Geisterbahn erscheinen, verzieht Kalthor angewidert das Gesicht. »Tunten. Wie hübsch.« Er spuckt aus und erschießt den einen Mann mit der Armbrust, bevor der ihn überhaupt bemerkt. Das Opfer fällt wie ein nasser Sack mit krankhaften Zuckungen. Der andere nimmt die Beine in die Hand, läuft um Hilfe rufend Richtung Hauptweg.

      Kalthor schießt ihm einen Giftbolzen in den Rücken. Der Mann geht zu Boden und windet sich, während sich sein Körper langsam in braune Pixelsoße auflöst. »Kommt davon«, brummt Kalthor. »Hättest stehenbleiben können. Der Tod durch die Klinge ist weniger schmerzhaft.«

      Die Erfahrungspunkteanzeige klettert um gute 70 Punkte. Immerhin. Kalthor erblickt eine Leiter, die aufs Dach der Geisterbahn führt. »Hübsch, wie für mich gemacht«, brummt er zufrieden. Er klettert hoch, legt sich auf die Lauer und pfeift die Titelmelodie von Buffy – Im Bann der Dämonen mit halber Geschwindigkeit. Von hier aus kann er die ganze Promenade ins Visier nehmen. Zufrieden zielt Kalthor mit Pfeil und Bogen, sucht sich in aller Ruhe seine Opfer aus. Als ein Pärchen mittleren Alters an einer nahen Ecke eine zärtliche Umarmung zeigt, ist die perfekte Gelegenheit da.

      Der Bogen schnarrt, der Pfeil sirrt. Und durchbohrt das Pärchen.

      »Ich mag Schaschlik«, murmelt Kalthor zu sich selbst. Endlich werden Passanten auf ihn aufmerksam. Zeigen auf ihn, schreien, rufen. Einige rennen weg, vielleicht um Hilfe zu holen.

      Kalthor weiß genau, wie lange das dauert. Er richtet sich auf, hebt beide Arme. »Ich bin Kalthor, Krieger der Lebenden!«, tönt er. »Und ich befreie eure Seelen von den abartigen digitalen Dämonen, damit sie in Ruhe schlafen können!« Unbeeindruckt von den Verwünschungen, die ihm die Zombies entgegenschleudern, hebt er die Armbrust. Zielen, schießen. Zielen, schießen. Immer wieder.

      Fünf Zombies erwischt er, drei davon trifft er beim Weglaufen in den Rücken. Seine Erfahrungspunkte schießen nach oben. Die Erlösten winden sich auf dem Boden, während sie sich in halbtransparente Konglomerate aus Bits und Bytes verwandeln. Ihre Seelen werden es Kalthor danken.

      Dann aktiviert seine Brille die Warnleuchte. Die Suchprogramme haben ihn eingekreist.

      Kalthor deutet eine Verbeugung an, dann deaktiviert er den Avatar.

      Wieder einmal hat er kalten Hass in hübsche Punktzahlen verwandelt.

      Zufrieden steht er in seinem abgedunkelten Zimmer, das von lautem Hiphop und dem Surren von Computerlüftern erfüllt ist. Im Zwielicht fließen die vielen Rechner, Tastaturen, Tablets und Monitore ineinander und werden zu einem Monstrum elektronischer Kriegsführung.

      Es riecht nach etwas zu lange getragenen Socken und warmem Pils.

      Der Mann nimmt seine VR-Brille ab und legt sie zur Seite. Strähnige Haare kleben an seiner Stirn, das speckige Grinsen zeugt von einer Selbstzufriedenheit, die schon lange nicht mehr in Frage gestellt wurde. Von außen betrachtet leidet der Mann unter einem fatalen Realitätsverlust. Von innen betrachtet aber ist das gerade erreichte neue Level ein Grund zum Feiern.

      »Meine Damen, Herren und von mir aus auch diverse Perverse«, richtet er seine Ansprache ans Draußen hinterm verhängten Fenster. »Ich gratuliere mir zu Level 104!«

      Beschwingt stelzt der Mann über herumliegenden Krempel hinweg zu seinem Kühlschrank. Er holt eine Bierflasche hervor, köpft sie und leert sie zur Hälfte, bevor er sich in einen quiet-schenden Sessel fallen lässt. Er greift zur bereitliegenden Mediacenter-Fernbedienung, legt die Füße hoch und prostet dem Bildschirm zu, über den gerade der Vorspann von Buffy – Im Bann der Dämonen flimmert.

      Als sein großes Vorbild erneut ihre gnadenlose Jagd auf Vampire und Zombies beginnt, grinst der Mann, der sich im digitalen Jenseits Kalthor nennt, und öffnet seine Hose.

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      JULIUS1

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      Nur eine dicke Kerze erhellt das schäbige Hinterzimmer des Rotlicht-Clubs Villa tief’ste Lust (ja, mit Apostroph).

      Julius lehnt sich auf dem Sofa zurück und zündet sich eine Zigarette an. »Du hast es mir echt gut besorgt, bist dein Geld wert, echt.«

      Er zieht an der Zigarette und pustet pixeligen Qualm gen Zimmerdecke. Die Simulation ist nicht besonders ausgereift.

      »Früher war das alles anders«, sagt Julius bedächtig und legt sich einen Arm in den Nacken. »Du musstest früher immer ein Gummi anziehen, und zwar ein selbst mitgebrachtes. Man wusste doch nie, ob es nicht perforiert war. Und dann der Gestank …«

      Julius verzieht das Gesicht. »Sogar das Rauchen war tödlich. Nein, sag jetzt nichts.«

      Den Glimmstängel zwischen den Lippen, zieht sich Julius mit der freien Hand das Laken über den nackten Unterleib. »Guck nicht so«, sagt er. »Hier gibt’s nichts mehr zu sehen, er hat genug. Für den Moment. Er verarbeitet die neue Erfahrung. Weißt du, was er und ich schon alles gevögelt haben? Würdest du nicht glauben. Den Sex entdeckt habe ich mit dreizehn. Mann, war das eine geile Zeit. Morgens, mittags, abends. Meine Eltern haben mich ein paar Mal erwischt. Ich war nicht besonders vorsichtig. Junge, sagten sie, meinst du nicht, dass du etwas übertreibst? Und kannst du bitte wenigstens ein Taschentuch nehmen? Ich will nicht im Teppich festkleben

      Jetzt muss Julius lachen und hustet sich halb tot. Die Simu ist da gnadenlos: Lachen plus Rauch in der Lunge gleich Hustenanfall.

      »Die anderen Jungs und ich haben einen Wettkampf draus gemacht. Wir führten Listen. Wer es nur zweimal am Tag schaffte, hatte nach einer Woche schon sieben Punkte Rückstand. Wie hieß noch der Idiot, der in der Tabelle immer vor mir stand? Weiß ich nicht mehr. Vermutlich hat er eh geschummelt. Wir waren ja nicht dabei, wenn die anderen sich einen runterholten, man konnte also einfach alles erfinden. Ich war natürlich immer ehrlich! Ehrlichkeit währt am längsten, das haben mir meine Eltern immer eingeschärft. Wo war ich?«

      Die Zigarette ist am Ende, Julius drückt sie im Ascher aus.

      »Ach ja. Der Idiot an der Tabellenspitze. Er war auch der Erste, der mit Mädchen anfing. Für einen Fick gab es ab sofort zwei Punkte, fürs Wichsen nur einen. Natürlich stellte sich ziemlich schnell raus, dass er seine Dates nur erfunden hatte. Aber es stachelte den Rest von uns an. Wir balzten im Tanzkurs, auf dem Pausenhof und in kreativen Chatnachrichten. Ich wurde mal für eine Woche gesperrt, weil sich eine über ein Schwanzfoto beschwert hat. Dabei war ich so schüchtern! Ich hatte das Bild bis zur Unkenntlichkeit mit Fotofiltern bearbeitet. Im Grunde war es nur ein unscharfer, etwas länglicher roter Fleck vor schwarzem Hintergrund mit aparten Bildstörungen und drei rosa Herzchen. Mädchen mögen Herzchen, dachte ich. Als sie das Teil kurz darauf in echt sah, war sie auf etwas andere Weise erregt. Tja, so war das damals. Sie war meine erste Muschi,

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