Feuersetzen. Tom Wolf
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Jetzt hatten der Gerber und der Großarchivar doch ihren Spaß zusammen.
»Wovon redet ihr überhaupt?«, fragte Jobst.
Volpi schien ein Licht aufzugehen. Ohne weitere Erläuterungen auszukommen, war für den Logiker Ehrensache.
»Nichts sagen!«, flehte er, da er sah, wie Tills Mund schon wieder aufgehen wollte.
»Des Heiligen Georgs Gegner war ein Wurm, denkt Ihr! Ein geflügelter Scheunenanzünder, ein Heerbrand, ein Schatzhüter! Gelt, Herr Till? Und Ihr glaubt, sie hätte diesen heimlichen Gast nicht gut behandelt, sodass er ihr das Dach überm Kopf ansteckt hat … Da könnte was dran sein, er dürfte auf die anderen feurigen Gästen getroffen sein … Wir fanden ihr Liebesnest ja direkt unterm First!«
Bartholdi gluckste. Endlich hatte auch Jobst, der alte, seriöse Handelsherr, verstanden. Das war es, worüber sich die grünschnäbelige Jugend amüsierte: Diese Toren redeten von Lindwürmern, von Drachen, die nachts als wurmartige Feuerschweife in Häuser einfielen und den Hausbesitzern Glück brachten, angeblich …
»Unfug, Aberglaube!«, entfuhr es Jobst. »Ich hielt Euch für einen klugen Mann, mein lieber Doktor. Was soll ich denn jetzt denken? Sagt mir aufrichtig: Glaubt Ihr ehrlich noch an Hausdrachen?«
»Oh ja, ich hatte schon zwei in meinem kurzen Leben, und ich habe zweimal die Flucht ergriffen!« Volpi lachte kurz.»Nein, nein, im Ernst, Herr Jobst, äh …«
Volpi hatte Till wohl für eine halbe Sekunde zu lange fixiert. Der Gerber nickte eifrig, denn ihm war das Ernst.
»Mit Verlaub – so ist es!«, verkündete er erfreut,, zog eine gerollte Broschur hervor und begann vorzulesen:
»Einige sagen, unter anderem Ptolomäus selbst, der Feuerdrache oder Wurm sei nichts als eine Menge brennbarer Luft …«
Aber Jobst schlug Till das Heft zornig aus der Hand: »Du Quatschkopf! Willst du der Schwalbe anhängen, sie sei eine Hexe gewesen, die der Teufel in Drachengestalt besucht hätte – jetzt, wo sie schon unglücklich verbrannt ist?«
Till hob das Heft auf und funkelte Jobst an.
»Nein, aber es wär wohl noch gekommen – hätte sie den Drachen nicht gleich durch ihr Verhalten angeekelt. Statt ihn mit Hirsebrei zu empfangen, was nach Ptolomäus seine Leibspeise ist, vergnügt sie sich weiter mit ihrem Buhlen …«
Volpi und Bartholdi kamen schier um vor Lachen … aber Till verkündete mit fester Stimme: »Als der Drache hereinkam – schöne Bescherung – sieht er die Hexe, wie sie beim Feuerhüter liegt! Na, da wird der Wurm ganz schön geflucht haben! Das Ende vom Lied kennen wir ja … Ich hab ihn jedenfalls einfahren sehen, den Drachen. Könnt Ihr Herren sagen, was Ihr wollt! Und dass Ihr die Lehrmeinung des Ptolomäus nicht achtet, wird den obersten Teufelsaustreiber von Westfalen, Karolus Fischer nämlich, sicher interessieren!«
»Nun mach halblang, Till«, beschwichtigte ihn Bartholdi, der plötzlich wieder sehr gefasst wirkte. Die Erwähnung der Inquisitoren hatte immer diesen plötzlichen Ernst zur Folge. »Erzähl uns lieber, was du gesehen hast. Beschreib es mal mit deinen Worten. Hier steht, wie du richtig gesagt hast, ein großer Naturforscher«, dabei zeigte er auf Volpi. »Beobachtungen sind die wichtigste Grundlage für jede Theorie.«
Bartholdi sah lächelnd zu Volpi hin, der sich ganz den Anschein des lebhaftesten Interesses gab.
Till berichtete: »Ich konnte nicht schlafen, da bin ich halt unters Dach geklettert, wo die Häute trocknen, um welche davon abzunehmen. Daher hörte ich die Geräusche von drüben gut. Wie sollte ich denn auch nicht? Man hörte die Schwalbe und ihren Gespielen ja in der ganzen Straße! Ich hab da mehrere Trockenluken, da kann man durchschauen. Nicht nach drüben, ihr Herren! In den Himmel! Und da sah ich ihn anfliegen! Der Feuerdrache kam just in diesem Moment, als ich hinaussah: Ein grausiger Anblick, sag ich Euch! Erst war es bloß ein von Weitem aufsteigender Strich. In die Höhe stieg’s, dann hörte man ein lauter und lauter werdendes Zischen und sah zugleich einen hellen, dichten Schein, der näher kam. Er fuhr direkt hinein ins Dach der Schwalbe. Mit einem harten Knall!« Till bekreuzigte sich. »Eine Feuerkugel, eine blakende Sphäre, ein Halo, einen Funkenregen, einen kleinen Sturzbach Feuers … das hab ich übers Dach laufen sehen und bin schnell abgetaucht, damit er mich nicht sieht und mir einen Strahl Feuer entgegenschleudert! Das hab ich mir nicht bloß eingebildet! So wahr ich hier vor Euch stehe!«
»Aus welcher Richtung kam er?«, fragte Volpi, und sowohl Bartholdi als auch Jobst staunten über den Ernst, den er in seine Stimme legte. Hatte er etwa doch Feuer gefangen? Wollte er das Drachen- und Wurm- und Glühschwanz-Geschwätz etwa für bare Münze nehmen?
»Darüber nun hab ich mir den Kopf zerbrochen, aber … genau weiß ich es nicht zu sagen. Von oben …, aber ob von der Abzucht oder aus dem Norden? Ich hab es nicht gesehen … Ist denn das wichtig?«
»Für die allgemeine Drachentheorie nicht. Aber sozusagen für die kasuistische Drachenlehre. Für die Anwendung auf diesen besonderen Drachenfall … diese sogenannte Einfahrt … oder gleichzeitige Ein- und Wiederausfahrt …«
Volpi dachte scheinbar wirklich angestrengt über Drakologie nach.
»Tsts … kam der Kerl doch einfach zur Unzeit …« Der Gelehrte hielt die Pfeilspitze hoch. »Was für ein Dach war das eigentlich, ich sah es ja nur noch, als es bereits in Rauchform existierte …«
»Eines mit Holzschindeln«, sagte Bartholdi achselzuckend. »Der Schiefer ist für die wenigsten erschwinglich.«
»Verdammt«, knurrte Jobst. »Also doch …«
Der Drachenbeobachter Till blickte von einem zum anderen, bis Volpi sagte: »Was Ihr gesehen habt, mein Freund, war eine seltene Art, besonders in so zivilisierten Städten wie dieser hier. Ein Drache, der aussah und sich ganz so verhalten zu haben scheint wie … ein Feuerpfeil!«
Freitag, 20. Mai 1552
»Ihr seht aus wie drei Tage Regenwetter!«, sagte Jobst, als er den Syndikus Keller eintreten sah. Die Beschreibung passte, wie auch die anderen Biertrinker in der Kemenate der Halskrause unumwunden zugeben mussten. Keller vergalt die wenig schmeichelhafte Begrüßung mit einem Lob über das blendende Äußere Jobsts, wurde daraufhin mit dem noch leicht angeknacksten Volpi bekannt gemacht und grüßte erst den stets fidelen Baader und zuletzt Bartholdi, dem es schon wieder prächtig zu gehen schien. Kleine Menschen waren härter im Nehmen, dachte Volpi, und das mussten sie ja auch sein, hätte Bartholdi hinzugefügt.
»Wo drückt Euch der Schuh? Ist’s die Hinterlassenschaft der Schwalbe?«, fragte Baader den jungen und schmächtigen Mann.
»Nein, es ist freilich die Ordnung der Herbst’schen Angelegenheiten, mit denen ich betraut bin … Die Witwe Herbst ist wirklich nicht zu beneiden … Schließlich hat keiner damit gerechnet, und es ist ein Glück, dass überhaupt Verfügungen von Otto Herbst vorhanden sind. Es gibt gar deren zwei … doch die zweite ist noch so frisch, dass man sich fragt, ob das Schicksal nur darauf gewartet hat, bis das Testament unterzeichnet war …«
»Ach!«, entfuhr es allen. »Erzählt!«
Keller tat entrüstet: »Meine Freunde – das geht doch nicht! Schließlich vertrete ich Euch ja auch alle, und erzähle auch nicht in aller Öffentlichkeit