Unglaube auf der Akropolis. Sigmund Freud
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a). Ein solcher Prozeß der Synthese geht nur in dem Theil der Seele vor sich, den wir das Es heißen. Wir haben von ihm nur eine unbestimmte Empfindung, auf die wir unseren Glauben an eine Einheit des Ichs gründen. Störungen desselben machen sich viel deutlicher fühlbar. Im Es giebt es diesen Prozeß nicht, ja das Fehlen desselben stellt einen der wesentlichen Unterschiede der beiden seelischen Formationen dar. Nur dies Fehlen ermöglicht es, daß im Es die einzelnen Triebregungen im Allgemeinen unabhängig von einander bestehen und vereinzelt ihrer Erfüllung nachstreben.
b). Diese synthetische Funktion wird bestritten von einer überall im Ich wirksamen, nach unserer Terminologie dazugelieferten Libido, die den Hauptcharakter der Libido, die Tendenz zur Herstellung immer größerer Einheiten, in besonders plastischer Weise zeigt. Es besteht keine Schwierigkeit, diese Libido aus dem Vorrat des ursprünglichen Narzißmus hervorgehen zu lassen.
c). Auf welche Weise diese Libido ihre Ziele erreicht, wäre eines der interessantesten Probleme unserer metapsychologischen Spekulation, die derzeit leider nur auf unbestimmte Annäherungen beschränkt ist und in Wahrheit nicht weit über die theoretischen Vorstellungen hinausreicht, die vor 40 Jahren von Breuer in seinem theoretischen Beitrag zu den »Studien über Hysterie« dargelegt wurden. Wahrscheinlich geschieht es auf dem Weg einer Überbesetzung, die die ursprünglich aus dem Es übernommene Energiebesetzung (Ladung) überlagert und sie dabei auf ein anderes, höher zu benennendes Niveau hebt. Für eine weitere Verdeutlichung fehlt es uns an geeigneten physikalischen Parallelen. Es ist aber diese Überbesetzung, welche die im Es gangbaren Vorgänge der Verdichtung und Verschiebung erschwert und so den dort herrschenden Primärvorgang in den im bewußtseinfähigen Ich allein zulässigen Sekundärvorgang umwandelt.
III
Wenn es Störungen und Verweigerungen der synthetischen Funktion giebt, so gehören die Fremdheitserscheinungen zu ihnen. Aber es giebt offenbar viele solche Störungen, und es fragt sich, welche sind die besonderen Bedingungen der Fremdheitsphänomene.
Die allgemeinste Überlegung mahnt, daß das Ich von zwei Seiten her neue Elemente zur Aufnahme in die Synthese erhält, von der Welt der Wahrnehmungen und von der Innenwelt sowohl des Ichs als auch des Es. Für unsere Untersuchung kommen nur Elemente der ersteren Herkunft in Betracht, also ein kritisches Verhalten des Ichs gegen Stücke der Realität |…| der Wahrnehmung.
Man hält einen Moment wie verwirrt inne, wenn man erfaßt, wie mannigfaltig das zu untersuchende Verhalten des Ichs sein mag. Ein eindrucksvolles Beispiel: Das berühmte Klagelied der spanischen Mauren »Ay de mi Alhama« erzählt, wie der König Boabdil die Nachricht vom Fall seiner Stadt Alhama aufnimmt. Er weiß, daß dieser Verlust das Ende seiner Herrschaft bedeutet:
»Cartas le fueron venidas
de que Alhama era ganada
las cartas echo en el fuego
y al mensagero mataba.«
Das Vorgehen des Maurenkönigs mahnt an gewisse neurotische Praktiken, die ein unliebsames Geschehen ungeschehen machen wollen. Er verleugnet eigentlich die Thatsache nicht, daß Alhama gefallen ist, aber er demonstrirt gegen sie, indem er die Briefe verbrennt und den Boten tödten läßt. Der psychische Mechanismus dieser Reaktion ist, wie man leicht einsieht, der, daß er, von der Einsicht in seine Ohnmacht bedrängt, in anderer Weise seine Macht bethätigen will. Ein davon weit abliegender Fall ist der der negativen Halluzination, wenn jemand es zustande bringt, die unerwünschte Wahrnehmung überhaupt vom Bewußtwerden abzuhalten. Und dazwischen liegen ungezählte andere Methoden, die dieselbe Absicht kennen, die Abwehr einer wahrgenommenen Realität durchzusezen.
Kehren wir zur Beobachtung zurück, von der wir ausgegangen, zur Äußerung des Unglaubens auf der Akropolis. Einen Anteil von ihr haben wir kaum gewürdigt und gerade dieser verspricht für die Aufklärung des Pathologischen jenes Einfalls am meisten zu thun. Es ist der Einfluß der Vergangenheit, von dem irgend eine Störung ausgeht am Ende wird ja auch eine falsche Behauptung über jene Vergangenheit aufgestellt. Ich hatte damals in den Gymnasialjahren an der realen Existenz von Athen gezweifelt. Es ist nicht wahr, ich habe vielmehr daran gezweifelt, daß ich je Athen selbst werde sehen können. So weit zu reisen, erschien mir als außerhalb jeder Möglichkeit, das hing mit der Enge und Armseligkeit unserer Lebensverhältnisse in meiner Jugend zusammen, die Sehnsucht zu reisen war gewiß eine Folge des Wunsches, jenem Druck zu entkommen, verwandt dem Drang, der soviel halbwüchsige Kinder dazu antreibt, vom Hause durchzugehen. Es war mir längst klar geworden, daß ein großes Stück der Lust am Reisen in der Erfüllung dieser frühen Wünsche besteht, also auch in der Unzufriedenheit mit Haus und Familie wurzelte. Wenn man zuerst das Meer sieht, den Ozean überquert, Städte und Länder als Wirklichkeiten erlebt, die so lange ferne, unerreichbare Wunschdinge waren, so fühlt man sich, als hätte man größte Thaten vollbracht, die man sich nicht zugetraut hätte. Ich hätte damals in Athen meinen Bruder fragen können: Erinnerst du dich noch, wie oft wir in unserer Jugend Tag für Tag denselben Weg gegangen sind, vom Haus in der und der Straße zum Gymnasium und am Sonntag höchstens in den Prater, und jetzt stehen wir auf der Akropolis! Wir haben es doch weit gebracht.
Und wenn man so Kleines mit Größerem vergleichen darf, hat nicht der erste Napoleon während der Krönung in Notre Dame sich umgewendet und zu einem seiner Brüder (gewiß war es der älteste Josef!) bemerkt: Was würde Monsieur notre père dazu sagen, wenn er jetzt dabei sein könnte? Gewiß, an der Befriedigung, es so weit gebracht zu haben, ist etwas unrechtes dabei, woran sich ein Schuldgefühl knüpfen kann. Etwas, was mit der Kritik am Vater, mit seiner Geringschätzung zu thun hat, als ob das Wesentliche am Erfolg wäre, es weiter zu bringen als der Vater, und als ob es noch immer unerlaubt wäre, den Vater zu übertreffen.
Zu dieser allgemein giltigen Motivirung gesellen sich in meinen Falle noch jene besondere Momente. Erstens, daß das Thema Athen und die Akropolis schon an und für sich einen Hinweis auf den |…| Unterschied zwischen dem Vater und den Söhnen enthielt. Denn er war Kaufmann ohne Gymnasialbildung. Zweitens, daß in meinem Leben eine frühe Reise eine große Rolle spielt und einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen haben muss.
Ich war drei Jahre alt, als wir von unserem kleinen Wohnort in Mähren mit der Eisenbahn nach Leipzig reisten, um dort eine neue Existenz zu beginnen, die lange nicht so schön war wie die frühere, und mit dieser Übersiedlung nahm alles seinen Anfang, was das Kind dazu brachte, an der Größe des Vaters zu zweifeln. Diese Dinge der Vergangenheit, so weit entrückt, halb vergessen und dem Verdrängten so benachbart, besaßen wohl die Eignung, den Ausdruck der Empfindung in jenem Moment auf der Akropolis zu stören.
Sigm. Freud
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