Inselduell. Anja Eichbaum

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Inselduell - Anja Eichbaum

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über den Verstand legten und alle guten Argumente beiseite fegten. Die sie durchaus hatte. Das wusste sie, das wussten ihre Unterstützer, ihre Gegner und nicht zuletzt ein immer größerer potenzieller Wählerkreis. Wenn man den Umfragen Glauben schenkte, hatte sie verdammt gute Karten, die Bürgermeisterwahl zu gewinnen.

      War sie bereit, den Preis zu zahlen, fragte die Stimme, die sich zwar in ihrem eng getakteten Alltag unterdrücken ließ, die aber seit drei Stunden einfach nicht mehr die Klappe hielt. Petra hatte es mit allen Coachingtipps versucht. Sie hatte »Stopp« gemurmelt, hatte ihren Gedankenfluss umgekehrt, sich abgelenkt und ein paar halbherzige Entspannungsübungen durchgeführt. Für mehr war keine Zeit gewesen. Das Interview, ein Treffen mit der Umweltgruppe und ein Fototermin an der Baustelle eines neuen Personalwohnheims hatten sich nahtlos aneinandergereiht. Was die Stimme noch gefüttert hatte. Petra fasste sich an die Schläfen. Sie sollte aufhören, ihre Gedanken als ›die Stimme‹ zu betiteln. Wenn einer das mitbekäme, könnte sie einpacken. Das wäre das Ende ihrer kommunalpolitischen Karriere, von der sie doch hoffte, dass sie erst am Anfang stand.

      Sie stemmte sich hoch und zog die Tür zum Wohnzimmer zu. In der Küche hatte das Kindermädchen schon klar Schiff gemacht, sodass sie gleich nur dafür sorgen musste, dass die Kinder in die Betten kamen. »Nur«, murmelte sie vor sich hin. Dabei war es meist die größte Herausforderung des Tages. Wenn ihr Ruhebedürfnis auf das Nichtschlafenwollen der Kinder prallte. Wobei sie die Zeit an guten Abenden mochte. Wenn alle im Flow waren, wenn es keine besonderen Störungen gab. Dann genoss sie es, dass selbst der Zwölfjährige mit ins Bett der jüngeren Schwester huschte und die Geschwister mit Engelsaugen darum baten, eine Geschichte vorgelesen zu bekommen.

      »Das darfst du niemandem erzählen«, hatten sich beide ausbedungen. Natürlich waren sie längst dem Vorlesealter entwachsen. Aber seit dem Tod ihres Mannes war es so etwas wie ein Heilmittel geworden, ein Festhalten an alten, zumindest für die Kinder glücklicheren Zeiten. Ihr schlechtes Erwachsenengewissen hatte die Gelegenheit gerne ergriffen. Schließlich tat es auch ihr gut. So eng beieinander. In Heile-Welt-Szenarien vertieft, die sie in der Wirklichkeit schon lange nicht mehr erlebt hatte. Sie schluckte. Ihr Mund wurde trocken. Nur nicht daran denken. Schnell öffnete sie die Kühlschranktür und goss sich ein Glas kaltes Wasser ein, das sie ohne Absetzen austrank.

      Genauso häufig waren allerdings die Abende, an denen die Kinder eifersüchtig um ihre Aufmerksamkeit und Zuneigung buhlten und jeglichen Streit vom Zaun brachen, der sich ihnen bot. Da ging es um geklaute Lieblingsdecken, um die Zeit des Zähneputzens, um verschwundene Handys, Bücher und CDs, um angebliche Missetaten am Tag. Haare ziehen, boxen, kneifen, treten – all das wurde eingesetzt, um das eigene Recht zu unterstreichen, und keine der Konfliktlösungen, auf die die Schule so großen Wert legte, konnte sie durchsetzen. Es waren die Abende, an denen sie schließlich alle schrien, nur um den anderen zu übertönen, und sie war in diesen Augenblicken keinen Deut besser als die Kinder. Dass einer das hören würde, war ihre größte Angst. Was Mattis mit seinen zwölf Jahren zu nutzen wusste. »Schreist du dann als Bürgermeisterin auch so rum?«, hatte er letztens gefragt. Sofort danach war eine unheimliche Stille eingetreten. Klara hatte erschrocken die Augen aufgerissen, Mattis war aus dem Zimmer gestürmt, hatte sich im Bad eingeschlossen und dort bitterlich geweint. Es war einer der Abende gewesen, an dem sie sich nach dem ersten Schreck laut zugesprochen hatte: »Aber nicht doch. Ich muss nicht perfekt sein, um dieses Amt anzutreten. Wer fragt danach, ob einer der männlichen Kandidaten zu Hause mit den Kindern brüllt?«

      Trotzdem hatte sie seitdem oft Sorge wegen möglicher abendlicher Eskalationen. Dass sie deswegen nach und nach die Freiräume der Kinder etwas ausgeweitet hatte, wusste sie selbst. Andererseits bewegte sie sich immer noch in einem Bereich von Regeln und Grenzen, der in anderen Familien schon lange ausgehebelt war. Tatsächlich war sie sogar dazu übergegangen, das Thema Kinder und Familie immer mehr in ihre Wahlkampfveranstaltungen aufzunehmen. Obwohl es ihr anfangs als die größte Hürde erschienen war. Nach dem, was alles war. Weil sie Angst vor den Fragen gehabt hatte.

      Nun aber erlebte sie, wie sehr sie Menschen emotional erreichen konnte. Wenn sie ihre eigenen Sorgen hinsichtlich der Kinder thematisierte, wenn sie Unsicherheiten äußerte und auf die Lebensbedingungen junger Familien einging. Gerade, weil es zu ihrem Schwerpunktthema passte. Umweltschutz. Erhaltung der Natur. Die Zeichen der Zeit standen gut für sie. Es tat sich was. Es war Bewegung in der Sache. Schon lange hatte niemand mehr so wie jetzt damit punkten können, wenn er zu einem Überdenken der eigenen Lebensweise aufrief. Hier war sie klar im Vorteil. Als vergleichsweise junge Kandidatin mit 39 Jahren nahm man ihr ab, wenn sie für die Zukunft ihrer Kinder die Stimme erhob.

      Aus dem Wohnzimmer erklang gedämpft die Titelmusik von ›logo!‹, dem Nachrichtenmagazin für Kinder. Es blieben ihr zehn Minuten. Die Zeit für sich allein hatte ihr gutgetan. Sie würde den Abend nutzen, um den morgigen Vortrag vorzubereiten, bei dem sie über die Gleichstellung zwischen Mann und Frau in einer modernen Umweltpolitik sprechen würde. Sie holte ihren Laptop aus der Tasche an der Garderobe und stellte ihn auf den Küchentisch. Daneben das Wasserglas und ein Schälchen mit Gummibären. Genau abgezählt, damit es ihre Energiekalkulation nicht allzu durcheinanderbrachte. Aber als kleine Reminiszenz an ihre Heimat. Die rot-gelb-grün-weiß-orangen Zuckerportionen hatten sie schon durchs Abitur und alle ihre Uniprüfungen gebracht. Nun musste sie nur vermeiden, dass Mattis und Klara die Küche stürmten.

      Was sie sofort vergaß, als sich ihr Handy meldete. Die schrille Klingel, die an einen alten Festnetzapparat erinnerte, ließ sich nicht ignorieren. Damit drangen nur die wichtigsten Anrufe zu ihr durch. Es blieb ihr nichts anderes übrig. Wahlkampfzeiten.

      »Petra Mertens, hallo?«, meldete sie sich.

      Als sie auflegte, hatten ihre Kinder die Süßigkeiten aus der Küche entführt und stritten sich lauthals um die Farben. Petra schaute irritiert auf ihren Laptop. Sie war verwirrt. Verstand nicht, was der Anruf zu bedeuten hatte. Wusste nur, dass sie handeln musste. Jetzt. Sofort. Heute Abend noch.

      *

      Daniela Prinzen sah sich zufrieden im Frühstücksraum um. Das Essen hatte allen geschmeckt, es war nur wenig übrig geblieben von dem Fingerfood, das sie zubereitet hatte. Der große Suppentopf war sogar komplett leer, wie sie eben bei einem Gang in die Küche festgestellt hatte.

      »Möchte noch einer einen Kaffee?«, fragte sie in die Runde. Frank erhob sich. »Den mache ich. Du bleibst jetzt mal sitzen.«

      Daniela grinste. Ihr Mann hatte seine guten Seiten nach der Hochzeit im letzten Jahr nicht abgelegt. Immer hatte er im Blick, wie er sie unterstützen konnte. Sie hatten sich ja nicht eben wenig vorgenommen mit einem Hostel auf einer der beliebtesten Ferieninseln der Nordsee.

      »Nein. Nein.« Energisch setzte sich die Stimme von Frau Dirkens durch. »Das wollt ihr mir ja wohl nicht antun. Kaffee um diese Uhrzeit?«

      »Nun ja, der ein oder andere vielleicht.« Daniela sah fragend in die Runde.

      »Aber es ist mein Geburtstag. Liebe Kinder, so geht das nicht.«

      Daniela schlug sich an die Stirn. Sie wusste, worauf die alte Dame hinauswollte. Die Teezeremonie fehlte. Frau Dirkens’ ganz spezielle, eigenwillige Version des ostfriesischen Brauchs.

      »Aber selbstverständlich sind wir dabei.« Martin Zieglers dunkle Stimme übertönte die Gespräche und das Lachen der Tischrunde. »Wenn ich helfen kann? Soll ich die Flasche aus dem Giftschrank holen?«

      Alle brachen in Gelächter aus. Bei Zieglers erster Begegnung mit Frau Dirkens’ Giftschrank war er keineswegs entspannt gewesen, befand er sich doch damals als Inselpolizist in der Ermittlung eines Todesfalls. Heute aber feierten sie privat den Geburtstag der alten Pensionswirtin.

      »Nichts da, so weit ist es immer noch nicht. An meinen Schrank darf keiner ran. Auch wenn ich mich

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